Von Johannes Eisleben
In Deutschland beobachten wir seit Jahrzehnten einen zunächst sehr langsamen Verfall des Staates, der sich 2010 mit der Eurorettung erst deutlich, dann 2015 mit der Grenzöffnung beschleunigt hat. Dieser Staatsverfall ist für unser ganzes Volk, auch für diejenigen, die ihn – ob aus Machtgier oder aus törichter Gesinnungsethik – betreiben, auf die Dauer sehr bedrohlich.
Doch er wird absurderweise von einem breiten Konsens der Öffentlichkeit – großen Tages- und Wochenzeitungen, Privatsendern, den staatlichen Medien sowie zahlreichen Intellektuellen und Prominenten – gutgeheißen, positiv kommentiert und weiter beschleunigt: politisches Handeln gegen die eigenen Interessen. Wenn dieser Prozess des Staatszerfalls nicht gestoppt wird, werden wir auf sehr schmerzhafte Weise daran erinnert werden, wozu ein funktionierender Staat eigentlich gut ist; ansatzweise ist das jetzt schon zu sehen.
Um den Staatsverfall zu verstehen, schauen wir zunächst kurz darauf, was die Aufgaben des Staates eigentlich sind. Knapp gesagt, ist der Staat dazu da, Institutionen bereitzustellen, die von einzelnen Individuen nicht verfügbar gemacht werden können, obwohl die Bürger sie benötigen. Die wesentliche Funktion der staatlichen Institutionen ist es, ein friedliches Zusammenleben der Bürger zu ermöglichen. Das Wirken dieser Institutionen erzeugt die wichtigsten Ausprägungen der Staatlichkeit: den Ordnungsstaat, den Rechtsstaat und den Sozialstaat.
Obwohl alle drei auch ohne Demokratie zu haben sind, leben wir in der großartigen historischen Ausnahmesituation eines demokratischen Staates. Dieser zeichnet sich durch Gewaltenteilung, demokratische Öffentlichkeit und politische Partizipation aller Bürger aus. Die Partizipation ist in unserer repräsentativen Demokratie zwar eingeschränkt, aber immerhin durch das Wahlrecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Möglichkeit, die Judikative zum Schutz gegen Missbrauch staatlicher Gewalt anzurufen, vermittelt. Wir sehen heute aber, wie der Staat seine Funktionen immer schlechter erfüllt, gleichzeitig auch seine demokratische Konstitution zersetzt, indem er den Bürgern verschiedene Partizipationsrechte zu nehmen versucht, mit anderen Worten: die Demokratie abbaut.
Der Verfall des Ordnungsstaats
Der Ordnungsstaat im engeren Sinne dient der Aufrechterhaltung des inneren und äußeren Friedens. Der innere Friede wird einerseits positiv durch eine implizite Zustimmung der Bürger zum Staat erzeugt, anderseits negativ durch das staatliche Gewaltmonopol, Gebote, Verbote, Strafandrohung, Strafdurchsetzung und Staatsgrenzen gewahrt. Der äußere Friede wird durch Staatsgrenzen, internationale Verträge, Diplomatie sowie eine hohe Verteidigungsbereitschaft und militärische Eingriffsfähigkeit zur Wahrung essentieller Interessen gesichert.
In Deutschland sehen wir im Inneren eine Erosion des Gewaltmonopols. In Großstädten haben sich Enklaven gebildet, in denen die Staatsgewalt dieses nicht mehr durchsetzt und sich rechtsfreie Räume gebildet haben, in denen die Scharia, ein religiös fundiertes, archaisches Recht, die vom Staat hinterlassene Lücke zu füllen beginnt. Der öffentliche Raum in Großstädten ist nicht mehr sicher; schwere Gewaltkriminalität, Mord und Gewalt gegen die sexuelle Selbstbestimmung nehmen drastisch zu. Dabei geht der Anstieg vor allem von Migranten aus, die aus Kulturen ohne Rechtsstaat in unser Land kommen.
