Der Branchendienst Meedia kündigte am Donnerstag schon in seiner Überschrift die Geschichte eines schweren internationalen Konflikts an: Die ARD gegen Polen.
„ARD beklagt Nazi-Hetze der polnischen Politik gegen Korrespondentin Annette Dittert”
Und weiter: „Die ARD-Korrespondentin Annette Dittert sieht sich nach einer kritischen Doku bei Arte Hetze durch höchste Regierungskreise in Polen ausgesetzt.” Nazi-Hetze der polnischen Politik? Regieren in Warschau nicht mehr Politiker der nationalkonservativen PiS, sondern schon wieder die Nationalsozialisten? Und die wiederum hetzen – gewissermaßen als erste Amtshandlung – gegen eine ARD-Korrespondentin wegen einer Dokumentation bei Arte?
Aber eins nach dem anderen. In der Dokumentation „Polen vor der Zerreißprobe – eine Frau kämpft um ihr Land“ begleitete die ARD-Journalistin Annette Dittert die oppositionelle EU-Abgeordnete Róża Thun durch ihren Wahlkreis. Bei dem Meedia-Text handelt es sich um eine umgeschriebene ARD-Meldung über die Folgen der Dokumentation, wobei „umschreiben“ hier bedeutet hatte, ihr noch eine Umdrehung hinzuzufügen.
Im Original liest sich die Mitteilung des Senders so:
„Hetze gegen ARD-Reporterin“
Stand: 11.01.2018 11:59 Uhr
Im Dezember zeigte arte eine kritische Dokumentation der ARD-Korrespondentin Dittert über Polen. Ein normaler Vorgang – doch seitdem hetzen rechte Polen gegen Dittert und eine polnische Oppositionelle. Der polnische Vizepräsident des EU-Parlaments zog Nazivergleiche.
Es war eine Reportage über die aktuelle Situation in Polen, mit der ARD-Korrespondentin Annette Dittert einen Proteststurm in dem Land auslöste. Der Film “Polen vor der Zerreißprobe – Eine Frau kämpft um ihr Land” lief Ende Dezember auf arte. Dittert – die von 2000 bis 2004 ARD-Korrespondentin in Warschau war – hatte dafür die polnische Europaparlamentarierin Róża Thun auf einigen ihrer Reisen durch den Wahlkreis Kleinpolen begleitet.“
Nicht näher spezifizierte „rechten Polen“
Also keine „Nazi-Hetze“ mehr, sondern nur noch Hetze von nicht näher spezifizierten „rechten Polen“, beziehungsweise ein „Proteststurm“. Das heißt: Ein Politiker wird genannt, nämlich der polnische EU-Abgeordnete Ryszard Czarnecki. Ihm missfiel der Dokumentarfilm aus politischen Gründen, er verglich die ARD-Frau Dittert mit Leni Riefenstahl und die polnische EU-Parlamentarierin Róża Thun, die von Dittert begleitet wurde, mit Kollaborateuren während der deutschen Besetzung Polens. Beides ist zweifellos grobschlächtig und abstrus.
Allerdings gehört der EU-Abgeordnete Czarnecki der polnischen Regierung überhaupt nicht an. Es hetzen also erstens keine „höchsten Regierungskreise“ gegen Annette Dittert. Die „Nazi-Hetze“ stellt sich zweitens als einer der auch in Deutschland sehr beliebten Nazi-Vergleiche beziehungsweise Nazi-Beschuldigung heraus. Und bis eben noch qualifizierte sich – gerade in Deutschland, dem Mutterland aller Nazivergleiche – nicht derjenige als Nazi, der andere in Nazi-Nähe rückt.
Anderenfalls hätte die SPD mit ihrem stellvertretenden Parteichef Ralf Stegner ein ernsthaftes Problem. Auch kommentierte hierzulande weder Meedia noch sonst irgendjemand: „Nazi-Hetze des ZDF gegen die AfD“, als Jan Böhmermann in einem Tweet sämtliche AfD-Bundestagskandidaten noch nicht einmal mit Nazis verglich, sondern Nazis nannte. Nach dem „Stern“-Titel, der Donald Trump mit Hitlergruß und der Schlagzeile „Sein Kampf“ zeigte, hieß es auch nicht: „Nazihetze von Gruner + Jahr gegen USA“.
Das Nazi-Gerufe eines polnischen Europapolitikers kann man durchaus hysterisch nennen. Aber es wirkt keinen Deut hysterischer als Schlagzeile und Text des Medien-Magazins Meedia.
Ensteht nach Israelkritik jetzt auch das Genre der Polenkritik?
