Cora Stephan / 12.12.2015 / 16:11 / 7 / Seite ausdrucken

Operettenkrieg

Ich bin keine Pazifistin – und genau deshalb ist mir das moralische Argument für militärische Aktionen suspekt. Es gibt keinen guten Krieg, höchstens ist er manchmal nötig. Moral ist die ultima ratio in einer Demokratie, in der die Menschen von der Notwendigkeit zum militärischen Handeln überzeugt werden müssen, was stets schwierig war und fast unmöglich geworden ist in einer älter werdenden Gesellschaft, die schon deshalb friedlich gesonnen ist, weil sie die wenigen jungen Männer, die sie noch hat, nicht für Volk und Vaterland opfern will. Und erst recht nicht für fremde Zwecke, Ziele und Interessen.

Man muss die Bürger schon an ihren höchsten Werten packen, insbesondere die durch Schaden friedlich gewordenen Deutschen, um sie zur Zustimmung zu bewegen – der damalige Außenminister Joschka Fischer überredete sie zum Abenteuer im Kosovo, indem er sie an die deutsche Pflicht erinnerte, ein neues Auschwitz zu verhindern. Das überzeugte weniger die Militärs als ausgerechnet die Friedfertigen, die sich mit militärischen Fragen nicht beschäftigen müssen, die da heißen: mit welchem Auftrag gehen wir rein, was hat der Auftrag mit der Aufgabe zu tun, „Deutschland und seine Bürger und Bürgerinnen“ zu schützen – und wie kommen wir aus dem Schlamassel wieder heraus.

Die militärische Ratio hegt das Geschehen ein – die Moralisierung des Krieges aber entfesselt ihn.

Nach dem militärischen Sinn oder Unsinn der Präsenz der Bundeswehr in Syrien fragt hierzulande kaum einer. Doch wenigstens die Funktionalisierung von Auschwitz blieb uns diesmal erspart. Der Öffentlichkeit genügt anscheinend die Forderung nach Solidarität mit Frankreich, das sich nach den jüngsten Terrorangriffen in Paris zur Wehr setzen müsse (als ob die Geschichte nicht auch die Erfahrung bereithielte, dass gutgemeinte Solidarität, etwa die des Deutschen Reichs mit k.u.k. Österreich im Jahre 1918, schon mal in die Katastrophe führen kann).

Und so schickt Deutschland ohne große Anteilnahme seiner Bürger Gerät und Menschen in ein unübersichtliches Geschehen – und mich beschleicht das Gefühl, einer Operettenkostümprobe zuzusehen. Schon der französische Präsident Francois Hollande, eine lahme Ente, wie sie im Buch steht, versuchte sich wenig glaubhaft in der Rolle des großen Kriegsherrn, eine Inszenierung, die ihm die jüngsten Regionalwahlen gründlich verdarben, die ausgerechnet zwei Frauen vom Front National aufs Schild hoben.

Die deutsche Statistenrolle ist noch eine Drehung lächerlicher, obzwar das Land mehr als einen Grund hat, den Brand im Nahen Osten zu löschen zu wollen. Immerhin sieht es sich in der Pflicht, vor allem Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, von denen man annimmt, dass sie vor Syriens Diktator Assad fliehen. Wen will man also in Syrien bekämpfen? IS? Assad? (Und warum tun das die vielen jungen Syrer nicht, die nun in Deutschland abwarten, wie sich die Dinge entwickeln?)

Wie auch immer: So sieht niemand aus, der die feste Absicht hat, wenigstens die Fanatiker der IS auszuschalten. Das ist den Terroristen nicht entgangen, die wissen, dass entschlossenes Handeln des Westens diesen „militärischen Zwerg“ (Michael Wolffsohn) in Windeseile von der Landkarte löschen könnte – wenn der Westen denn wollte. In den alternden Gesellschaften des Westens aber fehlen der Heroismus und die Leidenschaft dafür und nicht zuletzt fürchtet man Bilder von zivilen Opfern. Darauf beruht die zynische Kriegsführung aller Terroristen, die zivile Bevölkerung als Schutzschild benutzen: man führt den Westen als Angsthase und Schlappschwanz vor und amüsiert sich über eine Medienöffentlichkeit, die Teetrinken und Verhandeln vorschlägt. Hamas macht das seit Jahren vor.

Doch genau darauf käme es an: die gequälte syrische Zivilbevölkerung zu schützen – vor allen, natürlich auch vor Assad.

