Es gab eine Zeit, da liebte der FAZ-Kulturchef Frank Schirrmacher den Perlentaucher über alles und bekannte auf öffentlichen Veranstaltungen, daß er jeden Morgen nach dem Einschalten des Computers als erstes die Seite „perlentaucher.de“ anklicke. Diese Zeit ist lange vorbei. Vielleicht muß man inzwischen tatsächlich von Haß sprechen. Die Art und Weise, wie Schirrmacher in seiner Zeitung über den Perlentaucher schreiben läßt, legt zumindest die Vermutung nahe. Doch schreiben ist das eine; prozessieren ist noch etwas anderes. Bei dem jetzt laufenden Prozeß geht es sehr wohl um die Existenz der kleinen Firma Perlentaucher, selbst wenn das nicht offen gesagt wird und der Angriff auf einem Nebenschauplatz erfolgt.
In der Hauptsache ist Perlentaucher ein Hinweisdienst auf aktuelle Feuilletonartikel. Der Dienst ist so nützlich und wird von jedem in der Branche so hoch geschätzt, daß ein Frontalangriff dagegen kulturbetriebsweite Empörung auslösen würde. Die Frankfurter Allgemeine und die mit ihr seltsam verbündete Süddeutsche Zeitung versuchen es deshalb in einer weichen Flanke des Perlentauchers, einem geschäftlichen Nebenzweig, bei dem es nicht um Feuilletonartikel, sondern um Buchrezensionen geht. Auch sie werden redaktionell zusammengefaßt und – die Perlentaucher-Leute müssen schließlich von irgendetwas leben – an Internet-Buchhändler verkauft, die diese kurzen Texte ihrerseits im Internet veröffentlichen.
Dieses Geschäftsmodell möchten die zwei großen Zeitungen demolieren, denn sie fürchten – angeblich – kommerzielle Abriebeffekte beim Verkauf ihrer Blätter, wenn der Tenor ihrer Buchkritiken im Internet verraten wird. Das ist ein sonderbares Argument, dem man entgegenhalten kann, daß die Internet-Hinweise auch kauf-stimulierend wirken. Wer sich für die Sache interessiert, der besorgt sich den Originaltext der betreffenden Rezension, gerade wenn er durch den Perlentaucher davon erfährt. So sah es jedenfalls das Frankfurter Landgericht, das vor einem knappen Jahr zugunsten von Perlentaucher entschied.
Ganz anders jetzt das Oberlandesgericht. Das Urteil steht zwar noch aus, aber in der gestrigen Verhandlung wurde deutlich, daß der 11. Zivilsenat eher geneigt ist, den klagenden Zeitungen Recht zu geben. Die Annahme, daß der Perlentaucher durch seine Veröffentlichungen den Zeitungen Käufer zuführe, sei lebensfremd, erklärte der Vorsitzende Richter. Lebensfremd war dann aber auch der vom Gericht gemachte Gütevorschlag, demzufolge der Perlentaucher bei der Zusammenfassung von Rezensionen künftig auf wörtliche Zitate verzichten solle, um an dem eigenschöpferischen Charakter (das ist der entscheidende Begriff des Urheberrechts) keinen Zweifel aufkommen zu lassen.
Die Idee, daß man auf dem Gebiet der Literatur ohne die in der abendländischen Schriftkultur entwickelte Kunst des Zitierens auszukommen könne, ist ungefähr so abwegig, wie wenn man verlangen würde, Musik ohne Töne zu spielen. Egal wie das Urteil ausfällt, wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieses komplizierten Falles hat das Oberlandesgericht die Revision zum Bundesgerichtshof bereits zugelassen.