Rainer Bonhorst / 14.09.2016 / 06:10 / Foto: Bundesarchiv / 14 / Seite ausdrucken

Populismus, Volkismus und Levitation

Gegen das Volk ist im Prinzip nichts einzuwenden. Allenfalls wenn es völkisch wird. Dann hat der neutrale, also nicht völkische Beobachter ein Problem. Aber auch ohne diese Völkerei ist das mit dem Volk so eine Sache. Jedenfalls wirft es immer wieder vertrackte sprachpolitische Probleme auf. Dass das Volk, so gut gemeint es ist, auch irgendwie anrüchig ist, erkennt man zum Beispiel daran, dass man an politisch zentraler Stelle der „Bevölkerung“ den Vorzug vor dem „Volk“ gegeben hat.

Anderseits kann das Volk auch etwas wunderschönes sein, wie damals im Osten, als es demokratieselig rief: Wir sind das Volk. Ach ja, wir, das Volk. We the people, schrieben die Autoren der amerikanischen Verfassung. Da ging der Ärger schon los, weil das „Volk“ ausschließlich aus weißen Männern bestand. Frauen aller Hautfarben, schwarze Sklaven und Indigene, also zum Beispiel Winnetou, gehörten nicht zum Volk. Immerhin hatten die Amerikaner wenigstens eine Verfassung, in der das Volk teilweise vorkam. Für die europäischen Zeitgenossen war das Volk bloß der Pöbel.

Der Pöbel ist, von oben betrachtet, das Unterste. Aber im Kern ist auch er das Volk. Schließlich hat der Pöbel respektable sprachliche Vorfahren in Gestalt des französischen peuple, aus dem das englische (we the) people wurde. Und, wichtiger noch: Beide stammen aus uraltem lateinischen Adel, dem populus.

Populus? Uralt hin, latein her: Populus klingt verdammt nach Populismus

Populus? Uralt hin, latein her: Populus klingt verdammt nach Populismus. Und Populismus klingt verdammt nach Pöbel. Warum? Was ist da geschehen? Aus dem edlen Volk namens populus wurde zunächst der Pöbel und dann wurden die, die auf den Pöbel hören, zu fiesen Populisten. Offenbar ist das Volk immer mehr auf die schiefe Bahn geraten.

Das Merkwürdige daran: Der pöbelhafte Populismus wurde ausgerechnet in einer Zeit erfunden, als nach und nach die Demokratie, also die Herrschaft des Volkes, um sich griff. Wieder wurde aus dem feinen, diesmal griechischen demos, etwas Unfeines. Die Volksherrschaft hat offenbar das Problem, dass das Volk, das herrschen soll, als Pöbel nicht satisfaktionsfähig ist. Und wer das Volk nicht als Pöbel betrachtet, gilt als unfeiner Populist. Jedenfalls in den Augen der Herrschaften, die sich durch demokratische Levitation über den Pöbel erhoben haben.

Spätestens jetzt erhebt sich die Frage, wie populistisch das Volk selber ist. Sprachlich liegt der Verdacht nahe, dass es so ist. Volk und populus sind kaum voneinander zu trennen. Um aber den stark belasteten Begriff „populistisch“ und das noch stärker belastete „völkisch“ zu vermeiden, empfehlen wir an dieser Stelle, den Seelenzustand des Volkes einfach als „volkistisch“ zu bezeichnen.

Noch neutraler wäre es, das Volk einfach die Leute zu nennen

Noch neutraler wäre es, das Volk einfach die Leute zu nennen. In diesem Fall könnte man von „Leutismus“ sprechen. Die offiziell im Reichstag platzierte Bevölkerung steht natürlich auch zur Debatte, macht die Sache aber unnötig kompliziert: „Bevölkerismus“ oder „Bevölkerungismus“ – das wäre dann die schwer zu beantwortende grammatikalische Frage.  Eine Lösung wäre das Latein: Da populus nicht nur das Volk sondern auch die Bevölkerung meint, könnten die Anhänger der Bevölkerung ohne Weiteres den Populismus für sich in Anspruch nehmen. Das würde aber zu Verwechslungen mit dem Volk führen, von dem sich die Bevölkerung ja absetzen möchte. Jedenfalls auf deutsch. Die alten Römer hatten dieses Problem offenbar noch nicht. 

Wie dem auch sei: Wir bleiben besser beim Volkismus. Wie aber ist der Volkismus des Volkes politisch einzuschätzen? Ist er so schmuddelig wie der Populismus? Das ist leider zu befürchten, denn Volkismus und Populismus sind ebenso so austauschbar wie Volk und populus. Wir, das Volk, wir sind, wie es scheint, allesamt Schmuddelkinder. Ist es da ein Wunder, dass die durch Levitation sauber gebliebenen Schichten der Bevölkerung die Berührung  mit den Schmuddelkindern scheuen?

