Günter Ederer / 12.10.2016 / 06:25 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 22 / Seite ausdrucken

Putins naive Helfer (Versteher)

Es war eine der größten Demonstrationen in der alten Bundesrepublik: der Protest gegen den NATO-Doppelbeschluss im Bonner Hofgarten. Alles was sich links und friedensbewegt einstufte, war dabei. 500 000 sollen es gewesen sein, die "für den Frieden, gegen Krieg" zusammengekommen waren. Sie demonstrierten gegen die Pershing-Mittelstreckenraketen der Nato. Die sollten den einen Einsatz der sowjetischen SS 20-Raketen zu einem unkalkulierbaren atomaren Risiko machen. Doch während im Westen 500 000 gegen dieses Gleichgewicht des Schreckens mobil machten, protestierte im Osten niemand gegen die atomaren Mittelstrecken-Raketen der Sowjetunion. Er wäre sofort verhaftet worden. Das wurde schon im Oktober 1983 von den 500 000  im Bonner Hofgarten gefälligst übersehen. Aber unterstellen wir den vielen Mitläufern aus den gerade sich formierenden Grünen und den idealistischen Jungsozialisten der SPD, dass sie wirklich glaubten, dass Gesten und Gebete die Moskauer beeindrucken würden. Sie müssen so naiv gewesen sein, denn sie haben dann ja sogar ihren eigenen Kanzler, Helmut Schmidt,  nicht zuletzt wegen des NATO-Doppelbeschlusses geopfert.

Demonstrieren für den Frieden. Demonstrieren gegen Waffen. Demonstrieren gegen den Krieg. Die Friedensbewegten treffen sich regelmäßig vor dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel, wo Atomwaffen der USA lagern, sie marschieren jedes Jahr zu Ostern in zunehmend kleinen Gruppen und lassen sich dabei als die großen Friedensfreunde feiern. Damit schaffen sie es immer noch in Hauptnachrichten. Gegen den Kriegstreiber USA, gegen die NATO, natürlich gegen deutsche Waffenexporte, gegen den Einsatz der Bundeswehr außerhalb der deutschen Grenzen - das sind vor allem die Parolen der Linken, die sich so als Friedenspartei positioniert. Es sind Parolen, die früher auch einmal zur Rhetorik der Grünen und heute noch vom linken Flügel der SPD mitgetragen werden.

Wo sind die demonstrierenden Massen  vor der russischen Botschaft?

Während Sie das hier lesen, wird die syrische Stadt Aleppo vernichtet, mit Phosphor-, Giftgas- und Bunker brechenden Bomben in einen Trümmerhaufen mit knapp 300 000 Einwohnern verwandelt. Bevorzugtes Ziel: Krankenhäuser. Selbst der zurückhaltende UN-Generalsekretär Ban Ki-moon spricht von Kriegsverbrechen. Es gibt auch keinen Zweifel daran, wer die Kriegsverbrechen begeht: Es ist der Killer Bascher al-Assad mit tatkräftiger Unterstützung Russlands. Aber wo sind die Friedensfreunde, die Ostermarschierer, die Gegner vom Waffenexporten, die selbsternannte Friedenspartei der Linken? Vor der russischen Botschaft Unter den Linden in Berlin bleibt es leer und ruhig. Den "Friedensaktivisten" sind im Moment die Parolen ausgegangen, müssten sie doch gegen das Regime des Autokraten Putins demonstrieren, der für sie Schutzpatron und Vorbild gleichermaßen ist.

Das Mantra, nicht nur der angeblichen Friedensparteien, sondern fast aller politischen Verantwortlichen in Europa lautet: "Gewalt ist keine Lösung." Mit dieser sympathischen Formel begründen sie ihre schier endlose Geduld mit mörderischen Diktatoren, wie Libyens Gaddafi und Syriens Assad. Der eine wurde mit Hilfe eines UN-Mandates gestürzt, die Region aber, die er mit brutaler Macht zusammengehalten hat, ist in einem blutigen Bürgerkrieg versunken. Der andere konnte sich mit Hilfe der schiitischen Milizen aus dem ganzen mittleren Osten retten, sein Land aber hat sich in einen Flickenteppich von Mordbanden, religiösen Fanatikern und Spielplatz machtsüchtiger Autokraten, wie dem Russen Putin und dem Türken Erdogan verwandelt. Einen dritten Massenmörder, den Iraker Saddam Hussein haben die Amerikaner und Briten mit falschen Unterstellungen beseitigt. Auch dieser Landstrich des Mittleren Ostens ist seither in einer Orgie von vor allem religiöser Gewalt versunken.

