Rainer Bonhorst / 25.01.2017 / 06:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 6 / Seite ausdrucken

Parallelwelten und Parallelfakten

Was genau sind die „alternativen Fakten“, die Donald Trump und seine Beraterin Kellyanne Conway in die öffentliche Debatte eingeführt haben? Und wie unterscheiden sie sich von den so genannten Fake News, die bisher so heiß diskutiert werden? Hier ein Versuch einer Annäherung.

Der Begriff der Fake News enthält die grundsätzliche Einsicht, dass eine „Information“ falsch, um nicht zu sagen eine Lüge sein kann. Bekanntlich gibt es zwei traditionelle Quellen von Fake News: Die Politik, wenn sie es mit der Propaganda oder mit der Verschleierung übertreibt. Und die Medien, wenn sie Enten produzieren. Dass neuerdings die Politik Jagd auf Fake News in den Medien macht, ist ein klassischer Fall vom Bock, der den Gärtner spielt.

Egal, ob Bock oder Entenmacher: Das Problem mit den Fake News ist, dass man beim Faken erwischt werden kann und dann blöd dasteht. Medienleute hoffen in solchen Fällen, dass die Peinlichkeit „sich versendet“. Politiker greifen zum Mittel der sprachlichen Neutralisierung. Ein klassisches Beispiel lieferte der Watergate-Skandal, als ein Nixon-Sprecher eine frühere, unhaltbar gewordene Behauptung mit den Worten korrigiert hat: „Diese Darstellung ist nicht mehr operativ.“

Aus einer enthüllten Lüge wird so eine „nicht mehr operative Darstellung“. Die Lüge wird in den Status einer bloßen Technik erhoben. Sie kann bei Bedarf und ohne großen Schaden durch eine Alternative, etwa durch die Wahrheit oder durch eine bessere Lüge, ersetzt werden. Dieses Denken in Alternativen musste früher oder später zum Konzept der jetzt vom Trump-Lager entdeckten „alternativen Fakten“ führen. Sie stellen das Postfaktische, von dem auch immer wieder die Rede ist, endlich auf eine solide Basis.

Die entscheidende Neuerung ist das Timing der einschlägigen Alternativen. Im Watergate-Skandal gab es noch eine klare zeitliche Abfolge: Zuerst wurde gelogen, danach musste man eingestehen, dass die Lüge nicht mehr operativ war. Heute, im alternativfaktischen Zeitalter, treten die Fakten und ihre Alternativen zeitgleich auf. So erleben wir zur gleichen Zeit und nebeneinander, dass einerseits bei Donald Trumps Inauguration die Menschenmassen deutlich kleiner waren als bei Barack Obama, und dass andererseits die größte Menschenmenge aller Zeiten dem vorüberfahrenden und -spazierenden Präsidenten zugejubelt hat.

Das bloße Auge kann dieses Phänomen nicht erklären

Diese Zeitgleichheit hat eine magische Wirkung: Sie hebt die Notwendigkeit auf, die Dinge in falsch und richtig, in wahr und gelogen zu separieren, wie es zur Watergate-Zeit noch der Fall war. Heute existieren, was früher unmöglich war, zwei unvereinbare Varianten gleichberechtigt als Parallelfakten nebeneinander. 

Aber wie kann das gehen? Das bloße Auge kann dieses Phänomen nicht erklären. Es glaubt ja, klar zu erkennen, was Fakt und was Unfug beziehungsweise Unfakt ist. Leider ist das bloße Auge im post- und alternativfaktischen Zeitalter ein viel zu grobes, im Grunde obsoletes Instrument. Andere, feinere Sinne müssen her, um die verblüffende Welt der Alternativfakten zu erklären.

Weit ausholen muss man da allerdings nicht. Jeder Leser von Science-Fiction-Romanen weiß, dass Parallelwelten gedacht werden können, die sich eigentlich ausschließen und dennoch unabhängig voneinander existieren. Und inzwischen neigt sogar die Wissenschaft ohne Fiktion zu der Theorie, dass wir in einer multidimensionalen Welt leben, in der Parallelwelten und damit alternative Fakten geradezu Alltag sind.

