Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 29.03.2007 / 17:15 / 0 / Seite ausdrucken

Praktische Umweltpolitik

Was deutschen Journalisten als Information “unter 2” (§ 16 I der Satzung der Bundespressekonferenz) bekannt ist, nämlich die Auskunft zur Verwertung ohne Quelle und ohne Nennung des Auskunftsgebenden, läuft im angelsächsischen Kulturkreis unter der Bezeichnung Chatham House Rule. Es sind für gewöhnlich die interessanteren Gespräche, die man mit Politikern führen kann, wenn sie einmal frei reden können, ohne sich um ihre Wiederwahl Gedanken machen zu müssen. Dabei führen die so übermittelten Auskünfte jedoch nur allzu deutlich vor Augen, auf welch merkwürdigen Annahmen Politik manchmal beruht.

Ein solches Chatham House Rule-Gespräch hatte ich heute Morgen mit einem britischen Politiker, und es ging um die Perspektiven der Klimapolitik. Es war nicht weiter überraschend, dass der Politiker den Klimawandel für das drängendste aller unserer Probleme hielt - überraschend war höchstens, dass er dies auch noch “off the record” meinte. Spannend hingegen fand ich seine Sicht auf die Verhandlungen um ein Kyoto-Nacholgeabkommen. Er stellte fest, dass man realistischerweise nicht davon ausgehen sollte, dass ein Prozess, der die Zustimmung von 190 Regierungen voraussetzt, zu einem sinnvollen Ergebnis führen kann. Die einzige realistische Alternative dazu wäre, ein Abkommen der 20 größten Treibhausgasemittenten (die zusammen 80 Prozent der weltweiten Emissionen verursachen) anzustreben. In einem solchen, kleineren Kreis wäre es wahrscheinlich viel leichter, Ergebnisse zu erzielen. Nachfrage: “Aber wenn das so ist, warum sollten sich nicht weitere Länder der Asia-Pacific Partnership on Clean Development and Climate anschließen?” Das hätte doch auch den Vorteil, dass die USA, China und Indien vom ersten Tag an sofort mit an Bord wären.” Antwort des Politikers: “Aber niemand würde dieser Initiative vertrauen, es muss daher unter dem Dach der Vereinten Nationen stattfinden.”

Ein schöner Fall von Catch-22: Mit den Vereinten Nationen gibt es kaum Chancen auf ein praktikables neues Klimaabkommen, insbesondere deshalb nicht, weil sich die Amerikaner keinen Emissionszielen unterwerfen werden, wenn Chinesen und Inder nicht einbezogen werden. Außerhalb der Vereinten Nationen und ohne verbindliche Vorgaben sind sowohl Amerikaner als auch Chinesen und Inder zu internationalen Klimainitiativen bereit, denen sich aber andere Länder nicht anschließen werden, weil sie solchen Nicht-UN-Abkommen in der Klimapolitik nicht trauen. Nur in einem UN-Klimaprozess mit 190 Regierungen wird es kaum ein praktikables Abkommen geben.

Noch interessanter war die Diskussion über den Bericht des Ökonomen Nicholas Stern. “Ja,” gab der Politiker zu, “der Bericht war wohl methodisch nicht sauber”, fügte aber sofort hinzu, dass das an der Dringlichkeit von Maßnahmen gegen den “gefährlichen” Klimawandel nichts ändere. Der CO2-Ausstoß müsse beschränkt werden, außerdem seien Emissionsabgaben notwendig. Nachfrage: “Wie hoch sind denn Ihrer Meinung nach die sozialen Kosten einer Tonne Kohlendioxid? Sind es die 85 Dollar, die Stern annimmt? Oder mehr? Oder weniger?” Antwort: “Ehrlich gesagt: das kann niemand sagen, wie hoch die sozialen Kosten sind. Wir wissen es nicht.” Mit anderen Worten: Es ist eine Art wirtschaftspolitischer Blindflug, wenn man eigentlich nicht einmal ansatzweise etwas über die Kosten der Emissionen aussagen kann. Zwar lässt sich ökonomisch tatsächlich auch ohne genaue Kenntnis dieser Kostenfunktionen argumentieren (der sog. Standard-Preis-Ansatz, der vor über dreißig Jahren von Baumol und Oates entwickelt wurde), aber es bleibt dann letztlich bei einer “trial-and-error”-Politik, weil man erst im Nachhinein feststellen kann, inwiefern die Steuern zu einer Emissionsminderung in der gewünschten Höhe geführt haben. Ob diese Minderung dann den sozialen Kosten angemessen war, steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt.

Wie dem auch sei: Ökonomen mögen sich Gedanken um eine rationale und effiziente Umweltpolitik machen, aber in der praktischen Politik dominieren andere Interessen. Besagter Politiker gab unumwunden zu, dass sich alle Parteien bemühten, sich als “grüner als grün” darzustellen, wozu eben eine Reihe von Maßnahmen gehörten, selbst wenn sie auf fragwürdigen Annahmen beruhten. Und so dürfen wir uns in der Klimapolitik wohl auch in Zukunft auf Öko-Steuern und langwierige UN-Klimaverhandlungen freuen, von denen selbst die an ihnen beteiligten Politiker letztlich wissen, dass sie wenig Sinn ergeben.

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