Die nützlichen Massenmörder

Die Debatten gehen allen Ernstes darum, ob es für uns besser wäre, wenn wir die Massenmörder in ihren Ländern wüten lassen, weil wir dadurch von Flüchtlingsströmen verschont bleiben oder ob wir mit "Mördern mit der Lizenz zu töten", weil sie die Regierungsmacht an sich gerissen haben, auch noch gute Geschäfte machen sollten. Wir müssten uns dann auch nicht entscheiden, wen wir mit Milliarden für humanitäre Hilfen oder militärischem Gerät zur Selbstverteidigung unterstützen. Die Debatte ermöglicht es, in wohl temperierten Konferenzsälen über sinnlose Waffenstillstandsabkommen zu parlieren, und sich gegenseitig zu bestätigen, dass es vor allem gilt, die Ursachen der Massenflucht zu beseitigen, ohne sich wirklich engagieren zu müssen. Mit "uns" sind vor allem wir Deutsche, aber auch die meisten Europäer und die US-Administration des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama gemeint.

Sie alle setzen sich an die Verhandlungstische mit ihrem Mantra: "Gewalt ist keine Lösung" und auf der anderen Seite sitzt die Schutzmacht des als Staatschef legitimierten Mörders Assad, das Russland Putins, der ununterbrochen beweist, dass für ihn Gewalt die Lösung ist. Die Liste seiner Trophäen ist mittlerweile beachtlich. An Transniestrien, jenem Keil zwischen Moldawien und der Ukraine hat sich Europa schon so gewöhnt, dass es noch nicht einmal mehr als russisches Besatzungsgebiet erwähnt wird. Wie Aleppo heute, wurde von Putin Grosny, die Hauptstadt Tschetcheniens brutal zerbombt. Doch das galt als innerrussische Angelegenheit und wurde deshalb kommentarlos hingenommen.

Bei der Besetzung von Südossetien und Abchasien gelang es den friedensseligen Europäern eine Mitschuld Georgiens einzureden. Die dreisten Lügen über die staatenlosen grünen Männer, die die Besetzung der Ukraine für Putin vorbereiteten, wurden ihm als eine Art Notlüge verziehen. Die massive Unterstützung der ostukrainischen Milizen streitet er bis heute ab. Die mittlerweile detaillierte Beweisaufnahme, dass es eine russische BUK M1 Rakete war, die die malaysische Passagiermaschine MH 17 traf und 283 Menschen tötete, werden angezweifelt und als westliche Propaganda abgetan. Ein Kollateralschaden halt!

Gewalt ist keine Lösung? Für Putin durchaus

Seit dem massiven Eingreifen in den Syrien-Konflikt werden alle Assad-Gegner von den Russen als Terroristen bezeichnet, die es zu bekämpfen gilt. Selbst offensichtliche Kriegsverbrechen, wie die Bombardierung des UN-Hilfskonvois, den Abwurf bunkerbrechender Bomben und die gezielte Zerstörung aus der Luft von Krankenhäusern wird solange angezweifelt und verdreht, bis es dem russischen Botschafter in der ARD bei Anne Will möglich ist, die Amerikaner für das Elend in Syrien verantwortlich machen zu können. Das ist schon die hohe Kunst der Propaganda.

Gewalt hat sich bisher in der Strategie Putins ausgezahlt. "Wer verstehen will, wie der Holocaust geschehen konnte, schaue heute nach Aleppo", so zitierte Anne Will am 8. Oktober am Ende ihrer ansonsten völlig verunglückten Sendung, die israelische Zeitung Haaretz. Jeder Vergleich mit dem Nationalsozialismus ist gefährlich. Aber erinnert das Vorgehen von Machthabern, die keine Hemmungen haben, brutale Gewalt einzusetzen, nicht irgendwie doch auch die Taktik Hitlers? Stück für Stück zerstörte er die zivile deutsche Gesellschaft im Namen Deutschlands und nutzte den Friedenswillen der Welt, seine Expansion voranzutreiben. Die Vernichtung der Juden konnte er so nebenbei mit erledigen. Ihre Rettung stand auf keinem Kriegsziel der Alliierten. Kollateralschäden halt.

