Galerie von Jesko Matthes / 12.11.2017 / 06:03 / Foto: Egon Schiele / 13 / Seite ausdrucken

Politische Prüderie heute: Georg Trakl und Egon Schiele

Von Jesko Matthes.

Früher hatte ich einfach mehr Zeit zu lesen, Ausstellungen zu besuchen. So stieß ich in den 1990er Jahren, durch die zärtliche Vermittlung meiner damaligen Freundin, der hoch begabten Tochter eines verdienten Germanisten, auf zwei Künstler, die mir die Schule, warum auch immer, ich vermute Korrektes, vorenthalten hatte.

Vieles verbindet die beiden: die Herkunft, der für Österreich ungewöhnliche Protestantismus (hier und hier), das geniale Talent, der Wagemut, die geschickte Selbstinszenierung und Attitüde als Avantgardisten, die Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst und anderen, die zirzensische Experimentierfreude, die radikale Erweiterung der Sichtweise und Sprache ihrer Künste, die frühe Reife, der erotische Text und Subtext, die Düsternis ihrer sprachlichen oder gezeichneten Bilder, die unnötige Unsicherheit wie die trügerische Sicherheit, selbst der frühe Tod, der den Ersten Weltkrieg in einen scheußlichen, tragisch schwarzen Rahmen fasst: Georg Trakl  und Egon Schiele.

Sie entstammten der selben Generation; zu spät geboren für das fin de siecle, also nicht mehr imperial und melancholisch zugleich wie der Wiener Walzer, der gleich zu Beginn den Marschtakt des Krieges vorwegnimmt, sondern schon absichtlich am Abgrund, gleichzeitig ohne es zu wissen, als hätte die Kunst zuweilen das unterbewusste Gespür für das Neue genauso wie für den Untergang - und müsste sich in solchen Menschen manifestieren.

Trakl, ein politoxikomaner Persönlichkeitsgestörter, Sohn einer Drogenabhängigen, erweiterte das Spektrum der deutschen Sprache wie niemand vor oder nach ihm; obwohl er Vorläufer hat. Die ersten Spuren des expressionistischen Reihungsstils findet man lange vor Trakl:

Die Mauern stehn sprachlos und kalt / im Winde klirren die Fahnen,

schreibt der einsame Hölderlin  schon 1804. Und auch die einsame Droste kannte ihn, 1844 endet sie ihr Gedicht „Not“:

Hinauf schallt’s wie Gesang und Loben, / Und um die Blumen spielt der Strahl, / Die Menschen wohnen still im Tal, / Die dunklen Geier horsten droben.

Leicht kann man sich überzeugen: Trakl war sehr belesen, er sah seine, die riesige sprachliche Chance, die darin lag, Stimmungen und Gefühle durch Assoziationen voller Licht und Klang, dinglichen und tierischen Symbolen zu wecken. Und er half nach, mit allen Rauschmitteln aus seiner Apotheke, auch wenn er zuweilen schreibt: Die Wirkung war fürchterlich.

Sicher im Strich wie Trakl in der Diktion

Schiele hatte mit anderen fürchterlichen Wirkungen zu kämpfen, den Wirkungen seines Ehrgeizes, seiner Radikalität und Erotomanie, schwankend zwischen Selbstentblößung und artistischer Parthenophilie , gezieltem und geziertem expressionistischem Manierismus, Boheme und bürgerlicher Existenz – darin gleicht er Trakl beinahe in vieler Hinsicht. Absichtlich deutet Trakl den frühen Inzest mit seiner Schwester an, als eine künstlerische Fiktion, als eine biographische Tatsache, während Schiele später Kardinal und Nonne (malt, zusammengesunken in inniger Umarmung, junge Mädchen mit gespreizten Beinen und rosiger Scham, nackte Lesbierinnen und Tänzerinnen in bunten Kleidern, sich selbst als mageren, fast kahlrasierten Nackten, traumhaft, schlafwandlerisch sicher im Strich wie Trakl in der Diktion.

