Thomas Rietzschel / 07.09.2014 / 15:10 / 0 / Seite ausdrucken

Pappkameraden im Härtetest

Zu den Ereignissen, die in der abgelaufenen Woche für Schlagzeilen sorgten, zählte der NATO-Gipfel in Wales. Die Bündnis tagte, um Flagge zu zeigen. Frei nach Tucholsky taten Präsidenten und andere Staatenlenker so, als ob sie im Notfall bereit wären, etwas zu tun. Putin sollte die Angst in die Knochen fahren. Beschlossen wurde der Aufbau einer „Einsatztruppe mit sehr hoher Bereitschaft“. 

Nein, nicht da, wo die Gefahr am nächsten ist, sondern in der Etappe, im Hinterland. Standorte, an denen schon die bloße Präsenz der Truppe wachsender Bedrohung hätte vorbeugen können, wurden von vornherein ausgeschlossen. Auf eine Stationierung in Sichtweite der russischen Grenzen haben die Balten wie die Polen vergebens gehofft. Woran es ihnen noch mangelt, ist das Verständnis für den Symbolismus, für das Un-Eigentliche westlicher Verteidigungspolitik. 

Was es damit auf sich hat, offenbarte das unvermeidliche Gruppenbild der Verhandlungsführer am Ende ihres Zusammenseins in dem walisischen Golfhotel. Aufgereiht wie die Hühner auf der Stange posierten sie im Green: vor einem „Eurofighter“ - einem Kampfjet, der gar kein Kampfjet war, sondern ein Riesenspielzeug aus Pappmaché.

Ob das Vladimir Putin im Kreml erzittern ließ, wissen wir nicht, fragen uns aber gleichwohl, wozu das gut sein soll. Wofür der ganze Aufwand, diese Kulissenschieberei, die alberne Inszenierung, diese lächerliche Kraftmeierei, die Kosten, die verschleuderten Millionen für einen peinlichen Fototermin, nicht zu reden von der vertanen Zeit? Ist das alles unabdingbar für den diplomatischen Erfolg? Müssen sich die Regierungschefs mit solchem Zinnober Kraft geben, weil ihnen sonst nichts einfällt? Oder sammeln sie nur Bildchen fürs Familienalbum, damit sie den Enkeln später einmal zeigen können, was sie ehedem für tolle Spiele getrieben haben?

Wäre es nicht gescheiter, endlich aus der Kulisse zu treten, den ganzen Plunder beiseite zu schieben und den Aggressor als solchen beim Namen zu nennen, ihm Instrumente zu zeigen, die er ernst nehmen muss, die seinem Expansionstrieb Einhalt gebieten, die er zu fürchten hat, weil sie unter Umständen zum Einsatz kommen könnten? Mit einer „Einsatztruppe“, die irgendwo in der Ferne kaserniert ist, wird das kaum gelingen; moderne Technik hin oder her. Und schon gar nicht wird es mit der Aufstellung von Kriegsgerät gelingen, das nur so aussieht, als ob man damit kämpfen könnte.

Was er davon zu halten, weiß Vladimir Putin nur zu gut. Kommt doch am Ende noch das Holz, aus dem die Pappe für die Herstellung der in Wales gezeigten Flugzeug- und Panzerattrappen gemacht wird, aus den sibirischen Wäldern. Auf diesen Rohstoff sind wir angewiesen, was wiederum erklären mag, weshalb sich der Westen so schwer tut mit der Verhängungen wirkungsvoller Sanktionen. Bei einem Abbruch der Handelsbeziehungen könnte uns schließlich das Pappmaché für die Waffenherstellung ausgehen. Sollten sie das im Blick haben, würden die Pappkameraden der NATO vorausschauender agieren, als wir das bisher für möglich halten wollten.


 

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