Blättert man an diesem Wochenende durch die Feuilleton-Seiten der Zeitungen, kommt man sich wie bei einem Staatsbegräbnis vor. Man ist plötzlich mittendrin, in etwas, mit dem man eigentlich gar nichts zu tun hat. So mag es dem deutschen Kulturbetrieb ergehen, seit am Donnerstag die Nachricht über die Bildschirme tickte, dass der Büchner- Preisträger Oskar Pastior eine Vergangenheit als IM der rumänischen Securitate gehabt habe. Mit dieser Meldung erreichte die Debatte der Rumäniendeutschen, die schon seit gut zwei Jahren läuft, ein weiteres Mal den deutschen Horizont. Und wieder staunt die Mehrheit.
Wo ein Problem auftaucht, ist meistens auch seine Vereinfachung bereits in Arbeit. Man kann nicht über die deutsche Minderheit in und aus Rumänien sprechen, ohne vom Ceausescu- Regime zu reden. Es ist ein Vorteil dieser Minderheit bei ihrer öffentlichen Wahrnehmung und gleichzeitig ihr größtes Handicap. Beide wären nämlich ganz gut auch ohne einander ausgekommen, historisch betrachtet. Die deutsche Minderheit im Banat und in Siebenbürgen ohne Ceausescu, und Ceausescu ohne seine Bürger deutscher Herkunft. Das haben sie gemeinsam, ins Gewicht fällt aber der Unterschied: Ohne Ceausescu hätten die Rumäniendeutschen weniger zu bezahlen gehabt, und er hätte ohne sie weniger Kasse gemacht. In der rumäniendeutschen Debatte um den Geheimdienst Securitate, seine Machenschaften und die dazugehörenden Zuträger, mit und ohne Zuwendung und Zuschlag, geht es um einen längst bekannten Streit zwischen Opfern und Tätern und der jeweiligen Anhängerschaft.
Während die einen behaupten, man könne Opfer und Täter nicht voneinander trennen, sehen die anderen diese Trennung geradezu als ihre Aufgabe an. Kurz gesagt, die einen waren Opfer, die anderen möchten ebenfalls Opfer gewesen sein. Die bisher bekannt gewordenen rumäniendeutschen Fälle von Denunziation und Beteiligung an Diskreditierung, Kompromittierung, an Zersetzungen jeder Art fanden eine eher marginale Resonanz in der deutschen Öffentlichkeit. Es wurde zwar darüber berichtet, die eine oder andere Meinungsverschiedenheit der Kontrahenten gelegentlich auch zitiert, doch sonst hält man sich eher bedeckt, wie der lesende Tourist auf der Stadtrundfahrt, der es vermeiden möchte, Touristen kennen zu lernen.
Der bisher prominenteste Fall, der des Lyrikers Werner Söllner in Frankfurt, ist auch dahingehend aufschlussreich. Er ist bekannt genug, um einheimische Befürworter zu haben. Unter anderen ist Eva Demski für ihn angetreten. Sie begnügte sich bei ihrer Verteidigung des Freundes mit der Behauptung, keiner von uns, sie sagte „Emigrantenzirkel“, sei ein Engel mit weißen Flügeln. Ich gehe angesichts der Bildwahl davon aus, das Frau Demski mit Gott persönlich über die Securitate gesprochen hat.
Wer sich mit der Geheimpolizei eines totalitären Staates beschäftigt, dem wird schon bald der Vorwurf gemacht werden, dass er sich zu viel mit den Informanten beschäftige und zu wenig mit den Hauptamtlichen. Warum sollte uns die Tätigkeit der Hauptamtlichen mehr beschäftigen als das Verhalten der Menschen, mit denen wir zusammen gelebt haben? Der Hauptamtliche war sichtbar, er war ein sichtbarer Teil der Macht, als Gefahr und Gegner erkennbar.
Der Informant aber war die Falle, die uns das System stellte, er war die Geheimwaffe des Regimes gegen seine Bürger. Wie sollte man sich gegen den vermeintlichen Freund wehren können? Das ist der Grund, warum wir uns mit den Informanten beschäftigen. Weil das, was sie getan haben, Teil der moralischen Fragestellung ist, während die Tätigkeit der Hauptamtlichen eine Frage von Gesetz und Gesetzlosigkeit ist, eine Rechtsstaatsangelegenheit.
