Peter Grimm / 24.01.2018 / 09:38 / Foto: Pixabay / 21 / Seite ausdrucken

Poesie-Zensur an der Hochschul-Fassade

Das folgende Gedicht "Avenidas", also "Alleen" des bolivianisch-schweizerischen Dichters Eugen Gomringer wird demnächst tatsächlich aus der Öffentlichkeit verschwinden:

avenidas/
avenidas y flores/
flores/

flores y mujeres/
avenidas/
avenidas y mujeres/
avenidas y flores y mujeres y
un admirador

Auf Deutsch bedeutet das:

Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer

Sollten Sie sich beim Lesen fragen, warum diese Zeilen unbedingt von einer Hochschulfassade entfernt werden müssen, dann sind Sie offenbar nicht in der Lage, Diskriminierungen in der Sprache zu erkennen. Diese Lyrik ist sexistisch und frauenfeindlich.

Schon vor Monaten hatten eifrige Tugendwächter unter den Studenten der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin den Ungeist der hauseigenen Fassadeninschrift entlarvt. Doch zuerst wurden sie – wie so manch andere Tugendwächter auch – nicht ernst genug genommen. Der Dichter, Eugen Gomringer, war schließlich bekannt und über jeden Verdacht falscher Gesinnung erhaben. Das Deutsche PEN-Zentrum und der Kulturrat forderten den Erhalt der Lyrik an der Fassade und auch in der internationalen Kulturwelt sorgte der Fall für Aufsehen.

Es mag viele kopfschüttelnde Beobachter gegeben haben, die die Eiferer belächelten und darauf vertrauten, dass kunstsinnige Professoren und die doch sicher kulturbeflissene Leitung der Hochschule einen solch barbarischen Akt der Lyrik-Zensur nicht zulassen würden.

Doch offenbar wiegt die Angst schwerer, eventuell von Aktivisten als Sexist, als vorsätzlicher Saboteur an der politischen Korrektheit oder gar als Rechter gebrandmarkt und angeprangert zu werden. So muss man die Meldung wohl deuten, nach der der Akademische Senat mehrheitlich beschloss, das Gedicht zu entfernen. Nehmen wir also Abschied von Eugen Gomringers Zeilen.

Im Herbst wird dieses sexistische Gedicht durch hoffentlich ungefährliche Verse ersetzt. Sollte Ihnen die zensierte Lyrik gefallen haben, dann speichern Sie diese Zeilen am besten, denn wenn etwas erst einmal als „sexistisch“ gebrandmarkt ist, wird es vielleicht auch aus Büchern verschwinden, nicht mehr gedruckt und fällt möglicherweise irgendwann auch der Netzbereinigung zum Opfer.

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Isabel Kocsis / 24.01.2018

Vor kurzem habe ich bei einer Eröffnung von Gomringers visueller Poesie in einer Galerie bei Görlitz mit ihm und seiner Frau gesprochen. Ich drückte mein Entsetzen aus und Gomringers bericheteten mir von den Schikanen, denen sie durch Abgesandte der eifernden moralinsauren Fanatikerinnen (Professorinnen und Studentinnen als selbsternannte einfältige Tugendwächterinnen) ausgesetzt sind, die Besuche bei ihnen erzwingen und sie erpressen wollen, ihr Einverständnis zu der Entfernung dieses wunderschönen Gedichtes zu geben. Eugen Gomringer las unter anderem auch dieses Gedicht während einer kleinen Lesung während der Eröffnung vor. Er versicherte, dass er sich die Entfernung nicht gefallen lassen wird. Auf die Alice Salomon- Hochschule kommen hohe Schadenersatzforderungen und sonstige Zahlungen zu. Angesichts des Namens der Gründerin halte ich diese neue Form von Bücherverbrennung besonders widerwärtig.  Wie tief ist die angebliche Kulturnation Deutschland gesunken.

