Sehr geehrter Herr Ederer, als ich Ihren Artikel las, dachte ich: Wie jung muss dieser Autor sein, hat er doch entscheidende geschichtliche Ereignisse nicht miterlebt. Dann schaute ich nach und sah zu meinem Erstaunen dass Sie älter als ich und ein erfahrener Medienfuchs sind. Es seien mir kleine Erinnerungen erlaubt. 1) Proteste gegen den NATO-Doppelbeschluss 80er Jahre: Nachdem Reagan in Pension war und die Udssr untergegangen war, hörte man immer mehr, dass Reagan der Mann war der die Sowjetunion besiegt habe. Und zwar durch einseitige Aufrüstung, wohlgemerkt: Aufrüstung der Nato. Dadurch sei die Udssr zur Nachrüstung gezwungen und sie somit in den wirtschaftlichen Ruin geführt worden. Dies hörte, sah und las ich des öfteren. Bei seinem Tod wurden diese Lobeshymnen wiederholt. Und es gibt eine lange TV-Dokumentation hierzu, Titel: Das System Reagan. Darin werden seine Intelligenz und seine Raffinesse gelobt, wie er mit Falschinformationen und Aufrüstung die Sowjetunion mittels Gegenrüstung in die Knie gezwungen hat. Das heisst also, wir West-Deutschen wurden mindestens einmal in einer äusserst gravierenden Krieg-Frieden-Rüstungs-Frage angelogen, entweder als man uns sagte, wir brauchen Atom-Raketen denn die Sowjets rüsten aggressiv mit solchen auf oder als man uns sagte Reagan habe durch Aufrüstung die Gegenseite bis zum Untergang getrieben. 2) Kuba, eine uralte Geschichte worin alle und keiner gelogen haben: 1950er und Anfang 60er Jahre. Die Nato stellt in der Türkei Atom-Mittelstrecken-Raketen unweit der Grenze zur Udssr auf. Der westliche Bevölkerung wurde dies verschwiegen. Chrustchschow protestiert und macht dann das Selbe auf Kuba. Das erfährt die West-Bevölkerung natürlich pausenlos. Alle haben Angst vor einem Atomkrieg. Diese Türkei-Nato-Vorgeschichte kann man heute nachlesen wenn man sich gründlich informiert. Nachdem dieser Konflikt beendet war, logen wieder beide. Professor Ganser von der Uni Basel sagte es so: Nach der Konferenz in Wien gingen beide, Chruschtschow und Kennedy, Jeder zu seinen Medienvertretern an getrennten Orten. C sagte: „Wir haben gewonnen, die Amerikaner bauen die auf uns gerichteten Raketen in derTürkei ab.“ K sagte: „Wir ..., die Russen bauen die ... auf Kuba ab.“ Die Bevölkerungen wurde über die vollständigen Zusammenhänge und Geschehnisse nie informiert. Diese beiden Beispiele stehen für Unzählige. Die Russen haben Ihren Propaganda-Apparat, die Amerikaner ihre Think-Tanks und die Atlantikbrücke. Als zunehmend Vertreter dieser Tanks von denen ich nie wusste was ein „Think-Tank“ ist, wer diese Leute sind, was sie wollen, in Talk-Shows aufgetreten sind, habe ich aufgehört diese Sendungen anzusehen. Fazit: Sollte sich eines Tages mit annähernder Gewissheit herausstellen, dass Putin die Verbrechen in Syrien, die Sie anführen, begangen hat, bin ich der Erste der Ihnen vollkommen zustimmt. Solange ich dies nur aus unseren Medien weiss, kann ich einfach nicht wissen ob er überhaupt dieser Verbrecher ist. Aufgrund meiner Lebenserfahrung halte ich mich da zurück. Ich weiss ja nicht, was wir in 20 Jahren darüber gesagt bekommen. Ich würde die Zurückhaltung auch üben wenn Putin seit Amtsantritt ungefähr 3000 vermeintliche oder tatsächliche Feinde Russlands per Unterschrift hätte töten lasen und angeblich immer wieder dabei Unschuldige, Kinder und Frauen kollateral getötet worden wären. Dies soll aber Obama getan haben. Da ich nicht weiss, wer die Getöteten überhaupt sind, warum sie getötet wurden wie hoch die Zahl der kollateral toten Kinder sind, ob es völkerrechtlich überhaupt gestattet ist in fremden Ländern Auftragstötungen durchführen zu lassen und ob die elektronischen Daten für die Drohnen über Ramstein in Deutschland gesendet werden dürfen weil hier ein Grundgesetz gilt, halte ich mich einfach mit Kritik zurück, in Richtung West und Ost.
