Alexander Wendt / 27.05.2013 / 16:38 / 0 / Seite ausdrucken

Plan und Pleite: Warum die Energiewende scheitert

Im neuen FOCUS: Warum der Strompreis für die Verbraucher steigt, obwohl er an der Börse sinkt, warum Solarfirmen kollabieren, obwohl Solarstrom boomt, und warum trotz Energiewende mehr Kohle verfeuert wird (kompletter Text nur in der gedruckten Ausgabe).


„Je mehr grünen Strom es gibt, desto preiswerter ist der Strom an der Börse. Zu bestimmten Tageszeiten machen die Erneuerbaren den Strom preiswerter und nicht teurer“, schwärmt der Ökostrom-Publizist Franz Alt in seinem jüngsten Buch „Auf der Sonnenseite. Warum die Energiewende uns zu Gewinnern macht.“  Alt folgert: „Rein rechnerisch müssten die privaten Verbraucher also einen weit geringeren Ökozuschlag bezahlen.“ Was immer Alt mit „rein rechnerisch“ meint – mit der Realität des Strompreises hat seine Betrachtung nichts zu tun. Jeder private Stromverbraucher zahlt nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eine Umlage, die den Betreibern von Windparks, Solaranlagen und Biogaskraftwerken für ihren Strom für 20 Jahre einen Preis garantiert, der deutlich über Marktniveau liegt. Derzeit liegt der Zuschlag bei 5,27 Cent pro Kilowattstunde plus Mehrwertsteuer; netto summierte sich dieser Öko-Soli 2012 bundesweit auf 13,9 Milliarden Euro. Da die Vergütung für die Erneuerbaren per Gesetz fixiert ist, gleicht die so genannte EEG-Umlage die Differenz zwischen dem schwankenden Börsenpreis und dem garantierten Festpreis aus. Je stärker die Menge des Solarstroms an sonnigen Tagen den Börsenpreis drückt, desto höher muss der EEG-Zuschlag folgerichtig ausfallen. Die privaten Verbraucher zahlen also nicht trotz der niedrigen Börsenpreise mehr und mehr für ihren Strom, sondern gerade deswegen. Zum Jahresbeginn 2013 stieg die EEG-Umlage von 3,59 auf jene aktuellen 5,27 Cent pro Kilowattstunde; zum nächsten Jahreswechsel dürfte der Aufschlag auf eine Größenordnung zwischen 6,3 und 7 Cent klettern.

Angebot und Nachfrage lassen den Strompreis am Spotmarkt EPEX in Paris –  eine Tochter der Leipziger Strombörse EEX – tatsächlich extrem schwanken. Herrscht etwa an einem ohnehin verbrauchsarmen Sonntag auch noch Sonnenschein, beispielsweise am 14. April 2013, dann schnurren die Kosten für eine Megawattstunde zwischen 15 und 16 Uhr in Deutschland auf den Minipreis von 0,02 Euro zusammen.  An trüben und stillen Sonntagen mit geringer Solar- und Windstromproduktion kann der Preis für eine Megawattstunde dagegen über 30 Euro liegen, an Werktagen oft auch über 60 Euro. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), wie Franz Alt eine große Verfechterin der Energiewende, empfiehlt als Gegenmittel, die „Stromwirtschaft“ müsse die niedrigen Börsenpreise „an die Verbraucher weitergeben“. Aber erstens würde diese Weitergabe nichts an der grundsätzlich verbraucherfeindlichen Fehlkonstruktion des EEG ändern. Und zweitens bieten die Stromlieferanten ohnehin schon eine Mischkalkulation aus niedrigen und höheren Einkaufspreisen an. Außerdem gäbe es auch gar nicht so viel an Preisvorteilen weiterzureichen: Nur etwa ein Fünftel des Stroms gelangt über die Börsen und Stromhändler zu den Verbrauchern, vier Fünftel dagegen über langfristige Verträge.*

Ein einfaches und wirksames Mittel zur Verbraucherentlastung lehnen Kemfert und viele andere Energiewende-Verfechter dagegen strikt ab: Nämlich den Abschied vom staatlich garantierten Fixpreis für Ökostromproduzenten. Fiele der weg, etwa zugunsten eines prozentualen Aufschlags, dann würden Betreiber von Wind- und Solarkraftanlagen eben auch weniger kassieren, wenn der Börsenpreis in den Keller fällt. Eine solche Reform, so Kemfert, würde Investoren für neue Wind- und Solarparks allerdings „verunsichern“, sprich, deren Gewinne schmälern.

Vor allem die Grünen machen gebetsmühlenartig das so genannte Industrieprivileg für die hohen Verbraucherpreise verantwortlich. Tatsächlich zahlen energieverbrauchsintensive Unternehmen keine EEG-Umlage für den größten Teil ihres Stroms. Die Befreiungen waren in den letzten Jahren stark ausgeweitet worden. Auch hier hilft allerdings Nachrechnen. Würde die Ausweitung des Industrieprivilegs wieder zurückgenommen, dann müssten die Haushaltsstromkunden nach Angaben der Netzbetreiber gerade 0,14 Cent pro Kilowattstunde weniger zahlen. Entfiele das Industrieprivileg ganz, entspräche das einer Senkung des allgemeinen Strompreises um 1,05 Cent pro Kilowattstunde. Fazit: Der Strom würde dadurch nicht billiger, es würde nur die nächste Runde der EEG-Umlagenerhöhung ausfallen. Die nächsten Kostenschübe ab 2015 kämen trotzdem. Und da in Deutschland schon heute die zweithöchsten Strompreise Europas herrschen, dürften viele Unternehmen eher ihre Produktion verlagern, als den vollen Tarif zu zahlen.

Was die Stromkosten tatsächlich treibt, zeigt der Vergleich über mehrere Jahre. Die Kosten für Erzeugung und Transport des Stroms, bezogen auf den Verbrauch einer dreiköpfigen Familie, beliefen sich 2009 auf 14,12 Cent pro Kilowattstunde; 2013 liegen sie mit 14,13 Cent nur marginal höher. Kräftig gestiegen sind dagegen die Steuern und staatlich veranlassten Abgaben. Sie machen 2013 erstmals die Hälfte des Strompreises aus.

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