Die große Fernseh-Wahl-Diskussion: „Le grand débat“ begann gestern im ersten Programm um 20:55 mit einem Sketch, in dem eine zutiefst beleidigte Leberwurst, der Präsident Holland erscheint und sagt: „Liebe Landsleute, nun folgt die große Fernsehdiskussion der Wahl-Kandidaten - dieser Verräter. Ich hole mir jetzt Popcorn, um die Sendung auszuhalten“. Tja, der amtierende französische Präsident hat es nicht mal auf die Kandidatenliste geschafft.
Bis zur Wahl in Frankreich sind es noch drei Wochen. Ich möchte ein bisschen darüber reflektieren, was ich am französischen Wahlkampf als heiter empfinde und was unterschiedlich zur deutschen Wahlkomödie daherkommt. Bitte verzeihen Sie mir meine Ironie: aber ein inhaltlicher Wahlkampf von Merkel gegen Schulz? Ich bitte Sie.
Die Fernsehdiskussion im ersten Programm des französischen Fernsehens dauerte sage und schreibe dreieinhalb Stunden. Das habe ich mir für die Achse-Leser angetan. Die Moderation des „Großen Streits“ durch zwei bekannte Politjournalisten, weiblich und männlich, war professionell vorbereitet. Die beiden Journalisten kamen betont unparteilich daher, schon der Bildschirm war im Sinne der Egalité durchgestylt. Es gabt fünf identische Stehtische, der Schirm fünfgeteilt, so dass man die Gesichtsausdrücke aller Kandidaten gleichzeitig sah. Für jeden Kandidaten wurde gnadenlos die gestoppte Redezeit angezeigt und eingehalten. Der Diskurs erfolgte weitgehend ohne Unterbrechungen einzelner Aussagen, es gab daher wenig Geschwafel.
Französische Politiker müssen geschliffen parlieren können
In Frankreich ist Politik eine Stilfrage. Der französische Präsident fungiert als eine Art „Ersatzkönig“. Politiker nehmen sich in Acht und geben sich lieber präsentabel. Französische Politiker müssen frei und geschliffen parlieren können, man ficht mit dem Degen anstatt mit dem Breitschwert. Auch gegensätzliche Ansichten müssen ohne Kriegsgeschrei toleriert werden – vive la tolérance. Respekt wird großgeschrieben – in Frankreich gibt es auf Dauer keine Polit-Stegners. Für politische Rüpel haben die Franzosen ein Wort: „abruti“.
Mir fällt sofort auf, dass keiner der Kandidaten übergewichtig ist. Der konservative Fillion im feinsten Zwirn - der angeblich unrechtmäßig gesponsert wurde und den er inzwischen dem Sponsor zurückgegeben haben soll - schade um den schönen Anzug. Le Pen im schwarzen Hosenanzug der nicht spannt. Mélenchon – der Grünliche im 50 Euro Dachdecker-Jackett. Dabei ist er - wie böse Zungen behaupten - der wohlhabendste Kandidat, ein echter gauche caviar, ein Kaviarlinker. Der Linksmitte-Kandidat Macron kommt auch im Anzug von der Stange daher, extrem schick. Und der linkslinke Hamon im schlechtsitzenden Faltenlook, na ja. In der Fernseh-Debatte soll es keine Gewinner oder Verlierer geben, sondern Klarheit für die Wähler. Daher gibt es auch keinen Beifall oder Missfallensäußerungen vom anwesenden Publikum, weder eingespielt noch hochgejubelt.
Die Diskussion funktioniert so: die Moderatoren stellen jeweils eine Frage zum Parteiprogramm und jeder Kandidat hat genau eineinhalb Minuten Zeit, dazu Stellung zu nehmen. Lediglich Le Pen wird mal öfters unterbrochen. Und wer kann die andere Meinung nicht aushalten? Der „Grüne“ Jean Luc Mélenchon und er verspielt damit viel Sympathie. Richtiger Streit kommt nur auf, wenn es um den Islam geht. Dabei ist es interessant, dass es darüber selbst zwischen den Linken und den Sozialisten heftige Meinungsverschiedenheiten gibt. Die Attentate und die Banlieu-Randalen haben, anders als im deutschen Wahlkampf, ihre medialen Spuren hinterlassen. Mir fällt auf, dass es im deutschen Wahlkampf keine Migrationskrise gibt, nicht mal bei der FDP.
Der grünliche Mélenchon ist nichtmal gegen die Kernkraft
Nur ganz kurz zu den politischen Standpunkten der Kandidaten. Die Franzosen haben eine Auswahl an politischen Richtungen. Hier herrscht nicht so ein Einheitsbrei wie in Deutschland, wo alle Etablierten dasselbe wollen, nur in unterschiedlichen Mengen. Der rote Träumer Hamon will mehr Mindestgehalt für alle und die Weniger-Arbeitsstunden-Woche.
