Manfred Haferburg / 22.02.2017 / 12:40 / Foto: Marc Caraveo / 10 / Seite ausdrucken

Paris brennt nicht. Aber.

Seit Jahren lebe ich im Zentrum von Paris. Dieser kleine Bericht soll lediglich eine Sichtweise aus meiner Pariser „Innenstadtblase“ auf die Ereignisse vorstellen, mehr nicht. Denn nach wie vor waschen hier die beamteten grünen Männer von der Stadtreinigung jeden Tag das Trottoir vor unserer Haustür, wird täglich der Müll weitgehend ungetrennt abgeholt und der Strom kostet immer noch 15 Cent pro Kilowattstunde. Die Voituriers der umliegenden Restaurants parken die Fahrzeuge ihrer Kunden unverdrossen in der zweiten und dritten Reihe, weil das Leben in den Restaurants und Brasserien nur so pulsiert. Der Verkehr staut sich wie immer.

Aber wenn ich ins Kaufhaus gehen will, wird meine Tasche kontrolliert und wenn ich mit dem Thalys nach Deutschland fahren will, so erfolgt ein Sicherheitscheck auf dem Gare du Nord wie im Flughafen. Und wenn ich mit dem Zug zurückkomme, erfolgt auf dem Bahnsteig eine strenge Gesichtskontrolle der Reisenden, ebenso wie an den grenznahen Mautstellen der Autobahn. An den Touristenschwerpunkten und auf den Alleen und Boulevards patrouillieren die Vigipirates – schwer bewaffnetes Militär. Wir haben seit zwei Jahren Ausnahmezustand in Paris, Frankreich beklagt hunderte Tote des Islam-Terrors.

In Paris brennt wieder die Vorstadt“ macht am 20. Februar die FAZ auf. Mir scheint, das stimmt zum Glück so nicht. Es herrscht kein Bürgerkrieg, obwohl ich die Gefahr nicht verniedlichen will.

Erst mal: Paris hat viele Vorstädte. 10 Millionen der etwas über 12 Millionen Pariser wohnen in den Vorstädten, den Banlieues. Das „alte“ Paris meint das Zentrum innerhalb des Boulevars Peripherique, der vielspurigen, teilweise untertunnelten Rundumstadtautobahn. In den 20 Arrondissements der Innenstadt wohnen „nur“ ca. 2,2 Millionen der Pariser. Außerhalb der „Peri“ gibt es vornehme Banlieues wie Neuilly oder Levallois und es gibt weniger vornehme wie Bobigny oder St. Denis. Wenn man also über die gegenwärtigen Randalen spricht, so finden sie nicht in „der Vorstadt“ statt, sondern sie flammen nur in einigen No-Go-Areas einiger Vorstädte im Nordosten von Paris auf.

Frankreich betreibt heute eine restriktive Einwanderungspolitik

Diese Randalen spiegeln die Probleme der Einwanderung aus Nordafrika nach Frankreich wieder. Um das zu verstehen, muss man einen Blick in die Geschichte unseres Nachbarlandes werfen: Die Einwanderungssituation in Frankreich ist bis heute stark geprägt von der Kolonialgeschichte früherer Jahrhunderte: viele Nordafrikaner erhielten nach der Auflösung der französischen Kolonien einen französischen Pass und siedelten sich als Gastarbeiter in Frankreich an.

Galt die Einwanderung, zumindest aus wirtschaftlicher Perspektive, lange Zeit als Erfolgsgeschichte, so wird sie in den letzten drei Jahrzehnten zunehmend als Ursache sozialer Probleme wahrgenommen. Das gilt allerdings nicht für Einwanderer aus Asien oder anderen Teilen des Globusses. Frankreich betreibt heute eine restriktive Einwanderungspolitik. Geschätzt leben etwa 3,5 bis 9 Millionen Muslime in Frankreich - gemessen wird es nicht.

Die Ursachensuche der Probleme ist in Frankreich, ähnlich wie in Deutschland, ideologisch verkeilt. Auch hier kommt vor der echten und gefühlten Diskrimination der gesellschaftlich Benachteiligten oft die Selbstdiskrimination. Was hat Frankreich nicht alles an Integrationsprogrammen versucht - durchaus erfolgreich für den größten Teil der Einwanderer. Gehen Sie zum Touristenmagnet des weltgrößten Flohmarktes in St. Ouen und überzeugen Sie sich, es lohnt.

Aber es gibt auch Einwanderermilieus, da würde selbst der liebe Gott scheitern, wenn er mit einem Integrationsprogramm heruntersteigen und helfen wollte. Wie soll ein aus dem Milieu stammender  15jähriger Drogendealer mit 5000 Euro Einkommen davon überzeugt werden, dass es sich lohnt, in der Schule diszipliniert zu lernen, um später mit harter Arbeit weniger als 2000 Euro zu verdienen?

Ausschreitungen als chronisches Phänomen

Die Debatte über die Lebensumstände in den Banlieues begann mit den ersten offiziell registrierten Unruhen im Sommer 1981. In Folge einer Verfolgungsjagd zwischen Jugendlichen und der Polizei in einem Vorort von Lyon waren mehrere hundert Fahrzeuge in der Umgebung von Lyon, Paris und Marseille in Brand gesetzt worden. Seither sind Ausschreitungen in den Banlieues zu einem chronischen Phänomen in Frankreich geworden. Schon seit vielen Jahren bilden sich No-Go-Areas in den Banlieues der Großstädte, in welche die Gendarmen nur noch in Zugstärke einrücken können. Und sie werden umgehend angegriffen – die Jugendlichen werfen tiefgefrorene Wasserflaschen aus den oberen Stockwerken auf die Fahrzeuge und Männer oder attackieren Zivilpolizisten mit Steinen oder Pfefferspray: „Das hier ist unser Territorium“.