Auch die Judikative stützt das Gewaltmonopol nicht mehr ausreichend, insbesondere in der Durchsetzung des Strafrechts, das ohne Ansehen des kulturellen Hintergrunds eines Täters angewendet werden muss, in der Anklage- und Urteilspraxis aber massive Unterschiede je nach Täterherkunft macht. Die 2015 vollzogene Grenzöffnung entzieht dem Staat seine Substanz, denn ohne Grenzen kann es einen Staat gar nicht geben. Die zynische Behauptung unserer Regierung, das High-Tech-Land Deutschland sei physisch nicht in der Lage, seine Grenzen zu schützen, ist ein Ausdruck der Verachtung unserer Verfassung und unseres Landes – selbstverständlich wäre dies möglich, wenn der politische Wille dazu vorhanden wäre.
Nach außen erodiert der Ordnungsstaat ebenfalls, die exekutive Fähigkeit zur Verteidigung des Staatsgebiets und zur Abschreckung potenzieller Aggressoren wird durch massive Investitionsdefizite, strategisch sinnlose Fehleinsätze im Ausland (wie etwa in Afghanistan) und durch eine konsequente Demoralisierung der Bundeswehr stark reduziert. Auch zu einer interessenwahrenden Außenpolitik ist Deutschland nicht mehr fähig, insbesondere nicht im Verhältnis zu den EU-Vertragspartnern: Vom Irrglauben besessen, das Zeitalter des Nationalstaats sei schon vorbei, werden ohne Rücksicht auf uns Bürger, den Souverän unseres Staates, implizit und explizit hoheitliche Kernkompetenzen wie das Budgetrecht auf die EU übertragen.
Die EU ist aber eine Entität, die rechtlich keinen Staatscharakter hat, sondern lediglich ein auf zwischenstaatlichen Verträgen beruhendes Institutionengebilde, das ohne echte demokratische Legitimation, ohne demokratische Öffentlichkeit, ohne Gewaltenteilung, ohne Gesellschaftsvertrag und ohne Verfassung ist.
Der Verfall des Rechtsstaats
Unser Rechtsstaat wird ebenfalls zersetzt. Denn heute erscheint unseren staatlichen Akteuren die bedingungslose Verfolgung ihrer Agenda wichtiger als Gewaltenteilung und die Achtung unserer Verfassung. So brechen unsere staatlichen Institutionen die Verfassung bei der Eurorettung, der „Ehe für alle", dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und der Grenzöffnung.
Die Gewaltenteilung versagt dabei – wie im Falle der Eurorettung an den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu sehen – oder wird wie im Falle des NetzDG geschickt unterlaufen. Das NetzDG verdeutlicht glasklar, dass es den politischen Amtsträgern (!) wichtiger ist, den (vergeblichen) Versuch zu unternehmen, ihre Macht durch Zensur zu schützen, als die Verfassung und damit die Grundlage des friedlichen Zusammenlebens zu achten.
Die Eurorettung zeigt auch, dass die staatlichen Gewalten die verfassungskonforme Wahrung der nationalen Etatsouveränität nicht interessiert – auf Kosten der Bürger, denn für die Eurorettung transferiert die EZB über das TARGET-System und andere Mechanismen ohne Zustimmung des Bundestages hunderte von Milliarden Euro des Vermögens deutscher Steuerzahler irreversibel an die Bürger anderer Länder; nach den Plänen Frankreichs soll dies demnächst noch durch einen ESF ausgeweitet werden, der dann, anders als der ESM, nicht mehr von den Parlamenten kontrolliert wird – „höchste Zeit“, ist doch zu erwarten, dass die Parlamente den widerrechtlichen Transferleistungen zur Eurorettung mittelfristig nicht mehr zustimmen werden, nicht einmal unseres. Insgesamt verletzt die Eurorettung eines der bürgerlichen Fundamentalrechte: das Recht auf Eigentum. Wenn die Bürger dies begreifen, wird sich ein gefährlicher kollektiver Zorn entwickeln.
Auch die nach wie vor anhaltende Grenzöffnung durch die der Exekutive angehörigen Träger des Gesinnungskonsenses ist Ausdruck einer Verachtung des Rechtsstaats. Selbst von den Kirchen, Institutionen, die ehemals der Stabilisierung der Gesellschaft dienten, wird gefordert, die Grenzen abzuschaffen, obwohl es offensichtlich ohne diese kein Staatswesen geben kann und die Verfassung eindeutig einen Schutz der Grenzen verlangt.