Die Hauptamtlichen haben uns unserer Freiheit beraubt und berauben können, jederzeit, die Freunde aber, die als heimliche Informanten tätig waren, haben unser Vertrauen in das Menschenbild erschüttert. Die Hauptamtlichen haben uns geschadet, die Informanten haben uns verletzt.
Über die Pastior-Angelegenheit ist noch zu wenig bekannt, um eine haltbare Einschätzung vorzunehmen. Es gibt von ihm nichts weiter als eine Täterakte, in der Papiere unterschiedlichster Qualität untergebracht wurden, es sind aber keine IM-Berichte in dieser Akte, und ohne Berichte lässt sich die Tragweite der Tätigkeit eines Informanten nicht bewerten. Dass keine Berichte in der Täterakte vorzufinden sind, bedeutet noch lange nicht das keine verfasst wurden. Mehr lässt sich im Augenblick nicht sagen. Ob mit oder ohne Empathie.
Es geht auch nicht darum, Pastior zu beurteilen oder zu entlasten oder zu verstehen oder auch nicht zu verstehen. Wir, die Überlebenden, sind nicht der TÜV. Für all diese Attribute lässt sich in jedem Fall das eine oder Argument finden und das eine oder andere Gegenargument. Wir wissen bisher nicht, ob er Schaden angerichtet hat oder nicht, und so ist die These, dass man seine Texte anders lesen müsse, wie der von seiner Entdeckung beflügelte Münchner Germanist Sienerth behauptet, auch nicht zwingend. Sein Stil, der Umgang mit der Sprache, ist sicherlich auch das Ergebnis der frühen Erfahrung der Deportation und Zwangsarbeit. Pastior hatte sein frühes Erlebnis der Existenzbedrohung, das später ausschlaggebend für seine Lebens-Entscheidungen wurde, auch beim Schreiben und Publizieren.
Er hat Manches getan, um sich zu retten, er hat in den ominösen Fünfzigern Parteigedichte geschrieben. Andere haben das nicht gemacht, obwohl es riskant war, keine zu schreiben. Es war aber auch riskant, Parteigedichte zu schreiben, und das nicht nur, weil man seinen Ruf unter den Landsleuten aufs Spiel setzte, sondern weil das Regime ab da mit einem rechnete. Wer Parteigedichte schrieb, hatte nicht viel davon, er wurde im besten Fall dazu angehalten, weitere Parteigedichte zu schreiben. Er galt als ansprechbar.
Das ist das Problem, zumindest eines. Pastior war über einen Zeitraum von sieben Jahren Informant. Wer in diesen sieben Jahren nichts verfasst hat, musste als schlechter Informant gelten, und schlechte Informanten gab man nicht erst nach sieben Jahren auf. Doch wenn man sie nicht aufgab, setzte man sie unter Druck, überprüfte sie. Viele Langzeitinformanten haben neben ihrer Täterakte, Überprüfungsakten, mit denen ihre Loyalität gecheckt wurde.
Man kam aus verschiedensten Gründen in eine solche IM-Rolle. Das zeigen die Akten, die bisher zugänglich sind. Man kam aber auch wieder heraus, und auch das zeigen die Akten. Eine Entschuldigung für eine solche Tätigkeit gibt es nicht, die Irreführung des Freundes, der Missbrauch seiner Gefühle rührt am Innersten der Menschen. Das ist bekannt, den einen wie den anderen.
Zum Lebenswichtigen gehört die Zuneigung zum anderen, es ist für uns das Wahre, muss es sein, denn es ist der Beweis, dass wir nicht allein sind. Wer den Menschen dieses Vertrauen wegnimmt, der trifft ins Herz aller Dinge. Und wer das als IM in Kauf nimmt, ist ein Täter. Ihm kann nur eines helfen, darüber reden, und damit die Geschäftsgrundlage seiner Tätigkeit aufgeben. Das machen die wenigsten, auch Oskar Pastior hat es nicht getan.
Jene aber, die jetzt in heller Aufregung und gleichzeitig voller Verständnis herbeieilen, sollten sich vielleicht doch eine Frage stellen. Diese: Hätten sie, wenn Pastior seine IM-Tätigkeit publik gemacht hätte, ihm trotz allem den Büchnerpreis zugesprochen? Es wird um eine ehrliche Antwort gebeten.