Diese Zustände wurden von der Politik zu lange geduldet und ideologisch verbrämt. Eine Diskussion über den Islamismus als kulturelles Problem wurde politisch und medial unter den Teppich gekehrt. Dazu kommt - in Frankreich gilt wie bei uns – ein stringenter Jugendschutz, welcher der heutigen kriminellen Realität nicht angemessen scheint. Straffreiheit wirkt ermutigend auf die Täter, der ideologische Beistand schiebt der Gesellschaft die Schuld in die Schuhe. Die Kriminellen triumphieren. Der Frust der Polizisten wächst und wächst. Und die Geduld der Bevölkerung wird auf eine harte Probe gestellt.

Paris brannte 2016 nicht, in Paris brannten im Herbst 2016 Polizisten. Zwei Polizeistreifenwagen waren auf das „Territorium der Kriminellen“ geraten und diese veranstalteten ein „Grillfest“, wie sie es in den sozialen Medien nannten. Sie schlugen die Scheiben eines Fahrzeugs ein, warfen einen brennenden Molotowcocktail hinein und hinderten durch Blockieren der Türen die Besatzung am Verlassen des Streifenwagens. Schwerverletzt überlebten die Polizisten, ein Mann und eine Frau, den Mordanschlag. Die Täter wurden nicht gefasst.

Das Leben ging weiter. Aber hinter der „Fassade“ brodelt es. Im Herbst 2016 kam es zu Demonstrationen der in Frankreich hoch geachteten Polizei im Pariser Zentrum, auf den Champs Elysees. Nichts geschah, der französische Präsident, genannt „Wackelpudding“ Hollande, duckte sich weg. Bis es dann im Februar 2017 zum Gewaltakt eines Polizisten an einem jungen Afrikaner während einer Drogenrazzia in Aulnay-sous-Bois (Banlieue Saint-Denis) kam. Es heißt, dass der Polizist ihm seinen Schlagstock in den Hintern rammte und ihn verletzte. Jetzt steht die Polizei mit einer schmutzigen Hand da. Die Polizei-Proteste der letzten Monate sind delegitimiert, zumal herauskam, dass der betreffende Beamte schon eine gewalttätige Vorgeschichte hatte, die vertuscht werden sollte.

Die Polizei-Proteste der letzten Monate sind delegitimiert

Premier François Hollande besucht das Opfer im Krankenhaus, ein ebenso medienträchtiges wie unbedarftes Wahlkampfgetöse. Die Sicherheitskrise in Frankreich geht nämlich mit einer angespannten Situation kurz vor den französischen Präsidentschaftswahlen einher. Marine Le Pen mit ihrem Front National hat Chancen, die nächste französische Präsidentin zu werden. Zumal der ernstzunehmende rechte Kandidat François Filion in einen Korruptionsskandal verwickelt wurde. Nach der Volksmeinung meines arabischen Taxifahrers steckt dahinter entweder der beleidigte Sarkozy oder die geschasste Justizministerin Rachida Dati. Auf jeden Fall befördert der Fall Filion die Front National. Der linksromantische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron hat nach der enttäuschenden Ära Hollande eher wenig Chancen, auch wenn er in deutschen Medien schon mal als Wahlsieger vorgefeiert wird - Hillibillary Clinton lässt grüßen.

„Ras-le-bol“ viele Franzosen haben es satt

„Ras-le-bol“ viele Franzosen haben es satt, dass sich Kriminalität und aggressive religiöse Ideologie hinter Ausgrenzung und Rassismus verstecken und dabei von linken Politikern und Medien auch noch bestärkt werden, während rechte Politiker die gleichen Fehler machen, nur anders herum. Die französische Gesellschaft ist daher tief gespalten. Wobei mir die französische Diskussionskultur etwas ausgewogener und gemäßigter erscheint, als die deutsche. Aber vielleicht liegt dieser Eindruck daran, dass Französisch nicht meine Muttersprache ist. Laut Umfragen will ein Großteil der Moslems, die schon in der dritten Generation in Frankreich leben, den Front National Marine Le Pens wählen. Die meisten der Menschen mit moslemischem Migrationshintergrund wollen nämlich auch lieber in Frieden und Sicherheit leben wie Allah in Frankreich.

Ich denke schon seit 2014, dass ich als ehemaliger DDR-Bürger aus der Zukunft Merkel-Deutschlands komme. Jetzt fürchte ich noch dazu, dass ich auch als Bewohner Frankreichs aus der deutschen Zukunft komme. Mach es doch bitte besser, Deutschland.

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Karla Kuhn / 22.02.2017

” Mach es doch bitte besser, Deutschland.” Danke für Ihren grenzenlosen Optimismus Herr Haferburg. Aber mittlerweile muß man sich an jeden Strohhalm klammern.  Auch wenn man sich dabei selber betrügt.

Jan obi / 22.02.2017

Danke für diesen Aufriss der französischen Lage.

Johannes Schaefer / 22.02.2017

Ein schöner und differenzierter Text. Viel besser als vieles, was man so zu lesen bekommt - leider auch hier war letztens ein Text zu lesen, der sehr undifferenziert an das Thema heranging.

Sabine Ehrke / 22.02.2017

Deutschland wird es noch schlechter machen, vertrauen Sie mir, einer ehemaligen DDR Bürgerin.

Wilfried Cremer / 22.02.2017

Solange es den Islam gibt, wird es Terror geben, wobei nicht oft genug wiederholt werden kann, dass überwiegende Mehrheit der Opfer selbst Muslime sind - in muslimischen Ländern. Von der Wirkung her könnte man sagen: der Teufel ist los.

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