Bei erster Lektüre frage ich mich, ob man auf diese verstiegenen Sichten des Autors überhaupt reagieren kann! Vielleicht ist es angesagter, seine Aberwitzigkeiten halluzinierend zu inhalieren . “Mehr ist dazu nicht zu sagen” ( Helmut Heißenbüttel) Barasch
“Wie Schiele zum Militärdienst eingezogen, hat er nicht das Privileg Schieles, als Militärkunsthistoriker arbeiten zu dürfen, er muss zwar nicht zur kämpfenden Truppe, aber an die Front. “(Zitat aus dem obigen Text). Richtig, aber zu ergänzen: Trakl ist ist Teil der Sanitäterkolonne und dem Feldspital 7/14 im Range eines Sanitätsoffiziers zugeordnet, als er an der Schlacht von Grodek teilnimmt, in der russiche und kaiserlich österreichisch-ungarische Truppen aufeinandertreffen. Innerhalb kürzester Zeit hat Trakl über 90 Verwundete zu behandeln - ausgestattet mit völlig unzureichendem Material, während um ihn herum das Gemetzel tobt. Auf dem Rückzug der Truppen des kaiserlichen Österreichs unternimmt er, von dieser Erfahrung traumatisiert, seinen Selbstmordversuch, der von Kameraden verhindert wird. Nicht der Krieg ist der Wahnsinn, so die offizielle Auffassung, sondern der Mann muss wohl wahnsinnig sein, weswegen er in die Psychatrische Abteilung des Krakauer Garnisonskrankenhauses eingewiesen wird. Dort soll sein Geisteszustand untersucht werden! Im Krankenhaus schreibt er die Gedichte GRODEK und KLAGE, seine letzten beiden Gedichte, die nach seinem Tod veröffentlicht werden.
Wir haben Trakl und Schiele in der Schule (in Bayern, in den 70ern) behandelt und seither begleiten sie mich (erst letztens habe ich in der Kneipe “Verfall” rezitiert und Schiele ist mir seit langem bedeutender als Klimt..) Daß Prüderie und Verklemmtheit in oberflächlich neuem Gewand als Schutz vor unangenehmen Gefühlen ach so zarter Mitmenschenseelen (´PC´), nun wieder die Oberhand gewinnen, verdunkelt mir das Gemüt. Die Freiheit der Kunst und die freie Meinungsäußerung gehören zum Kern des Fortschritts, der die freie Welt ausmacht. Wie unsere Gesellschaft zusehens dekadent verschlumpft Freiheitsrechte aufgibt, die so manche unserer Ahnen und zuletzt fremde Soldaten bitter erstritten und erkämpft haben, läßt wohl wirklich nichts gutes erwarten. [Indes wie blaßer Kinder Todesreigen, um dunkle Brunnenränder, die verwittern, im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.]
Ich fand Schiele schon immer eher abstoßend. Müssen wir uns das kollektiv antun, nur weil es jetzt 100 Jahre her ist?
Ich war immer schon ein großer Schiele-Fan. Der Ausdruck seiner Figuren ist einfach einzigartig. Nun fragte G. Weißgerber hier schon völlig zu recht, ob Schiele „jetzt entartet“ sei. Korrekt hätte die Frage freilich lauten müssen: „Ist Schiele jetzt schon wieder entartet?“. Die Atmosphäre in diesem Land wird immer deprimierender, immer bedrohlicher. Die Schrift an der Wand (mene mene tekel….) wird immer deutlicher. Trotzdem haben 87% für „weiter so“ gestimmt. Auch diesmal wird es genau dahin führen, wohin es in diesem Land immer schon geführt hat, wenn die tumbe Masse im Griff irgendeiner Ideologie irgendwelchen vermeintlichen Heilsgestalten folgt.
Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag! Selbst Dozenten an US- Universitäten beklagen sich seit Längerem über die zunehmende pubertäre Altklugheit, mit welcher Studenten geistverengende Selbstzensur besonders in geisteswissenschaftlichen Fakultäten verlangen, bis hin zur Forderung, Shakespeareausgaben zu verkürzen und zu beschneiden. Es ist das klebrige Monstrum, das sich “Political Correctness” nennt, das, solche Blüten treibend, nun der postmodernen Kultur, deren Kind es ist, täglich spürbar auf die eigenen Füße fällt. Daß besonders in Deutschland dieser rechthaberische Infantilismus so um sich greifen kann, hat übrigens Geschichte: Schon Georg Christoph Lichtenberg klagt um 1770, daß wohl nirgendwo als in Deutschland man den Kindern beibringt, die Nase zu rümpfen, bevor sie imstande sind, sie zu putzen… Auf die Einlassung eines Zeitungsredakteurs, uns Schülern der Sechziger Jahre hätte man nur Nutzloses in der Schule eingetrichtert, antwortete ich einmal: “Stimmt! Denn unsere Lehrer versuchten, uns auf ein Leben als erwachsene Menschen vorzubereiten, indessen wir unsere eigene Pubertät zur Leitkultur erhoben haben.” (Uns machte übrigens der Kunstlehrer mit Schiele bekannt, und der Deutsch- und Geschichtslehrer ließ uns Traklgedichte lernen. Derselbe übrigens, der ausführlich Geschichte, Taten und Folgen des Nationalsozialismus behandelte und 1965 mit uns nach Israel fuhr. Hier punktgenau versagt die Bildungspolitik bei sämtlichen Parteien: Die SPD, deren Urgroßväter sich um Arbeiterbildung hochverdient gemacht hat und die wie ihre Schwesterpartei CDU glaubt, mit mehr Geld für Schulhausrenovierungen werde das Niveau verbessert; die FDP, die längst ihrer mittelständischen Klientel ein Alternativmodell zur leistungsfeindlichen Schulpraxis vorgelegt haben müßte; die Grünen fallen beim Bildungsthema aus dem Diskurs, denn sie sind die Hauptadressaten. In ihrem Gesellschaftsbild finden sich sämtliche Malaisen der verfehlten Bildungs- und Kulturpolitik der letzten dreißig Jahre: Gesamtschule, Inklusion, Leistungsnivellierung durch Orientierung am Schwächsten, Autoritätsverlust und Gewaltbereitschaft durch Ponyhofmentalität statt Liebe und Zurechtweisung etc. Dazu eifriges Beklatschen einer selbsternannten Menschheitsverschlimmbesserung durch “Gender”-Politik, d.i. Schlenderphilosophie vom Kindergarten an. Die solchermaßen danebengegangene Bildungspolitik hatte das allmähliche Durchdringen sämtlicher Kulturbereiche zur Folge, also Schere in den Köpfen von Kulturpolitikern, Lehrern, Feuilleton, Rezension und - halt, gerade wollte ich “Theater” hinzusetzen, aber hier vollzieht sich die Unterordnung unter das Diktat der Einfalt in besonderer Weise: im dicken Programmheft gebildete Prescription des Guten und Gerechten, auf der Bühne Destruktivität, klamottierende Verfremdung und Fäkalsprache und -gebaren als guter Ton. Der gute, alte “Tabubruch” erfordert hier soviel Mut wie Schuhplattln im Trachtenverein, aber, wehe es verläßt einer den heiliggesprochenen Weg der “Dekonstruktion”. Zum ersten Mal in der Kulturgeschichte läuft die “Avantgarde” dem Zeitgeist hinterher, - ein lächerlicher, aber gefährlicher Vorgang. Wir brauchen eine Kultur-Reform im Sinne des Wortes: Wiederherstellung der Form, und zwar der Form der Geistesfreiheit.
Mir kommt das Wort “Wahnsinn” über die Lippen. Ich schüttele den Kopf, kann nicht begreifen was aus uns geworden ist. Das Denken vernebelt, von Stolz keine Spur, nur kriecherische Duckmäuserei und das alles wofür?
Ja, die Kunst sei rein wie einst das Jesulein.
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