Anaid Dijoke / 24.01.2018

Schlicht und ergreifend unfassbar. Ich kann anscheinend den falschen Film, in den ich seit geraumer Zeit lebe, nicht mehr verlassen.

Michael Bartscherer / 24.01.2018

Im angloamerikanischen Sprachraum und im Netz werden solche Tugendwächter_X*innen auch gerne (meist negativ konnotiert) als “Social Justice Warriors” bezeichnet. Ich denke das “sozial” und die “Gerechtigkeit” können wir getrost weglassen, aber der “Krieger” trifft’s ganz gut. Hier wird in äußerlich kränkbar-schneeflöckchenhafter Pose ein beinharter Krieg gegen alles geführt, was nicht in das Weltbild der Damen und Herren passt. Sprache, Bilder, Gedanken sollen verschwinden, eradiziert werden, nicht mal gedacht werden dürfen.  Das ist eine Form der Gewaltausübung. Es bedarf wahrlich keiner größeren Gehirnakrobatik, den Bogen solchen Denkens und Handelns zu den finstersten Kapiteln des Totalitarismus zu schlagen. Stets wurde Macht- und Gewaltausübung gegen Menschen von Zensur und Manipulation des geschriebenen und gedachten Wortes flankiert. Ob nun Bücherverbrennung der Nazis oder Text- und Bild"korrekturen” im Stalinismus, alles gar nicht so weit weg vom Wünschen und Wollen der Initiatoren des geplanten Lyrikmordes. Freundliche, traurige Grüße Michael Bartscherer

Astrid Spemann-Schulz / 24.01.2018

Vermittlung von Wissen, Entwicklung des Gewissens, Pflege der Charaktereigenschaften - das waren die Hauptanliegen von Alice Salomon. Sie war wohl eine Frau, die einen weiten Geist hatte. Dass nun ausgerechnet an einer Hochschule ihres Namens so eine kleingeistige und geradezu puritanische Entscheidung getroffen wurde ist ein Jammer! Wir bewegen uns durch eine Bilder- und Sprachenwelt der Werbung, fallen aber fast in Ohnmacht über ein Gedicht, das tatsächlich Frauen und Männer und Blumen in einen Zusammenhang bringt und das in schönster Weise. Welche Dichterin, welcher Dichter möchte sein Gedicht an einer Wand sehen, von der das Gedicht eines Kollegen getilgt wurde, weil es “nicht entsprach”. Was uns nicht an- oder aufregt bleibt reine Dekoration.

Ute Walenski / 24.01.2018

Nach Stunden fassungslosen Schweigens habe ich der Alice Salomon Hochschule geschrieben und mich auch auf Twitter geäußert. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mehr als ein “Seid Ihr jetzt alle geisteskrank geworden?” nicht herausgebracht habe. Im Moment habe ich mich wieder normalisiert und kann völlig emotionslos fragen: “Kann das noch aus dem Geist normaler Menschen kommen?” Meine eindeutige Antwort lautet: “Nein.” Zum Glück lassen sich auch nicht allzu viele davon anstecken. Bedenken habe ich nur, weil von dieser Schule aus Lehrkräfte auf Kinder losgelassen werden.

Andreas Arndt / 24.01.2018

Das kommt schon in die Nähe der Bücherverbrennung. “Ich übergebe den Flammen….” Merken diese Leute denn garnichts mehr. Besonders schlimm ist, daß sich niemand mehr trauen darf dagegen aufzustehen, denn dann wider nicht eher geruht bis der Mensch komplett zerstört ist. Das sind gefährliche Menschenfeinde.

Sabine Schönfelder / 24.01.2018

Intoleranz fördert offensichtlich die Einfalt. Solche jungen Menschen sollen zukünftig die geistige Elite Deutschlands darstellen? Himmel hilf!

Dietrich Herrmann / 24.01.2018

“Tugendwächter unter den Studenten ” - sollte es nicht Studentinnen heißen?

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