Beide haben es nicht eben leicht; Schiele landet im Gefängnis, weil er junge Mädchen nackt zeichnet, Trakl in der Psychiatrie, weil er mal im Delir des Rauschs, mal in dem des Entzugs liegt. Schiele macht die steilere Karriere, er arrangiert die gewinnbringende Ehe mit einer reichen Norddeutschen, Protestantin wie er, und er bietet seiner treuen Geliebten Wally Neuzil  im Caféhaus ein stilsicheres Dreiecksarrangement an, das sie wohl ablehnen muss, traurig und gekränkt, denn sie war es, die zu ihm gehalten hat, als er noch verfemt war.

Wally rettet andere, wird Krankenschwester und stirbt im Ersten Weltkrieg, als zweite nach Trakl. Schiele aber liebt seine Frau Edith tatsächlich; man sieht es, später, als Schiele sie, schwanger und im Sterben liegend, zeichnet. Sie hat die Spanische Grippe. Schieles letzte Zeichnung, denn auch er stirbt an ihr, drei Tage später, im Herbst 1918.

Alle künstlerisch zelebrierte Düsternis ist nun Wahrheit geworden

Georg Trakl geht schon 1914 voraus, die Katastrophe des Ersten Weltkriegs ereilt ihn zuerst. Nach einem Suizidversuch stirbt er in der Psychiatrie, an einer Überdosis Kokain. Wie Schiele zum Militärdienst eingezogen, hat er nicht das Privileg Schieles, als Militärkunsthistoriker arbeiten zu dürfen, er muss zwar nicht zur kämpfenden Truppe, aber an die Front. Und er sieht sie. Er erkennt, wie Schiele an seiner sterbenden Frau, dass alle künstlerisch zelebrierte Düsternis nun Wahrheit geworden ist, dass es nun keine Zukunft mehr geben kann.

Beide reagieren gleich, sie versuchen, sich ein letztes Mal zu distanzieren, indem sie der Wirklichkeit verpflichtet bleiben und exakt beschreiben, was sie sehen. Und so sind sie einander ebenbürtig, Schiele im Familiären, wenn er als letzte Warnung die genannte Zeichnung  der fiebernden, eingefallenen Edith hinterlässt, und Trakl, wenn er, vier Jahre vor Schieles Zeichnung, sein letztes Gedicht schreibt, „Grodek“:

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.

Es ist elend und verlogen, wenn man die Ursachen und die Wirkungen verschweigt, verdunkelt, verharmlost, verbietet, die Leistungen und Fehler politisch prüde vernebelt, die Trakl und Schiele berühmt machten und sterben ließen.

Die Stadt Wien will das 100. Todesjahr ders Malers Egon Schiele 2018 groß feiern.  Mit vier Nacktmotiven von Egon Schiele wollte man in Deutschland und in Großbritannien für das Jubeljahr werben. Doch aus beiden Ländern gab es Gegenwind, Plakate werden nicht freigegeben oder sollen zensiert werden.

Es kann nur die feige Variante der Philanthropie sein, wenn man Trakl vergisst, aber Europa mit der Verdun-Keule droht  und behauptet, die schlechten Gefühle für die anderen Kulturen seien wieder da, angeblich grundlos, aber die eigene, Trakl wie Schiele unsichtbar machen will. Europa kehrt zurück zu seinen alten Neurosen, zur Todessehnsucht, die auf den Abgrund starrt und die Jugend vergisst, den Eros vergessen macht. Das verheißt nichts Gutes.

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Hubert Bauer / 12.11.2017

Könnte Michelangelo heute noch seine Statuen “David”, “Morgenrot” und “Die Nacht” machen? Es sind ja Nachtbilder von idealisierten Körpern, die von denen sich Männer bzw. Frauen mit nicht perfekten Körpern diskriminiert fühlen könnten.

Heidi Brießmann / 12.11.2017

Danke für diesen einfühlsamen Artikel über Trakl und Schiele an einem tristen Sonntagmorgen in einem noch tristeren Deutschland!

Winfried Sautter / 12.11.2017

Eine ähnliche Auseinandersetzung um Parthenophilie gab es auch schon im Sommer 2010, als Sprengel-Museum in Hannover Mädchenakte der “Brücke”-Expressionisten Kirchner, Heckel und Pechstein zeigte (HAZ vom 27.08.2010). Man darf sich allerdings schon fragen, wo die Grenzen der Kunst sind. Pädophilie war auch schon vor 100 Jahren strafbar, und nicht zu Unrecht sind wir heute (noch?) gegen Kinderehen.

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