Wagt Trump also mit seinen Alternativfakten einen Vorstoß an die vorderste Front der Naturphilosophie? Holt Kellyanne Conway mit einem kühnen Griff die multidimensionale Welt der Wissenschaft in das Reich der Politik? Oder spinnen die einfach nur?

Es ist zu früh für ein endgültiges Urteil. Man muss wohl abwarten, ob sich die Pionier-Technik der multidimensionalen Parallelfakten in der Politik durchsetzen und ob sie – wie üblich – von Amerika zu uns herüberschwappen wird. Wenn das geschieht, dann wird vor allem unsere Angela Merkel umdenken müssen. Denn alternativlos, wie sie es gerne hat, ist in dieser schönen neuen Welt dann gar nichts mehr.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Gerhard Alfred / 25.01.2017

Die “Ringelpietz-mit-anfassen-Politik” ist der Politikstil, der sich in Deutschland etabliert hat und als alternativlos gepriesen wird. Die zunehmend entsaftete Politik unseres Landes folgt den Mechanismus des Kreistanzes Ringelpietz. Diese politischen Rituale heißen aktuell alternativlos, bei genauer Betrachtung handelt es sich um eine bürokratische bzw. technokratische Politik. Die alternativlose bundesdeutsche Politik trifft nun Donald Trump, könnte das nicht eine fruchtbare Beziehung werden?

Andreas Horn / 25.01.2017

Nur, weil man ständig neue Begriffe kreiert, kommt man an dem altbekannten Fakt nicht vorbei: die absolute Wahrheit gibt es nicht.

Dennis Decker / 25.01.2017

Quantenmechanische Soziologie Alternativfaktenepoche begann mit dem PC. Da begannen sich Gutmenschen die Umwelt schön zu lügen. Sie dachten durch Benennung von „Ross und Reiter“ werden falsche Tatsachen geschaffen. Gender-Mainstreaming-Religion funktioniert ganz ähnlich. Beide „Theorien“ stehen in krassen Widerspruch zur „Newtonschen Soziologie“. Was nicht heißt, dass „Newtonsche Soziologie“ falsch ist. Sie ist einfach nicht vollständig. Wir brauchen jetzt eine neue Soziologie, eine „Quantenmechanische Soziologie“. Da können Fakten gleichzeitig falsch und richtig sein. Schrödingers Katze ist hier ein passendes Beispiel. Wir leben in einer sehr interessanter Epoche. Noch nie in der Geschichte der Menschheit war Wissen so billig und nur so wenige sind intelligent geworden aber so viele geläutert. Leute wir steuern auf einen schrecklichen Religionskrieg. Alle gegen alle. Früher war Intelligenz ein klarer Selektionsvorteil, aber seit der wir den Sozialstaat haben, ist Intelligenz ein klarerer Selektionsnachteil.

Robert Krischik / 25.01.2017

Und dann kann man sicher auch in einer Demokratie und Diktatur gleichzeitig leben…

Andreas Arndt / 25.01.2017

Lieber Herr Bonhorst, ich gebe zu mit der deutschen Sprache selbst einige Probleme zu haben. Deshalb freut es mich auf der Achse nicht nur inhaltlich sondern auch sprachlich anspruchsvolle Texte zu finden. Um so mehr ärgert es mich, daß auch Sie in modischer Manier das Wort gleichzeitig durch, das etwas ganz anderes bedeutende, zeitgleich ersetzen. Zur Erlärung: Zeitgleich beschreibt einen Vorgang der eben nicht zur selben Zeit wie ein anderer stattfinden muß, sondern die gleiche Spanne Zeit dauert. Das passiert selten bis nie. Daher fand man wohl das schöne Wort wäre es wert öfter genannt zu werden, hört sich ja auch hipp an, ist aber trotzdem falsch.

Joschua Engelmann / 25.01.2017

Die schöne neue Welt der Angela Merkel ist auch so nicht alternativlos. Diese Welt bettelt geradezu um eine Alternative für diese Nation, derer man sich entledigen will.

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