Die Putin-Versteher verweisen gerne daraufhin, dass wir diesem ehemaligen KGB-Offizier nur jede Aufmerksamkeit und Anerkennung entgegenbringen müssten, um seine Minderwertigkeitsgefühle zu befrieden, dann würde er mit seinen Gewaltexzessen schon aufhören. Da werden nicht nur die Menschenrechte in Russland sukzessive eingeschränkt, da werden Gebietsteile von Nachbarstaaten einverleibt, da wird die Ukraine dauerhaft destabilisiert, da wird Syrien als Geisel genommen, um seinen Weltmachtstatus zurück zu erobern - und die zivilisierte Welt sieht tatenlos zu.

Im klebrigen Netz von Moskaus Propaganda

"Gewalt ist keine Lösung" - aber wie macht dies der Westen auch dem Kremlherrscher klar? Indem wir alle Provokationen, Lügen und militärischen Spielchen übergehen? Einen Tag nach dem Angriff auf den UN-Hilfskonvoi reist unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nach Moskau und macht seine Aufwartung. Das Bombardement von Aleppo beantworten führende Sozialdemokraten mit Unterwerfungsphrasen. Jetzt helfe Säbelrasseln nicht weiter, bietet sich der mecklenburg -vorpommersche Ministerpräsident Erwin Sellering an, der gerade mit 6% die höchsten Verluste in der Landtagswahl hinnehmen musste. Es gelte jetzt die guten Beziehungen zu Russland zu verstärken, meint der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümpel und übersieht Kriegsverbrechen und Völkerrechtsverletzungen. Ist es Angst vor der Rache des Potentaten Putin, die diese Prinzipienlosigkeit ermöglicht, oder sind die Moskau Bewunderer  fasziniert von einem starken Mann, von einem Macher?

Im ZDF lief am 4. Oktober ein Meisterwerk investigativen Journalismus im öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit dem Titel: "Putins geheimes Netzwerk - wie Russland den Westen spaltet." Es zeigte, wer und wie vom Kreml, also Putin, gesteuert die Desinformation über die wahren Absichten der russischen Regierung verbreitet und die Fäden zieht. Und der Film zeigte, welche Politiker sich vom Kreml einspannen lassen oder aus politischer Nähe zu antiliberalen und antidemokratischen politischen und wirtschaftlichen Gruppierungen bereit sind, ihren Herrn und Meister der Verschleierung und Machtausübung zu verherrlichen. Das sind vor allem die beiden Parteien an den politischen Rändern der Bundesrepublik, die AfD und die Linken und ihre Sympathisanten und zusätzlich einzelne Friedensträumer oder russophile Sozialdemokraten und prinzipienlose Wirtschaftsbosse, die zusätzlich von einem antiamerikanischen Gen gelenkt werden. Eine Nebenbemerkung: Die ZDF- Sendung, die in der Sendezeit von Frontal 21 lief, zeigte auch, wie wichtig solche journalistischen Arbeiten sind und wie inhaltslos und sinnlos dagegen die Talkshows zu solchen Themen sind.

Namentlich tauchten in dem Beitrag die beiden ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Matthias Platzeck auf, die nicht müde werden, russische Übergriffe klein zu reden. Als eine der effektivsten Propagandaorganisationen des Kremls, die vom Putin Vertrauten Wladimir Jakunin gesteuert wird, zählt die Gesellschaft mit dem harmlosen Namen: "Dialog der Zivilisation." In deren Aufsichtsrat sitzt Harald Kujat, der Ex-Generalsekretär der Bundeswehr und Vorsitzende des NATO-Militärausschusses. Kujats Karriere verdankte er seiner SPD-Nähe, auf deren Ticket hievten ihn SPD-Minister nach oben. Jetzt ist er einer der peinlichsten Russland-Versteher und Putin - Propagandisten, der wegen seinem angeblichen militärischen Hintergrundwissen und seinen einseitigen Beurteilungen in kaum einer Talkshow fehlt.