Unglaublicherweise ist dieses Vorgehen auch noch frauenfeindlich und antisemitisch. Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen (50 Prozent unserer Bevölkerung) wird dem Ziel der Grenzöffnung untergeordnet und die Etablierung einer militant antisemitischen Bevölkerungsgruppe wird zugelassen, weil man durch die Grenzöffnung zeigen möchte, „den Anfängen wehren“ (!) zu wollen.
Der Verfall des marktwirtschaftlichen Sozialstaats
Der Sozialstaat dient eigentlich dazu, Menschen vor Hunger und Not zu bewahren, die nicht in der Lage sind, selbst für sich zu sorgen. Er sollte neben den akut Kranken (Kranken- und Unfallversicherung) und alten Menschen, die nicht mehr im Erwerbsalter sind (Rentenversicherung), über die Arbeitslosen- und Rentenversicherung maximal 3-4 Prozent der Bevölkerung versorgen – das ist in etwa die Quote derer, die aus erblicher oder erworbener chronischer Krankheit oder Missgeschicken temporär oder permanent nicht in der Lage sind, sich zu ernähren. Einen solchen Sozialstaat kann sich jeder funktionierende Staat leisten, und er ist notwendig, um den sozialen Frieden zu stützen und unseren Werten gerecht zu werden.
Doch wir haben in Deutschland einen defizitären, aus Steuermitteln massiv subventionierten Scheinsozialstaat aufgebaut, der viele Millionen Menschen „finanziert“, die aus eigener Schuld nicht arbeiten wollen oder nicht arbeiten können, weil unser durchregulierter, preislich starrer Arbeitsmarkt und die Technologisierung der Produktion für ihr Qualifikationsniveau keine Arbeit mehr zulassen. Dieses System erzeugt ein abhängiges Prekariat passiver Leistungsempfänger, wirkt auf Wirtschaftsmigranten wie ein riesiger Magnet und zerstört sich vor unseren Augen selbst, bis es nicht einmal mehr in der Lage ist, für die wirklich Schwachen zu sorgen.
Dabei saugt es dem Staat die Substanz für die Erfüllung seiner eigentlichen Aufgaben aus und macht ihn omnipotent und schwach zugleich: omnipotent, weil er über ein höchst komplexes System aus Leistungen, Steuerbegünstigungen und Rechtezuweisung durch Umverteilung Loyalität kauft und dabei alle Lebensbereiche durchreguliert. Schwach, weil er seine Kernaufgaben als Ordnungs- und Rechtsstaat nicht mehr erfüllt.
Es verfällt aber nicht nur der Sozialstaat, sondern auch der Ordnungsrahmen der Marktwirtschaft, die den Sozialstaat erst ermöglicht. Einige Beispiele: Mit der Energiewende wird, losgelöst von Erkenntnissen der Physik und elementaren Marktgesetzen, Deutschlands Fähigkeit zur autochthonen Energieproduktion systematisch zerstört. Das Investitionsdefizit in die Infrastruktur beläuft sich auf viele Milliarden. Die Grundstimmung vieler politischer Amtsträger und Journalisten ist technologiefeindlich: gegen Biotechnologie, gegen Künstliche Intelligenz, gegen Nanotechnologie, gegen alle Formen wetterunabhängiger Energieproduktion, ja sogar gegen angestammte Basistechnologien wie den Automobilbau richtet sie sich. Auch ist deren Denken wirtschaftsfeindlich: gegen sichere Rahmenbedingungen für Unternehmen, gegen eine Bildungselite, gegen freie Preisbildung und gegen die Vertragsfreiheit, ohne die Güter gar nicht effizient und effektiv produziert und ausgetauscht werden können.
Die Zersetzung von Institutionen und künstlerischer Freiheit
Im Bereich der tradierten Institutionen verfolgt unserer Politik einen gezielten Abbau der Familie, die als Hindernis zur Herstellung von Gleichheit angesehen wird – dies ist der eigentliche Grund, warum die (indirekten) Schüler Volkmar Sigurschs sich so über die „Ehe für alle" freuen: Sie wertet endlich die als Modernisierungshindernis empfundene Familie ab – für die kleine Minderheit der wirklich heiratswilligen Homosexuellen hätte es auch eine andere Lösung geben können, doch die sind gar nicht das eigentliche Objekt dieser Gesetzgebung. Humanethnologisch betrachtet (I. Eibl-Eibesfeldt), ist die Familie und die ihr verwandten institutionellen Formen der Tradierung kulturellen Wissens jedoch absolut essentiell, eine Hochzivilisation kann ohne sie schlicht und ergreifend nicht bestehen. Auch andere Institutionen, beispielsweise gemeinnützige Männerbünde oder kulturelle Institutionen und Bildungsinstitutionen (ein riesiges Problem, auf das hier in der Kürze nicht eingegangen werden kann), sind massiv betroffen. Der Schaden ist nicht quantifizierbar, aber gewaltig.