Dass die USA im Nahen Osten jede Regierung, die nicht nach amerikanischer Pfeife tanzen will, zu beseitigen trachten (“regime change”), ist unübersehbar. In Afghanistan und im Irak ist ihnen das gelungen. (Dass die gestürzten Regime unappetitliche Diktaturen waren, will ich gar nicht bestreiten, aber das ist das saudische Regime auch, und das war nicht der Grund für den “regine change”.) Auch das Assad-Regime in Syrien steht auf der Abschussliste der USA, daraus machen die Amerikaner auch gar keinen Hehl. Das Assad-Regime regiert sein Land mit harter Hand, ebenso wie das Erdogan-Regime es in der Türkei tut. In beiden Ländern gibt es Kräfte, die, wenn man ihnen freien Lauf ließe, die territorial Integrität des Landes sprengen würden: Die Kurden würden gerne einen eigenen Staat gründen, der dann Teil ehemals türkischen, irakischen und syrischen Territoriums umfassen würde. Die Türkei hegt latente Gebietsansprüche auf den Norden Syriens. Das Assad-Regime ging und geht gegen sezessionistischen Bestrebungen ebenso hart vor wir das Erdogan-Regime, mit dem Unterschied, dass Assad vom Westen als Verbrecher und Massenmörder gegeißelt und zum Abschuss freigegeben wird, während Erdogan als Bündnispartner der Nato offenbar Immunität gegen derlei Vorwürfe genießt. Nach dem Aufsehen erregenden Giftgaseinsatz gegen Zivilisten im Raum Ghuta bei Damaskus im August 2013 behaupteten die USA, Beweise dafür zu haben, dass das Assad-Regime hinter diesem Massaker steckte, und kündigte einen Militärschlag an. Daraufhin forderte Putin die USA auf, die Beweise der UN vorzulegen. Dazu waren die Amerikaner offensichtlich nicht in der Lage, und als sich die Zweifel an der Täterschaft des Assad-Regimes mehrten, blies Obama den schon angekündigten Luftschlag ab. Dass Putin der imperialen Großmachtpolitik der USA im Nahen Osten etwas entgegensetzt, kann ihm niemand vorwerfen. Jedes Land definiert seine Interessen selbst und versucht sie durchzusetzen. Dass Putin ein neues Imperium errichten will, ist eine Unterstellung, für die ich keine Belege kenne. Dass viele Russen, wenn nicht die meisten, die Ukraine (oder zumindest Teile von ihr) als ur-russisches Land betrachten, ist bekannt. Solche Dinge weiß man als Putin-Versteher.
Natürlich haben Sie Recht, Herr Ederer. Leider funktioniert aber der Aufbau von politischen Meinungen nicht primär anhand von Informationen, sondern anhand von präkommunikativen Einstellungen, worunter vor allem auch Wunschdenken zu zählen ist. Erst kommen die Einstellungen, die passenden Informationen dazu sucht man sich dann zusammen. Man wünscht sich, Staatsmann x möge gut sein - dann kann man sich selbst weniger bedroht fühlen. Man wünscht sich, Staatsmann y möge schlecht sein - dann kann man sich selbst moralisch überlegen fühlen (und ausserdem kann man dann bei Demos mal so richtig genussvoll die Sau rauslassen, man ist ja auf der richtigen Seite). Ein Musterbeispiel für das Verdrängen von objektiven Tatsachen findet man hier in den Leserzuschriften, bei Herrn Marquardt. Es ist historisch völlig unstrittig, dass Kanzler Schmidt damals über seine Haltung zum Nato-Doppelbeschluss fiel. Die FDP gab ihm nur “den Rest”. Das zu ignorieren, ist schon ein starkes Stück Verdrängung.
Wenn man bei Aleppo von Kriegsverbrechen spricht und sich zu Recht echauffiert… wer hat jemals die Bombardements der deutschen Städte im 2. WK als Kriegsverbrechen bezeichnet? Auch hier richtete sich der Bombenkrieg nicht gegen Soldaten oder militärische Ziele, sondern vorsätzlich gegen die deutsche Zivilbevölkerung, die zur Zeit der Bombenangriffe überwiegend aus Frauen, Kindern, Alten und später dann auch Gefangenen bestand. Das erklärte Ziel (Churchill) war es, die deutschen Auszurotten oder doch so mürbe zu bomben, dass sie gegen Hitler aufstehen würden. Der Bombenterror der Briten und Amerikaner war ein klarer Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung. Pforzheim, Würzburg oder Potsdam sind nur Beispiele für die sinnlosen Bombardements in den letzten Kriegswochen, denn selbst, wenn in Pforzheim Präzisionsinstrumente für den Raketenbau (V2) hergestellt wurde - 1945 war das völlig irrelevant, weil sie den Raketenbau nicht mehr erreichten und dieser auch schon nicht mehr funktionsfähig. Die Bomben in das Trümmerfeld Köln trafen 1945, kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner, auch gerade mal 40.000 Alte, Frauen, Kinder, Kranke - weniger als 5% der ursprünglichen Bevölkerung. Weder hat jemals jemand diese Angriffe als das bezeichnet, was sie waren: Terrorbombardements und Kriegsverbrechen, noch hat es eine Entschuldigung oder gar Wiedergutmachung von Seiten der Alliierten gegeben. Und nein, die Untaten, die Verbrechen Hitlers und seiner Schergen rechtfertigen diese Bomben keineswegs, denn Unrecht mit Unrecht zu bekämpfen, macht Unrecht nicht zu Recht. Das gleiche gilt für die Kriege, die die USA später führten: Korea, Vietnam, Irak - alles Kriegsverbrechen, die bis heute nicht gesühnt sind.