Ein deutscher General als Russland Propagandist

Auf dem Höhepunkt der Ukrainekrise verwies er auf die hoffnungslose Unterlegenheit der ukrainischen Armee, woraus er schloss, dass nur durch ein Arrangement mit Moskau - also eine Anerkennung der Krim-Annexion und der Abtrennung der Ostukraine, das Problem gelöst werden kann. Jetzt erzählt er, dass die russische Luftüberlegenheit in Syrien so groß ist, dass es keine Alternative gibt, als mit Russland (zu russischen Bedingungen) zu verhandeln. Ob Kujat noch merkt, dass er bereit ist, die Aussage: "Gewalt ist keine Lösung", gerade umzukehren in die Handlungsanweisung: "Wer mit Gewalt zuerst Fakten schafft, bekommt Recht"?

Zumindest bis zur Präsidentschaftswahl in den USA kann sich Putin sicher sein, dass der Westen sein Mantra: "Gewalt ist keine Lösung" nicht ändert. Er kann auch sicher sein, dass sich genügend Politiker und Kapitalisten finden, die in seinem Propagandanetzwerk kleben bleiben und ihm im wahrsten Sinne des Wortes auf den Leim gehen. Aber er kann sich nicht sicher sein, dass sich in den demokratischen Industriestaaten Widerstand jener Bürgerinnen und Bürger finden, die sich von seinem brutalen Einsatz für Killertypen wie Assad, für eine undisziplinierte Bande in der Ostukraine und Allianzen mit schiitischen Fanatikern so angewidert finden, dass sie sich der westlichen Werte einer freiheitlichen, demokratischen Wertegemeinschaft besinnen. Und er sollte sich nicht sicher sein, dass  sich doch noch eine Mehrheit im Westen findet, die sich dazu aufrafft, ihn und seine Vasallen zu isolieren, mit und ohne staatliche Sanktionen.

Ein erster Schritt in Deutschland wäre, jene Parteien und Politiker nicht mehr zu wählen, die in einem von seiner Minderwertigkeit getriebenen Potentaten ein Vorbild sehen und dafür bereit sind, die Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung von Millionen Menschen zu opfern.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Georg Dobler / 13.10.2016