Der grünliche Mélenchon, der nicht nur optisch daherkommt wie ein Winfried Kretschmann, ist allerdings nicht mal gegen Kernkraft, will aber 50 Milliarden für die Weltrettung mittels Windrädern ausgeben.
Macron, der schon als Wirtschaftsminister nichts Gescheites auf die Reihe brachte, punktet mit Traumschwiegersohn-Aussehen und verspricht allen alles - so ähnlich wie unser Kakafügmaschu (Kanzlerkandidat für Gerechtigkeit Martin Schulz). Nur ist Schulz aussehensmäßig mit Glatze, Brille, Spitzbart eher ein Wiedergänger des Staravosiwau (Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht), dessen berühmteste Äußerung bekanntlich war: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“.
Der rechte Kandidat Fillion will Einwanderung begrenzen, Nulltoleranz für Kriminelle einführen, den Franzosen ein schmerzhaftes Wirtschaftssanierungsprogramm aufbürden, sowie die Hälfte aller Beamten abschaffen. So komisch das klingt – er hat gute Chancen damit.
Und Le Pen will die Franzosen über den Verbleib in der EU abstimmen lassen sowie die muslimische Einwanderung stoppen. Das ist auch sehr populär im Frankreich des Jahres 2017.
Interessant ist, dass es noch eine weitere Handvoll Minikandidaten gibt, die nicht an der Diskussion beteiligt sind. Sie sind zwar bei der Präsidentenwahl chancenlos, aber von den siegreichen Kandidaten „billig zu haben“, wie Charlie Hebdo sehr wohl bemerkt. Womöglich, um in der Stichwahl eine Einheitsfront gegen Le Pen zu bilden?
In Frankreich wird Journalismus gern mit dem Schnattern von Enten gleichgesetzt
Die intellektuellste linksliberale Zeitung in Frankreich ist die „Angekettete Ente“ – „Le canard enchainé“. Wer in der Pariser Metro was auf sich hält, hat eines der 700.000 Exemplare unterm Arm. Mit dem Namen der Zeitung hat es natürlich etwas auf sich. In Frankreich wird die Tätigkeit der Journalisten gern ironisch mit dem Schnattern von Enten gleichgesetzt. Und so sagt der Franzose, wenn er meine Zeitung lesen will: „Donne-moi ton canard“ – „Gib mir mal deine Ente“. In Deutschland gibt es ja auch so etwas wie „Zeitungsenten“, nur heißen sie heute vornehm „Fake-News“ und sind ausschließlich den inneren sozialen– oder den äußeren amerikanischen-, russischen-, türkischen-, polnischen-, österreichischen- und ungarischen Medien vorbehalten. Die deutschen Medien sind sozusagen im Zweifrontenkrieg von Enten umzingelt.
Doch zurück zum Canard: der amtsmüde Arzt Georges Clemenceau gründete 1865 die Zeitung „L’Homme libre“ – „Der freie Mensch“. Als er Probleme mit der Zensur bekam, benannte er sein Blatt um in: „L’Homme enchainé“ – „Der angekettete Mensch“. 1906 wurde Clemenceau französischer Präsident und gab die Zeitung auf. Aber ein paar Journalisten führten sie ab 1915 weiter. Den alten Namen konnten sie nicht behalten, so nannten sie ihr Produkt eben ironisch „Angekettete Ente“ und entwickelten es zur bedeutendsten satirischen Wochenzeitung Frankreichs.
Alles kann man dem „Canard“ unterstellen, aber nicht Le Pen-Freundlichkeit. Trotzdem haben zwei Journalisten von „Le canard enchainé“ aufgedeckt, dass der linke Kandidat Emmanuel Macron ein Steuersünder ist. Angeblich soll er drei Millionen auf dem Schweizer Konto seiner um 20 Jahre älteren Ehefrau deponiert und davon nur 150.000€ Euro versteuert haben. So brennt nun die Lunte am nächsten Pariser Polit-Skandal, kurz nachdem die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die Ehefrau des Konservativen Fillion eingeleitet hat. Die Schlammschlacht der Kandidaten unter Einbeziehung der Justiz geht weiter, Le Pen wird’s freuen. Wenn Berlin so etwas wie eine rote Favela an der Spree ist, dann ist das politische Paris ein einziger großer Intrigantenstadel.
Soweit, liebe Leser, mein neuester Bericht von den französischen Kandidaten zur Präsidentenwahl, „diesen Verrätern“. Jetzt gehe ich mir ein Glas Rotwein holen, um heiter die nächste Wasserstandsmeldung aus Paris vorbereiten zu können.
Manfred Haferburg ist Autor des autobiografischen Romans „Wohn-Haft“ mit einem Vorwort von Wolf Biermann.