Also: Entweder richtig oder gar nicht. Oder?

Der Kriegsforscher Herfried Münkler hält es für einen Fehler, dass sich Europa unter deutscher Führung „aus Altersmüdigkeit und Resignation“ nicht dafür entscheiden mag,  „gestaltend und energisch“ in die zerfallende Ordnung vor allem im Nahen Osten einzugreifen und dazu neigt, sich lieber mit den „alten Kräften“ zu verbünden, wenn es sich nicht gerade gleich aus der Verantwortung herauskaufen kann. „Die Rolle Europas in der Welt, sein Wohlstand und seine politische Ordnung werden sich in den kommenden Wochen und Monaten entscheiden. Diese Entscheidung wird Folgen bis weit ins 21. Jahrhundert hinein haben.“

Es steht zu befürchten, dass er recht hat. Doch die Geschichte militärischer Interventionen macht wenig Hoffnung. Von Vietnam bis Afghanistan gibt es zahllose Beispiele dafür, dass es auch beim Einsatz höchster militärischer Mittel einer Weltmacht misslingen kann, einen Bürgerkrieg zu befrieden.

Es gibt nicht nur schlechte Gründe, warum „der Westen“ das lieber Assad überlassen möchte. Syrien ist unter Assad nach den Regeln der Vereinten Nationen ein souveräner Staat, das Völkerrecht verbietet jede militärische Unterstützung bewaffneter Aufstände in fremden Ländern. Vor allem aber: Ein militärisch von außen erzwungener Frieden – gegen wen? Mit wem? - hält nicht lange.

Und nicht zuletzt sollte man zugunsten der deutschen Soldaten die schlichte Frage beantworten: was ist die Exitstrategie?

Oder gibt es hierzulande bei jenen, die die Bundeswehr entsenden, nämlich im Parlament, keine militärischen Argumente mehr, sondern nur noch das Bedürfnis, kein schlechtes Gewissen zu haben und sich gut zu fühlen – „wir tun was“?

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Alexander Rostert / 14.12.2015

Europa ist alt und verbraucht und steht vor der Alternative, entweder ganz unterzugehen oder von seinem hohen moralischen Anspruch an sich selbst Abschied zu nehmen. Wir haben in der Tat nicht mehr, wie noch vor hundert Jahren, die überschüssigen jungen Männer, die stattdessen jetzt der Islam hat. Freilich könnten wir uns mit unserer technischen Überlegenheit trotzdem effektiv vor Zumutungen aller Art schützen, aber hieran hindern uns unsere “Werte”. Die jungen Männer sind ohnehin zu wenige und daher zu wertvoll, um sie zu opfern, und sie sind auch nicht mehr als befehlsempfangende Killermaschinen erzogen worden, die erforderlichenfalls jedes zu voll besetzte Fischerboot im Mittelmeer ohne Warnung versenken und die nichts schöneres wissen, als fürs Vaterland zu sterben, sondern als androgyne Wesen, die im Stuhlkreis ihre “weibliche Seite entdecken” sollen. Was um Himmels Willen haben wir uns mit dieser “Truppe” anderswo in fremder Leute Händel einzumischen? Und welcher Teufel reitet uns, die Völkerwanderung schulterzuckend hinzunehmen, die uns Daheimgebliebene derweil zu ersticken im Begriff ist?

Christian Speicher / 12.12.2015

Zu sagen, dass wir aus Altersgründen und Verweichlichung nicht mehr in der Lage wären, eine Streitmacht zu mobilisieren um zusammen mit Frankreich und dem Vereinigten Königreich sowohl Assad als auch ISIS in die Schranken zu weisen, ist für mich eine nationale Bankrotterklärung auf einer Stufe mit der Merkelschen Behauptung es sei unmöglich unsere Grenzen zu sichern. Wer so denkt, kann gleich einpacken und ich vermute dass so ziemlich die ganze “Elite” des “europäischen Binnenmarktes”, die es erst zu dieser desolaten Situation hat kommen lassen, selbiges auch innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre tun wird, um den komfortablen Lebensabend dann in Sidney, Vancouver, Santa Barbara oder Miami zu verbringen und von dort aus weiter fröhlich über das zurückbleibende Desaster zu debatieren. So gesehen hat die westeuropäische Baby Boomer Generation es nach dem gewonnenen Kalten Krieg der Amerikaner und Osteuropäer gegen das Sovietimperium geschafft, durch die Unterdrückung der nationalstaatlichen Idee (bewusst oder unbewusst) mehr zum Niedergang Europas beizutragen als vorherige Generationen im 30jährigen Krieg und 2 Weltkriegen.