Sehr geehrter Herr Ederer, als ich Ihren Artikel las, dachte ich: Wie jung muss dieser Autor sein, hat er doch entscheidende geschichtliche Ereignisse nicht miterlebt. Dann schaute ich nach und sah zu meinem Erstaunen dass Sie älter als ich und ein erfahrener Medienfuchs sind. Es seien mir kleine Erinnerungen erlaubt. 1) Proteste gegen den NATO-Doppelbeschluss 80er Jahre: Nachdem Reagan in Pension war und die Udssr untergegangen war, hörte man immer mehr, dass Reagan der Mann war der die Sowjetunion besiegt habe. Und zwar durch einseitige Aufrüstung, wohlgemerkt: Aufrüstung der Nato. Dadurch sei die Udssr zur Nachrüstung gezwungen und sie somit in den wirtschaftlichen Ruin geführt worden. Dies hörte, sah und las ich des öfteren. Bei seinem Tod wurden diese Lobeshymnen wiederholt. Und es gibt eine lange TV-Dokumentation hierzu, Titel: Das System Reagan. Darin werden seine Intelligenz und seine Raffinesse gelobt, wie er mit Falschinformationen und Aufrüstung die Sowjetunion mittels Gegenrüstung in die Knie gezwungen hat. Das heisst also, wir West-Deutschen wurden mindestens einmal in einer äusserst gravierenden Krieg-Frieden-Rüstungs-Frage angelogen, entweder als man uns sagte, wir brauchen Atom-Raketen denn die Sowjets rüsten aggressiv mit solchen auf oder als man uns sagte Reagan habe durch Aufrüstung die Gegenseite bis zum Untergang getrieben. 2) Kuba, eine uralte Geschichte worin alle und keiner gelogen haben: 1950er und Anfang 60er Jahre. Die Nato stellt in der Türkei Atom-Mittelstrecken-Raketen unweit der Grenze zur Udssr auf. Der westliche Bevölkerung wurde dies verschwiegen. Chrustchschow protestiert und macht dann das Selbe auf Kuba. Das erfährt die West-Bevölkerung natürlich pausenlos. Alle haben Angst vor einem Atomkrieg. Diese Türkei-Nato-Vorgeschichte kann man heute nachlesen wenn man sich gründlich informiert. Nachdem dieser Konflikt beendet war, logen wieder beide. Professor Ganser von der Uni Basel sagte es so: Nach der Konferenz in Wien gingen beide, Chruschtschow und Kennedy, Jeder zu seinen Medienvertretern an getrennten Orten. C sagte: „Wir haben gewonnen, die Amerikaner bauen die auf uns gerichteten Raketen in derTürkei ab.“ K sagte: „Wir ..., die Russen bauen die ... auf Kuba ab.“ Die Bevölkerungen wurde über die vollständigen Zusammenhänge und Geschehnisse nie informiert. Diese beiden Beispiele stehen für Unzählige. Die Russen haben Ihren Propaganda-Apparat, die Amerikaner ihre Think-Tanks und die Atlantikbrücke. Als zunehmend Vertreter dieser Tanks von denen ich nie wusste was ein „Think-Tank“ ist, wer diese Leute sind, was sie wollen, in Talk-Shows aufgetreten sind, habe ich aufgehört diese Sendungen anzusehen. Fazit: Sollte sich eines Tages mit annähernder Gewissheit herausstellen, dass Putin die Verbrechen in Syrien, die Sie anführen, begangen hat, bin ich der Erste der Ihnen vollkommen zustimmt. Solange ich dies nur aus unseren Medien weiss, kann ich einfach nicht wissen ob er überhaupt dieser Verbrecher ist. Aufgrund meiner Lebenserfahrung halte ich mich da zurück. Ich weiss ja nicht, was wir in 20 Jahren darüber gesagt bekommen. Ich würde die Zurückhaltung auch üben wenn Putin seit Amtsantritt ungefähr 3000 vermeintliche oder tatsächliche Feinde Russlands per Unterschrift hätte töten lasen und angeblich immer wieder dabei Unschuldige, Kinder und Frauen kollateral getötet worden wären. Dies soll aber Obama getan haben. Da ich nicht weiss, wer die Getöteten überhaupt sind, warum sie getötet wurden wie hoch die Zahl der kollateral toten Kinder sind, ob es völkerrechtlich überhaupt gestattet ist in fremden Ländern Auftragstötungen durchführen zu lassen und ob die elektronischen Daten für die Drohnen über Ramstein in Deutschland gesendet werden dürfen weil hier ein Grundgesetz gilt, halte ich mich einfach mit Kritik zurück, in Richtung West und Ost.

Karl Heinz Siber / 13.10.2016

Dass die USA im Nahen Osten jede Regierung, die nicht nach amerikanischer Pfeife tanzen will, zu beseitigen trachten (“regime change”), ist unübersehbar. In Afghanistan und im Irak ist ihnen das gelungen. (Dass die gestürzten Regime unappetitliche Diktaturen waren, will ich gar nicht bestreiten, aber das ist das saudische Regime auch, und das war nicht der Grund für den “regine change”.) Auch das Assad-Regime in Syrien steht auf der Abschussliste der USA, daraus machen die Amerikaner auch gar keinen Hehl. Das Assad-Regime regiert sein Land mit harter Hand, ebenso wie das Erdogan-Regime es in der Türkei tut. In beiden Ländern gibt es Kräfte, die, wenn man ihnen freien Lauf ließe, die territorial Integrität des Landes sprengen würden: Die Kurden würden gerne einen eigenen Staat gründen, der dann Teil ehemals türkischen, irakischen und syrischen Territoriums umfassen würde. Die Türkei hegt latente Gebietsansprüche auf den Norden Syriens. Das Assad-Regime ging und geht gegen sezessionistischen Bestrebungen ebenso hart vor wir das Erdogan-Regime, mit dem Unterschied, dass Assad vom Westen als Verbrecher und Massenmörder gegeißelt und zum Abschuss freigegeben wird, während Erdogan als Bündnispartner der Nato offenbar Immunität gegen derlei Vorwürfe genießt. Nach dem Aufsehen erregenden Giftgaseinsatz gegen Zivilisten im Raum Ghuta bei Damaskus im August 2013 behaupteten die USA, Beweise dafür zu haben, dass das Assad-Regime hinter diesem Massaker steckte, und kündigte einen Militärschlag an. Daraufhin forderte Putin die USA auf, die Beweise der UN vorzulegen. Dazu waren die Amerikaner offensichtlich nicht in der Lage, und als sich die Zweifel an der Täterschaft des Assad-Regimes mehrten, blies Obama den schon angekündigten Luftschlag ab. Dass Putin der imperialen Großmachtpolitik der USA im Nahen Osten etwas entgegensetzt, kann ihm niemand vorwerfen. Jedes Land definiert seine Interessen selbst und versucht sie durchzusetzen. Dass Putin ein neues Imperium errichten will, ist eine Unterstellung, für die ich keine Belege kenne. Dass viele Russen, wenn nicht die meisten, die Ukraine (oder zumindest Teile von ihr) als ur-russisches Land betrachten, ist bekannt. Solche Dinge weiß man als Putin-Versteher.