Kunst ist eine der edelsten und wichtigsten Ausprägungsformen einer Hochzivilisation wie der unsrigen. Sie teilt in Form und Inhalt mit, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Barbaren (so K. P. Liessmann) in Politik, Exekutivbürokratien und Medien zersetzen nun die künstlerische Freiheit, indem sie bildende und sprachliche Kunst zensieren, weil sie das ihr innewohnende Mysterium und ihre Ambiguität nicht ertragen. Diesen Vorgang einzuordnen, ist nicht leicht, doch ist er mit Sicherheit Ausdruck eines verstörenden Niedergangs des öffentlichen Ethos: Der Mensch soll nicht mehr ausdrücken können, was es bedeutet, Mensch zu sein!
Der Verfall der demokratischen Ordnung
Doch nicht nur Ordnungs-, Rechts- und Sozialstaat samt Institutionen verfallen. Auch unsere demokratische Ordnung wird durch Handeln der staatlichen Amtsträger zersetzt: Die Gewaltenteilung, die so essentiell für den Schutz des Bürgers vor staatlicher Willkür ist, verfällt, weil die Judikative die Verfassungsbrüche der Exekutive nicht ahndet (Eurorettung) oder nicht ahnden kann – denn der Föderalismus versagt auch, kein Bundesland und auch keine 25 Prozent-Quote der Bundestagsabgeordneten hat gegen die Grenzöffnung oder das NetzDG Klage beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Anstatt dies investigativ aufzudecken und anzuklagen, applaudiert die vierte Gewalt in großer Mehrheit den Verfassungsbrüchen.
Gleichzeitig unterwirft sich unsere Judikative einer europäischen Rechtsprechung, die für uns rechtlich gar nicht bindend ist – zwar hat sich der EuGH 1963 selbst zugesprochen, ein eigenständiges Recht zu sprechen, das Primat über nationales Recht hat. Einerseits hat unser Verfassungsgericht dem jedoch mehrfach widersprochen. Andererseits beugt sich unsere Judikative in der Praxis aber dem sog. „europäischen Recht“ und vermeidet Konflikte mit dem EuGH, bei denen die wahre Rechtslage festzustellen wäre. In Verbindung mit der oben schon beschriebenen Verlagerung von hoheitlichen Kernkompetenzen in die EU erodiert der demokratische Nationalstaat zu Gunsten eines lediglich auf zwischenstaatlichen Verträgen beruhenden supranationalen Gebildes ohne demokratische Verfassung und ohne Gesellschaftsvertrag: Mehr und mehr werden wir von EU-Politikern und -Bürokraten regiert, die wir durch keinen Mechanismus kontrollieren können.
In den Politikbereichen, in denen Deutschland noch seine Souveränität nutzt, höhlt der Parteienstaat in allem Bereichen die politische Partizipation der Bürger aus; das Zensurgesetz NetzDG ist nur die Spitze des Eisbergs. Anstatt sich für die Aufgaben des Staates einzusetzen, sehen Parteipolitiker den Staat als Quelle von Posten und Geld. Darüber hat Hans Herbert von Arnim alles Notwendige gesagt.
Wenn wir Bürger, die in diesem Land alles Materielle erwirtschaften und erhalten sowie alles Immaterielle (wie etwa menschliche Gemeinschaft oder Kunst) erzeugen, weiter entmündigt, entrechtet, enteignet und an der Partizipation gehindert werden, wird sich ein Widerstand entwickeln, der – so ist aufgrund der Kultur unseres Volkes mit seinen stark ausgeprägten Sekundärtugenden leider zu befürchten – deutlich heftiger ausfallen dürfte als in den moderateren Ländern Großbritannien und USA.