Sehr geehrter Herr Ederer, Sie befassen sich zu Beginn des Artikels mit der Naivität (na ja, Charakteristikum vieler jungen Leute) der Demonstranten im Oktober 1983 und fahren dann fort: “Sie müssen so naiv gewesen sein, denn sie haben d a n n j a so g a r ihren eigenen Kanzler, Helmut Schmidt, nicht zuletzt wegen des NATO-Doppelbeschlusses geopfert.” Sie übersehen dabei eins: Kanzler Schmidt war bereits im Vorjahr vom Koalitionspartner FDP geopfert und im März 83 abgewählt worden. Tut mir leid, aber ich habe Ihren Artikel dann nicht weiter gelesen - auch wenn ich im Prinzip ebenfalls der Ansicht bin, dass Putins Propaganda gefährlich ist. Mit freundlichem Gruß B. Marquardt
Ein wichtiger Beitrag, der längst überfällig war. Man sollte sich auch an den zweiten Tschetschenienkrieg erinnern, den Putin führte. Das war das größte Massaker an Zivilisten, seit dem Vietnamkrieg. Zur angeblich ur-russischen Krim sollte man wissen, dass diese erst ca. 1770 erobert wurde, also fast 800 Jahre nach der Gründung Russlands. Die einheimische Bevölkerung wurde damals ermordet, vertrieben und unterdrückt. Russland ist und bleibt eine imperiale Macht. Solche Großreiche werden Schwäche ihrer Nachbarn immer als Einladung zum Einmarsch sehen.
Die Vergangenheit hat mich gelehrt dass der sogenannte Westen auch immer wieder Massenmörder unterstützte sei es in Chile, Spanien, in vielen afrikanischen Ländern, in Asien und und und. Es wurden legitim gewählte Machthaber beseitigt wenn es für die eigenen Interessen und Geschäfte förderlich war, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung. In Syrien geht es auch wieder um Pipelines, Geschäfte und geostrategische Vormachtstellung aber sicher nicht um die Bevölkerung. Auch die Amerikaner haben Krankenhäuser in die Luft gejagt neben Hochzeitsgesellschaften etc.. Alles Kollateralschäden. Ich glaube schon dass viele Menschen intelligent genug sind um zu kapieren daß nicht nur Putin Propaganda betreibt sondern auch der liebe Westen. Und es gibt und gab in der Vergangenheit immer wieder false Flag Operationen wo nur die tatsächlichen Beteiligten wirklich wissen was vor sich ging. An Bilder, Videos und einseitige Aussagen glaube ich schon lange nicht mehr.
Ich glaube nicht dem suggerierten Bild folgen zu sollen, jemand der die USA kritisiert sei automatisch ein Putin Versteher oder Russland Propagandist. Es gibt tatsächlich Menschen die sich bemühen, Europäische Interessen zu definieren und zu verteidigen. Die wissen auch genau wer Putin ist, wissen aber ebenso was in den USA vor sich geht. Besagter General hat ausgleichend die Fehler beider Seiten dargestellt, die den Frieden behindern. Genau das sollte EU Position sein. Denn weder die USA noch Russland werden gegenüber der EU auf ihre Vorteile verzichten. Und es kann nicht im EU Interesse sein, zwischen beiden zerrieben zu werden. Wir erleben jetzt, wie die Europäer die Hinterlassenschaften der USA im Irak zu beseitigen helfen. Hier lässt sich die Regierung Merkel für US Interessen einspannen, schickt Bundeswehr in den Irak. Da gibt es nun die Konstellation, dass die Verbündete Türkei sich von der Irak Regierung absetzt, weil sie ohne deren Willen Türkische Truppen im Land hält. Deutschland bildet aber gerade diese Irak Armee aus für den Sturm auf Mossul. Erdogan will sich beteiligen, wünscht aber keine Schiiten als Partner? Wo führt uns Merkel da hin??Was haben wir im Irak zu suchen? Das ist ein Problem der USA!!
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