Heinz Stiller / 13.10.2016

Natürlich haben Sie Recht, Herr Ederer. Leider funktioniert aber der Aufbau von politischen Meinungen nicht primär anhand von Informationen, sondern anhand von präkommunikativen Einstellungen, worunter vor allem auch Wunschdenken zu zählen ist. Erst kommen die Einstellungen, die passenden Informationen dazu sucht man sich dann zusammen. Man wünscht sich, Staatsmann x möge gut sein - dann kann man sich selbst weniger bedroht fühlen. Man wünscht sich, Staatsmann y möge schlecht sein - dann kann man sich selbst moralisch überlegen fühlen (und ausserdem kann man dann bei Demos mal so richtig genussvoll die Sau rauslassen, man ist ja auf der richtigen Seite). Ein Musterbeispiel für das Verdrängen von objektiven Tatsachen findet man hier in den Leserzuschriften, bei Herrn Marquardt. Es ist historisch völlig unstrittig, dass Kanzler Schmidt damals über seine Haltung zum Nato-Doppelbeschluss fiel. Die FDP gab ihm nur “den Rest”. Das zu ignorieren, ist schon ein starkes Stück Verdrängung.

JF Lupus / 13.10.2016

Wenn man bei Aleppo von Kriegsverbrechen spricht und sich zu Recht echauffiert… wer hat jemals die Bombardements der deutschen Städte im 2. WK als Kriegsverbrechen bezeichnet? Auch hier richtete sich der Bombenkrieg nicht gegen Soldaten oder militärische Ziele, sondern vorsätzlich gegen die deutsche Zivilbevölkerung, die zur Zeit der Bombenangriffe überwiegend aus Frauen, Kindern, Alten und später dann auch Gefangenen bestand. Das erklärte Ziel (Churchill) war es, die deutschen Auszurotten oder doch so mürbe zu bomben, dass sie gegen Hitler aufstehen würden. Der Bombenterror der Briten und Amerikaner war ein klarer Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung. Pforzheim, Würzburg oder Potsdam sind nur Beispiele für die sinnlosen Bombardements in den letzten Kriegswochen, denn selbst, wenn in Pforzheim Präzisionsinstrumente für den Raketenbau (V2) hergestellt wurde - 1945 war das völlig irrelevant, weil sie den Raketenbau nicht mehr erreichten und dieser auch schon nicht mehr funktionsfähig. Die Bomben in das Trümmerfeld Köln trafen 1945, kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner, auch gerade mal 40.000 Alte, Frauen, Kinder, Kranke - weniger als 5% der ursprünglichen Bevölkerung. Weder hat jemals jemand diese Angriffe als das bezeichnet, was sie waren: Terrorbombardements und Kriegsverbrechen, noch hat es eine Entschuldigung oder gar Wiedergutmachung von Seiten der Alliierten gegeben. Und nein, die Untaten, die Verbrechen Hitlers und seiner Schergen rechtfertigen diese Bomben keineswegs, denn Unrecht mit Unrecht zu bekämpfen, macht Unrecht nicht zu Recht. Das gleiche gilt für die Kriege, die die USA später führten: Korea, Vietnam, Irak - alles Kriegsverbrechen, die bis heute nicht gesühnt sind.