Foto: Bundesarchiv CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Michael Scheffler / 15.09.2016

Ich finde, dass es “Leutinnen” heißen sollte..

JF Lupus / 14.09.2016

@ Bernd Matzkowski : das Bedauerliche ist, dass dieser “Eid” nicht das Papier wert ist, von dem er abgelesen wird. Denen, die diesen Eid geschworen haben, passiert nämlich nichts, gar nichts, absolut nichts, wenn sie diesen Eid nicht halten und sogar wissentlich und vorsätzlich dagegen verstoßen. Es gibt nur ein einziges Mittel für uns, das Volk, dem entgegen zu wirken: Art 20.4 GG. Aber ich mache jede Wette, dass jemand, der sich bei Aktionen auf 20.4 GG beruft, von allen Gerichten dieses Landes verurteilt wird.

Michael v. Hauff / 14.09.2016

Lieber Herr Bonhorst. Daß Sie kein Ideologe sind,  erkennt man am feinen Humor, den Sie sowohl auf als zwischen den Zeilen einsetzen. Aber hier sei meine (und vielleicht auch Ihre Erinnerung) eingebracht: Sprache lebt. In meiner Kinderzeit hätte meine Mutter streng geguckt, wenn ich nach Hause gekommen wäre und fröhlich verkündet hätte, “Die neue Lehrerin, die wir haben ist sooo geil.” Dieses Wort - ursprünglich ganz unschuldig,  war auf die schiefe “Bahn” geraten und ausgerechnet die letzte Generation hat es wieder hoffähig gemacht. Oder denken Sie, wie kunstvoll man heute den Begriff “Neger”  umschiffen muss, der ja nichts weiter als ein sehr äußeres Merkmal von Menschen in Richtung Farbe (“nigra”) ausdrückt während der Begriff “Weißer” keineswegs als rassistisch empfunden wird. Nur wenn man sagt: Er/Sie ist kein “Weißer” setzt sich wieder die Psychkeule der Political Correctness (PC) in Marsch. Die lieben PC haben dann den Afro-Amerikaner erfunden, die Deutschen die “Willkommenskultur ” und die kulturelle Bereicherung. Der Hinweis, daß diese kulturelle Bereicherung mit finanzieller Entreicherung gerade der Ärmsten bei uns verbunden ist, ist schon wieder nicht PC. Was man sagen darf und was nicht, wenn man nicht ausgegrenzt oder als Journalist oder oder entlassen sein will, ist auf einem Laufband der PC sauber abgesteckt. Die Begrenzung nach links ist offen,  nach Rechts wird sie von Linken, sehr Linken,  noch Linkeren, die eifrig von einander abschreiben, mit Stacheldraht begrenzt. Daß das halb-tot-Schlagen von Polizisten in unsrer Presse nicht mehr als ein Ts,Ts ausgelöst hat aber keine “Aktion” gegen Links, sondern Maas und Co nur Institutionen fördern, die sich seiner Eigendefinition entsprechend gegen den bösen Feind auf der Rechten widmen, ist offensichtlich. Da muss die AfD in BW sich in zwei Fraktionen geteilt habend einen Untersuchungsausschuß gegen “Links” einfordern, der nicht etwa sachlich bekrittelt wird, sondern als böser Triock der bösen Rechten “Populisten” gebranntmarkt wird. Wenn von Parteien die Rede ist, dann ist es immer die SPD, CDU, Grünen, FDP, Linken und die “rechtspopulistiosche AFD”. Keineswegs die Rede von den wendehälsigen Freidemokraten, den SED-Linken, den entchristlichten Demokraten und den säbelrasselnden Grünen.  Bitte machen Sie weiter - M. v,Hauff

Manfred Zonker / 14.09.2016

Interessanterweise wird die Zusatzbezeichnungen “populistisch” wie selbstverständlich von den meisten Medien bei der Benennung der als “rechts” eingestuften Parteien verwendet,  gerade so, als ob diese sich selbst diesen Namen gegeben hätten oder als ob man den Zuschauer / Leser vor etwas warnen müsste. Keiner käme auf die Idee, die SPD mit ihrer Wetterfahne Sigmar Gabiel als “populistisch” zu bezeichnen, obwohl gerade diese wie auch alle anderen Parteien stets um die Gunst ihrer Wähler buhlen und hierzu auch nicht vor einem plötzlichen Meinungswechsel zurückschrecken. Um hier ausgwogen zu berichten, müssten die Medien ebenso “Linke”  und “Grüne” als linkspopolistisch bezeichnen. Dabei stellt sich ja die Frage, ob nicht gerade die Parteien, die auf das Volk hören und sich als dessen Stimme und Vertreter verstehen, die besten Volks-Vertreter in unserer Demokratie sind. Das Menschen, die sich über die abgehobenen Volks-ver-Treter mit Wut im Bauch öffentlich äussern und dafür zu drastischen Formulierungen greifen, die ihrem Unmut Ausdruck verleihen, ist doch nur zu verständlich. Sie werden als “Pöbel” und “Dummvolk” diffamirt. Die stets abwertend gemeinte Bezeichnung “Populismus” brandmarkt eine Haltung als “dümmlich”, “unreflektiert” und “zu kurz gedacht”, “zu emotional” u.ä.  Sie wird z.B. in Talkrunden immer gerne verwendet, wenn die Argumente auszugehen drohen. Eine ähnlich dümmliche Bezeichnung ist für mich der “sogenannte Islamische Staat”.

