Fred Viebahn / 23.08.2011 / 05:55 / 0 / Seite ausdrucken

Pain Club—oder: Es ist ein Kreuz mit dem deutschen PEN

“O Pen, Pänn, Päännnn! Pain Club!!” klagte Alfred Kerr am 10. Mai 1942 in einem Brief an Richard Friedenthal. Er mußte es wissen, war er doch bis zu seiner Flucht aus Deutschland im Februar 1933 Präsident des deutschen PEN gewesen. Innerhalb weniger Monate wurde der PEN damals von den Nazis “gleichgeschaltet” und eliminierte sich damit selbst. An seiner Statt gründeten Lion Feuchtwanger, Ernst Toller, Rudolf Olden und Max Hermann-Neisse 1934 in Großbritannien den “deutschen P.E.N. im Exil”, dem bald auch Kerr, die Manns, Anna Seghers, Arnold Zweig, Stefan Zweig, Alfred Döblin und viele andere vertriebene oder geflohene deutsche Dichter und Denker beitraten.

Diesen Exil-PEN gibt es heute noch; als eine seiner Aufgaben sieht er das aktive Gedenken an die verfolgten und gerade oft wegen der Naziherrschaft vergessenen Schriftsteller an. (Um mit offenen Karten zu spielen, “in the interest of full disclosure”, will ich nicht hinterm Berg damit halten, daß ich in seinem Vorstand sitze.) Außerdem gibt es seit 1948 auch einen bundesdeutschen PEN, und der kann es einfach nicht lassen: Seit vielen Jahren ist manchen der Monopolisten an seiner Spitze das Vergangenheitsstückwerk ihres sich gern elitistisch gerierenden Vereins unangenehm und der muntere Fortbestand des organisatorisch viel kleineren Exil-Verwandten ein Dorn im Auge, und man versucht, wenn schon vor Jahren mehrere Abmurkskungeleien fehlgeschlagen waren, geschichtliche Tatsachen mit mehr oder minder absichtlichem Verschweigen oder gar dummdreister Vergeßlichkeit umzumauscheln.

Am 6. September scheinen die Geschichtsklitterer im Foyer der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin die nächste Etappe ihrer selbstherrlichen Vergangenheitsbewältigung ansteuern zu wollen; sie haben zu einer Ausstellung “P.E.N. – die internationale Schriftstellervereinigung, ihre deutsche Geschichte, ihre Aufgaben” geladen. Aber: Trotz aller Lippenbekenntnisse, mit denen seit Jahren bundesdeutsche PEN-Funktionäre Exilantenzweifel an ihrer geraden Gesinnung abzuwiegeln versuchten, ließ man nicht nur bei der Vorbereitung der Ausstellung den Exil-PEN außen vor—zur Eröffnung gab es bisher nichtmal eine Einladung. Arroganz oder schlechtes Gewissen? In der vom Generalsekretär Herbert Wiesner unterzeichneten Pressemitteilung wird jedenfalls ungeniert verwischt und rumgeklittert.

Kein Wunder denn, daß dem Exil-Präsidenten Günter Kunert gestern, sowie er Wind von der Sache bekam, der Kragen platzte und er eine eigene Presseerklärung rausschickte, in der er scharf mit den “Usurpatoren” des bundesdeutschen PEN ins Gericht geht. Siehe hier: http://www.exilpen.net/neuigkeiten/presse/presseerklärung-usurpatoren.html

Und die Geschäftsführerin des Exil-PEN, Nadine Englhart, machte aus ihrer Erbitterung keinen Hehl, als sie mit dem Schwung der Jugend (sie ist ein halbes Jahrhundert jünger als Kunert) auf der Website des Exil-PEN noch kräftig einen draufsetzte:
“Es ist ein Kreuz mit dem Deutschen PEN. In den Jahrzehnten seiner Teilung forderte er hin und wieder die Auflösung des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, und es gelang ihm sogar, dieses Herzensanliegen auf die Tagesordnungen der Internationalen PEN-Kongresse zu setzen, was krawallartigen Radau zur Folge hatte, der vor allem im deutschsprachigen Feuilleton ausgetragen wurde…”

Hier geht’s weiter zum äußerst lesenswerten Volltext von Frau Englharts J’accuse: http://www.exilpen.net/neuigkeiten/presse/painclub.html

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