Und nun zur ARD. „Eine kritische Dokumentation über Polen“ – das klingt schon einmal ziemlich schlecht. Denn es soll ja, wie oben beschrieben, um eine polnische EU-Abgeordnete gehen, die den Kurs der gegenwärtigen polnischen Regierung kritisiert, und nicht darum, das Land in toto einer Kritik zu unterziehen.
Oder doch? Entsteht in deutschen Medien und speziell in den öffentlich-rechtlichen nach dem Vorbild der beliebten Israel- jetzt auch das Genre der Polenkritik? Der Filmtitel „Polen vor der Zerreißprobe – Eine Frau kämpft um ihr Land” macht nicht gerade den Eindruck eines differenzierungswilligen Dokumentarstücks. Zwar gibt es in Polen einen tiefen Konflikt zwischen Anhängern der Regierungspartei und der Opposition, zwischen denjenigen, die notfalls die EU verlassen würde, und denen, die auf jeden Fall bleiben wollen. Aber in seiner Geschichte hatte das Land ganz andere Zustände durchzustehen, bei denen es mehrere Male buchstäblich, also territorial, zerrissen wurde. Ein dezenter Hinweis an ARD-Medienschaffende: Verantwortlich dafür waren jedenfalls keine innerpolnischen Mächte.
Noch einmal ganz kurz zurück zum Genre „Polenkritik“: Im Jahr 2016 sendete Extra 3, also der NDR, ein Spottlied nicht nur über die dortige Regierung, sondern ganz Po-Po-Po-Polen, das als dumpfes, frömmelndes Ostland abkonterfeit wurde.
Über den Tod von Lech Kazcynski lustig machen
Und in einer vom ZDF übertragenen Karnevalssendung legte der Kabarettist Lars Reichow nahe, PiS-Wähler seien unzurechnungsfähige Wodkasäufer; außerdem hielt er es für spaßig, sich über den Tod von Lech Kazcynski lustig zu machen, den Zwillingsbruder von PiS-Chef Jarosław Kaczyński. Der frühere polnische Präsident war zusammen mit vielen anderen Spitzenpolitikern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Vielleicht liegt es an solchen öffentlich-rechtlichen Höchstleistungen, dass manche PiS-Vertreter mittlerweile gereizt auf deutsche Sendungen reagieren.
Der Film Ditterts über die Oppositionspolitikerin Róża Thun ist zwar nicht ganz so dumpf – aber leider auch nicht gut. Denn er erzählt und erklärt sehr wenig. Die Zuschauer hören Thuns Ansichten, diese Passagen gehören noch zu den substanziellsten. In einer Szene zeigt Dittert eine Demonstration von PiS-Anhängern und eine Gegendemonstration. Im Kommentar aus dem Off heißt es dazu, immer wieder würden Teilnehmer von regierungskritischen Demonstrationen festgenommen, obwohl die Versammlungen legal angemeldet seien. Man sieht, wie die Polizei einen älteren Mann wegführt, der etwas an einem Transparent macht, das an einem Gebäude hängt. Hat er es dort angebracht? Oder versucht zu entfernen? Was steht auf dem Stoff? Wer ist der Mann? Davon erfährt der Zuschauer nichts.
Eine andere Aufnahme zeigt eine PiS-Demonstration mit Jarosław Kaczyński an der Spitze, der, wie die Kommentatorin meint, „das Land wieder nach außen abschotten lässt“. Nun kann nach wie vor jeder EU-Bürger nach Polen reisen, auch jeder andere, der im Besitz eines gültigen Visums ist. Das östliche EU-Land nahm hunderttausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus der Ukraine auf, weitgehend unbemerkt von den deutschen Medien.
Was also meint die ARD-Redakteurin genau mit „abschotten“? Über die Demonstranten im Bild heißt es in vorwurfsvollem Ton: „Brüssel und Berlin werden immer in einem Atemzug genannt“. Was genau ist der Vorwurf? Dittert berichtet außerdem, die Demonstranten würden „raus aus der EU“ skandieren – „und gleich danach die Werte, die für sie von nun an gelten sollen: Gott, Ehre, Vaterland“. Europäische Union einerseits und „Gott, Ehre, Vaterland“ hält sie offenbar für Gegensätze. Wahrscheinlich fällt ihr gar nicht auf, dass sie damit genau so argumentiert wie die PiS-Anhänger – nur mit anderem Vorzeichen. Und wie sie überhaupt den aufgedrehten Tonfall übernimmt.
Wie wäre es eigentlich, wenn die ARD den Text auf ihrer Seite ändern würde, von „Hetze gegen ARD-Reporterin“ in: „Kritik an Arte-Dokumentation über Polen“? Das wäre eine so genannte vertrauensbildende Maßnahme.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Alexander Wendts Seite Publico