B. Marquardt / 12.10.2016

Sehr geehrter Herr Ederer, Sie befassen sich zu Beginn des Artikels mit der Naivität (na ja, Charakteristikum vieler jungen Leute) der Demonstranten im Oktober 1983 und fahren dann fort: “Sie müssen so naiv gewesen sein, denn sie haben d a n n j a so g a r ihren eigenen Kanzler, Helmut Schmidt,  nicht zuletzt wegen des NATO-Doppelbeschlusses geopfert.” Sie übersehen dabei eins: Kanzler Schmidt war bereits im Vorjahr vom Koalitionspartner FDP geopfert und im März 83 abgewählt worden. Tut mir leid, aber ich habe Ihren Artikel dann nicht weiter gelesen - auch wenn ich im Prinzip ebenfalls der Ansicht bin, dass Putins Propaganda gefährlich ist. Mit freundlichem Gruß B. Marquardt

Oliver Förstl / 12.10.2016

Ein wichtiger Beitrag, der längst überfällig war. Man sollte sich auch an den zweiten Tschetschenienkrieg erinnern, den Putin führte. Das war das größte Massaker an Zivilisten, seit dem Vietnamkrieg. Zur angeblich ur-russischen Krim sollte man wissen, dass diese erst ca. 1770 erobert wurde, also fast 800 Jahre nach der Gründung Russlands. Die einheimische Bevölkerung wurde damals ermordet, vertrieben und unterdrückt. Russland ist und bleibt eine imperiale Macht. Solche Großreiche werden Schwäche ihrer Nachbarn immer als Einladung zum Einmarsch sehen.

Werner Liebisch / 12.10.2016

Die Vergangenheit hat mich gelehrt dass der sogenannte Westen auch immer wieder Massenmörder unterstützte sei es in Chile, Spanien, in vielen afrikanischen Ländern, in Asien und und und. Es wurden legitim gewählte Machthaber beseitigt wenn es für die eigenen Interessen und Geschäfte förderlich war, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung. In Syrien geht es auch wieder um Pipelines, Geschäfte und geostrategische Vormachtstellung aber sicher nicht um die Bevölkerung. Auch die Amerikaner haben Krankenhäuser in die Luft gejagt neben Hochzeitsgesellschaften etc..  Alles Kollateralschäden. Ich glaube schon dass viele Menschen intelligent genug sind um zu kapieren daß nicht nur Putin Propaganda betreibt sondern auch der liebe Westen. Und es gibt und gab in der Vergangenheit immer wieder false Flag Operationen wo nur die tatsächlichen Beteiligten wirklich wissen was vor sich ging. An Bilder, Videos und einseitige Aussagen glaube ich schon lange nicht mehr.

Thomas Robert Rausch / 12.10.2016

Ich glaube nicht dem suggerierten Bild folgen zu sollen, jemand der die USA kritisiert sei automatisch ein Putin Versteher oder Russland Propagandist. Es gibt tatsächlich Menschen die sich bemühen, Europäische Interessen zu definieren und zu verteidigen. Die wissen auch genau wer Putin ist, wissen aber ebenso was in den USA vor sich geht. Besagter General hat ausgleichend die Fehler beider Seiten dargestellt, die den Frieden behindern. Genau das sollte EU Position sein. Denn weder die USA noch Russland werden gegenüber der EU auf ihre Vorteile verzichten. Und es kann nicht im EU Interesse sein, zwischen beiden zerrieben zu werden. Wir erleben jetzt, wie die Europäer die Hinterlassenschaften der USA im Irak zu beseitigen helfen. Hier lässt sich die Regierung Merkel für US Interessen einspannen, schickt Bundeswehr in den Irak. Da gibt es nun die Konstellation, dass die Verbündete Türkei sich von der Irak Regierung absetzt, weil sie ohne deren Willen Türkische Truppen im Land hält. Deutschland bildet aber gerade diese Irak Armee aus für den Sturm auf Mossul. Erdogan will sich beteiligen, wünscht aber keine Schiiten als Partner? Wo führt uns Merkel da hin??Was haben wir im Irak zu suchen? Das ist ein Problem der USA!!

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