Thilo Schneider / 12.12.2015

Wir sind doch die Netten, Frau Dr. Stephan. Die mit der “Kinderkrippe und Knarre”-Armee. Die, die so eine Art “Krieg mit menschlichem Antlitz” führen möchte und darauf achtet, bei Kampfhandlungen nicht so sehr der Umwelt zu schaden oder auf jemanden zu schießen - der und sein Clan könnten uns sonst böse sein und sich am Ende irgendwie diskriminiert fühlen. Deswegen sollen die Tornados zwar fliegen, aber nichts außer Photos schießen. Deswegen schicken wir auch einem Flugzeugträger eine Fregatte zum Schutz mit - falls das Teil Kämpfer in Schlauchbooten angreifen, wird die Bundesmarine sehr energische Warnschüsse abgeben. Wir wollen geliebt werden. Mehr wollen wir doch nicht.

Walter Wehner / 12.12.2015

KUK kämpfte übrigens auch für einen Multikulti Staat!

Mona Rieboldt / 12.12.2015

Europa hat nicht mehr die Masse junger Männer, die man in einem Krieg “verheizen” kann. Daran scheitert militärische Macht, nicht am Alter der Europäer. Die arabischen Länder dagegen haben eine Überproduktion an jungen Männern, dieser Geburtenüberschuss wird nach Europa entsorgt. Und was sollen deutsche Soldaten in Syrien, während die vielen syrischen jungen Männer in Deutschland sitzen? Es wäre deren Aufgabe für ihre Familien zu kämpfen, stattdessen sind die meisten dieser jungen Männer vor dem Wehrdienst geflüchtet. Dafür sollen dann deutsche Soldaten in einem fernen Krieg sterben? In Afghanistan wurde gar nichts erreicht, die Taliban werden ständig stärker. Deutsche Soldaten in Mali. Wieviel deutsche Soldaten will man opfern für die Kriege in anderen Ländern?

Helmut Driesel / 12.12.2015

Mit Ihrem letzten Satz, sehr geehrte Frau Dr. Stephan, treffen sie genau die Stelle, wo es richtig weh tut. Aber es gibt auch noch einen weiteren Aspekt. Die Deutschen finden sich mehr oder minder uneingeladen in fremden Ländern ein, um für Ordnung zu sorgen, schießen dabei auf vermutete Terroristen, gelegentlich trifft man auch Zivilisten. Was ist im Krieg überhaupt zivil? Im zweiten Weltkrieg gab es hier gar nichts Ziviles. Damals musste man vor dem Krieg fliehen, um zivil bleiben zu können. Nun aber kommen die Bürger genau dieser Staaten ungefragt nach Deutschland, sie schießen hier vorerst auf niemanden und wollen auch keine neue Ordnung erzwingen. Mit welchem Argument kann man sie nun wieder fort schicken? Bloß weil sie nicht militant sind? Hier offenbart sich doch eine Doppelmoral, die uns zeigt, wie weit man eigentlich zu Dienstzeiten Joschka Fischers in die Zukunft hätte voraus denken müssen. Das war natürlich zuviel verlangt von einer ganzen Generation, die es gewohnt ist, zurück zu denken. Und heute erwarten die Exponenten dieser Generation immer noch, dass man ihnen die Zukunft anvertraut. Haben sie eigentlich jemals versucht, in die Politik zu gehen? Ist die Demokratie nicht gerade wie ein Königreich, in dem es sehr viele Könige, Königinnen, Prinzen, ja sogar Hofnarren gibt?

Wolfgang Schlage / 12.12.2015

Ich kenne mich zu wenig aus, um zum Ja oder Nein zu diesem Kriegseinsatz eine deutliche Meinung zu haben. Mir scheint aber, dass die Regierung hier Außenpolitik unter innenpolitischen Gesichtspunkten macht: “Grenzen schließen - das könnte zu abstoßenden Bildern führen, die wir gar nicht wollen. Aber die Leute wollen, dass wir jedenfalls irgendetwas tun - schicken wir doch Truppen, die nicht schießen.” Das sind fehlender Selbstbehauptungswille, Entschlussunfähigkeit und Ratlosigkeit ein einem.

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