Cornelius Angermann / 14.09.2016

Wie Sie schon schreiben, ist die Gleichsetzung von Volk und Bevölkerung nicht ganz unproblematisch. Während das eine eine objektive Größe beschreibt, meint das andere eigentlich einen Vorgang, der das Füllen eines Territoriums mit Menschen meint, die es dort vorher nicht gab. Der Unterschied wird uns sofort klar, wenn wir uns fragen, ob es einen Bevölkerungswagen gibt. Oder ein Bevölkerungsfest, eventuell gepaart mit einem Bevölkerungsbegehren. Ok, die beiden letzteren Dinge gibt es eigentlich schon, man konnte sie zu Silvester 2015 auf der Kölner Domplatte beobachten, als deutsche Neubürger in einem Anfall von “Bevölkerungsbegehren” auf Frauen losgingen, um ein “Bevölkerungsfest” zu feiern. Da wären dann auch noch solche Begriffe wie Bevölkerungslied, Bevölkerungsschule oder der dann höchst interessante akademische Grad “Bevölkerungswirt”, nicht zu vergessen der “Bevölkerungsmund”, ein sehr interessanter neuer Körperteil. Ich führe dies hier so ausführlich aus, um zu demonstrieren, wie abstrus die Ablehnung und Substitution dieses Begriffes ist, nur weil er in der NS-Zeit missbraucht wurde. Auch die Autobahnen wurden damals ideologisch missbraucht, ebenso der Begriff Mutter. Wenn wir all die Begriffe, die in der NS-Zeit für deren Zwecke instrumentalisiert wurden, nicht mehr gebrauchen dürften, dann wäre die deutsche Sprache mit einem Schlag deutlich wortärmer. Es sind letztlich nicht allein die Wörter sondern auch der Kontext, der den Sinn mitbestimmt. In diesem Sinn halte ich auch den Begriff “völkisch” als Adjektiv zu Volk nicht für per se negativ, allerdings schon für veraltet. Traditionsverhaftet trifft das, was völkisch eigentlich ausdrücken sollte, viel besser. Mit freundlichen Grüßen Cornelius Angermann

Udo Lattek / 14.09.2016

Tja, verehrter Herr Bonhorst, ich kann mich auch noch an die die Zeiten erinnern, als die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG noch nicht flächendeckend 3.Liga war. Haben wir Glück gehabt, daß wir in diesem Zeitfenster leben durften. Heute wären Sie dort ein Unberührbarer.

Karl-Heinz Vogt / 14.09.2016

Wie wahr! Weder die Römer noch eine der heute existierenden Nationen hatten bzw. haben ein Problem mit dem Volk, mit Ausnahme der deutschen. Gut, daß die Grünen, die Sozialdemokratie und die SED die Lösung des Problems bereits gefunden haben: gemäß der bewährten linken Losung “Macht kaputt, was Euch kaputt macht” schaffen die das deutsche Volk einfach ab. Genial! Keine Deutschen, keine Nazis, keine Populisten - alles so schön bunt hier. Und die Laschets und Wölkis machen mit.

Magdalena Schubert / 14.09.2016

Als ich vor einigen Tagen über den erneuten “Fauxpas” von Frauke Petry stolperte (d.h. über die Schlagzeilen desselbigen) war ich doch ziemlich ratlos. Ich hab mich jedoch nicht eingehend damit befasst, sprich, ich kenne weder den genauen Zusammenhang noch die Umstände, die dazu geführt haben und vermute auch eine nicht unbedingt wohlwollende Interpretation der Medien. Da mir die Begriffe “Volk” und “völkisch” aber nicht aus dem Kopf gehen wollten, hab ich sie im Etymologischen Wörterbuch des Deutschen nachgeschlagen und gebe sie hier nun wieder: Volk - aus einer Vereinigung von Stämmen hervorgegangene ethnische Gemeinschaft, Bevölkerung eines Landes, (die einfachen) Leute, Menschenmenge. Völkisch - Adj, ein Volk betreffend, zu ihm gehörend, von ihm ausgehend (16. Jh.) Vielleicht wäre es sinnvoll, sich wieder auf die schlichte und ursprüngliche Bedeutung dieser Worte zu besinnen und sie nicht nur einseitig bzw. negativ zu assoziieren und zu interpretieren (?)

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com