Rainer Bonhorst / 19.12.2012 / 18:54 / 0 / Seite ausdrucken

Platt wie eine Flunder

Die Schönfärberei im Armutsbericht der Bundesregierung hat die Menschen verständlicherweise überrascht. Die Vorstellung, dass eine Regierung ihre Arbeit positiver darstellt, als sie ist, ist in der Tat ungewöhnlich, ja ungeheuerlich. Wo sind die Zeiten geblieben, da unsere Regierungen ihr Licht unter den Scheffel stellten und klar bekannten: „Tut uns leid. Aber wir kriegen es einfach nicht hin.“

Dabei ist die ganze Schwäche des Armutsberichts bisher gar nicht beleuchtet worden. Der Bericht kratzt doch nur an der Oberfläche. Sein Armutsbegriff ist platt wie eine Flunder. Ihm fehlt jegliche transzendentale Tiefe. Ist Armut wirklich nur eine Angelegenheit von Cent und Euro? Geht Armut nicht viel tiefer? Gibt es nicht auch eine unerkannte Armut gerade dort, wo man sie nicht vermutet?

Nehmen wir den tiefen Fall der Madeleine Schickedanz. Die einst reichste Frau Deutschland muss seit der Arcandor-Pleite beim Discounter einkaufen. Und um ihre Hoffnung, in einem Prozess gegen Sal. Oppenheim die eine oder andere Milliarde zurückzubekommen, steht es schlecht. Das nach Beamtentarif bezahlte Gericht zeigt wenig Neigung, die Paragrafen in ihre Richtung hin zu verbiegen.

Dieser Armutsfall ist zwar besonders bitter, aber er bewegt sich noch im traditionellen Cent-und-Euro-Bereich. Tragischer noch sind die Fälle jener Superreicher, die in diesen Tagen von Staatsanwälten besucht werden. Hier scheint eine wahre Epidemie ausgebrochen zu sein. Und das heißt, dass Menschen, die in der Fülle des Lebens schwelgten, über Nacht in eine Seelenarmut gestoßen werden, aus der es so schnell kein Erwachen gibt.

Einigen Chefs der deutschen Bank wird gleich eine ganze Serie von Aktivitäten vorgehalten, die den guten Sitten und womöglich auch dem Gesetz zuwiderlaufen. Wenn dort die Staatsanwälte zwei- oder dreimal klingeln, erzeugt das zwar keine unmittelbare Geldnot, wohl aber jene grausame Seelennot, die nicht beziffert werden kann. Ist es da nicht verständlich, wenn Bank-Chef Jürgen Fitschen seinen Ministerpräsidenten anfleht und darauf aufmerksam macht, dass solche Besuche doch dem Ruf der Bank, und nebenbei auch seinem eigenen Ruf, schaden? Befindet sich der Ruf des Bänkerwesens nicht schon genug im Argen? Muss er noch tiefer in den Abgrund gestoßen werden, nur weil man sich möglicherweise dies und das hat zu Schulden kommen lassen?

Wer nie ein Bankchef war und als solcher noch nie Besuch von der Staatsanwaltschaft bekommen hat, kann die Tragik des Geschehenen gar nicht nachempfinden. Aber wir sollten es zumindest versuchen.

Der einzige Trost der Bänker ist, dass sie nicht allein sind. Um das zu belegen, muss man gar nicht auf Altfälle wie Zumwinkel und dergleichen zurückgreifen. Viel frischer ist schließlich der staatsanwaltschaftliche Wunsch, die langjährigen und gottgleichen Porsche-Chefs Wendelin Wiedeking und Holger Härter einem irdischen Richter vorzuführen. Kann sich jemand vorstellen, was es für Männer an der Spitze schnellster und feinster Sportwagen bedeutet, vor einem einfachen Richter stramm zu stehen, auf der Stelle zu treten und sich niederzusetzen? Kurz: Nicht davon brausen zu können?

Und es muss ja nicht immer gleich der Staatsanwalt sein. Auch Zusammenkünfte in den Vorständen herausragender Konzerne können zu erschütternden Szenen führen. Nehmen wir Thyssen-Krupp, wo jetzt der halbe Vorstand entlassen wurde. Das muss man sich mal vorstellen: Entlassen. Der Vorstand. Das ist doch etwas, was man sonst nur mit einfachen Arbeitnehmern tut. Und nun ist man nicht mal mehr in der Vorstandsetage sicher! Es ist nicht zu fassen.

Die so Entlassenen werden zwar nicht gleich in eine drückende Armut gestürzt, aber sie erleben die gleiche Seelennot, die ihre Kollegen vor dem Richter erleben, und über die weder ein solider Geldsockel noch staatliche Abfindungen hinweg helfen.

Dies sollen genug der Beispiele sein, die im Armutsbericht der Bundesregierung nicht erscheinen. Es wären noch mehr anzuführen, etwa aus dem Bereich des Investment- und Börsenhandels. Aber die Angeführten, um nicht zu sagen: die Abgeführten genügen, um zu zeigen, was dem doch recht dürftigen Armutsbericht der Bundesregierung fehlt.

Dabei berücksichtigt diese Schilderung noch gar nicht, dass sich diese tragischen Vorfälle ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit ereigneten. Wer weiß, wer noch alles neben Bratäpfeln und Zimtsternen eine richterliche Vorladung unter dem Christbaum vorfinden wird.

Darum sollten wir zur Weihnachtszeit in christlicher Nächstenliebe all derer Gedenken, die zu ihrer Überraschung und ihrem Kummer erleben müssen, dass die allgemeinen Gesetze auch für sie gelten.         

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