Gastautor / 15.02.2016 / 11:01 / 1 / Seite ausdrucken

Opa, was ist eigentlich Rassismus?

Rainer Grell

„Papa, was ist ein Fremder?“ fragt die zehnjährige Mérièm ihren Vater, den marokkanischen Schriftsteller Tahar Ben Jelloun. Und der macht aus dem „Gespräch mit meiner Tochter“ ein ganzes Buch (2000). Der Titel hätte nach der ersten Frage, die Mérièm stellt, auch lauten können „Papa, was ist Rassismus?“ Denn um nichts anderes geht es in dem Buch, um Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Der französische Titel lautet demgemäß auch weniger „kindgerecht“:  « Le racisme expliqué à ma fille » (1998, erweiterte Neuauflage 2009).

Meine beiden Töchter sind zu alt, um mir solche Fragen zu stellen. Und meine vier Enkeltöchter sind noch zu klein. Aber eines Tages werden sie ihre Eltern und vielleicht auch ihre Großeltern fragen, „Was ist eigentlich Rassismus?“ Eventuell werde ich dann aber nicht mehr in der Lage sein, darauf zu antworten. Deswegen mache ich das jetzt. Für Hanna, Merle, Luisa und Antonia. Und weil vielleicht auch andere an einer Antwort auf diese so einfach klingende Frage interessiert sind, mache ich das hier. Danke, dass man mir dazu Gelegenheit gibt.

Die Rassenlehre, wonach die Menschheit aus unterschiedlichen „Rassen“ besteht, wurde bereits lange vor den Nationalsozialisten entwickelt, aber erst von diesen bis zur letzten Konsequenz getrieben, wonach die „arische Rasse“ allen anderen Rassen überlegen sei („Herrenrasse“), und die anderen Rassen deshalb unterjocht oder gar, wie insbesondere die Juden, ausgerottet werden müssten. Dabei beließen es die Nazi-Verbrecher nicht bei der Rassentheorie, sondern setzten diese durch die so genannte Endlösung der Judenfrage in die Tat um. In den Konzentrationslagern wurden sechs Millionen Menschen, überwiegend Juden aus ganz Europa, aber auch andere „Untermenschen“ ermordet (Holocaust). Der Nazi-„Rassenhygiene“ fielen außerdem Menschen zum Opfer, deren Leben als „lebensunwert“ eingestuft wurde, wie insbesondere körperlich, seelisch und geistig Behinderte („Aktion T4“).

Dieser bis zum Äußersten getriebene Rassenwahn ist vor allem dafür verantwortlich, dass wir heute so empfindlich reagieren, wenn der Verdacht des „Rassismus“ besteht.

Dabei wissen wir längst, dass die Einteilung der Menschheit in Rassen wissenschaftlich nicht haltbar ist. Doch noch 1972 heißt es in meiner 20bändigen Brockhaus Enzyklopädie unter dem Stichwort „Rasse“ „Die Rassen der Menschen sind natürliche, biologisch-systematische Untergruppen der (heutigen und vorgeschichtlichen) Menschheit.“ Wegen ihrer systematischen Klassifizierung wird auf den Begriff „Menschenrassen“ verwiesen. Dort stößt man auf Abbildungen, die den „Rassetafeln“ aus Naturkundebüchern der Nazi-Zeit zum Verwechseln ähneln. „Rassismus“ definiert der Brockhaus als „Schlagwort für eine Haltung, bei der Menschen einer Rasse die Angehörigen anderer Rassen oder ethnischer Gruppen als minderwertig ansehen; damit ist regelmäßig der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Rasse oder ethnischen Gruppe verbunden.“

In der Brockhaus-Ausgabe von 1991/92 gibt es zwar immer noch „Menschenrassen“; der Text ist jedoch vollständig überarbeitet und die Abbildungen sind weggefallen. Die Definition von Rassismus lautet jetzt: „R. bezeichnet sowohl Einstellungen (Vorstellungen, Gefühle, Vorurteile) als auch Handlungen, die die Verachtung, Benachteiligung, Ausgrenzung und Unterdrückung bis zur phys. Vernichtung von Menschen dadurch legitimieren bzw. in die Tat umsetzen, daß sie eine Auswahl vorhandener körperlicher Merkmale zu ‘Rassemerkmale‘ zusammenstellen und diese meist negativ bewerten.“

Dagegen liest man bei Wikipedia „Rasse wird taxonomisch heute nur noch für Haustiere und Kulturpflanzen verwendet (vgl. Artikel Haustierrasse). Die Verwendung in der übrigen Biologie ist seit den 1950er Jahren immer seltener und erfolgt dann nicht mehr im taxonomischen Sinn. Heute bezeichnet man die natürlich entstandene Vielfalt innerhalb einer Art als genetische Variation. Der Begriff Rasse ist wissenschaftlich zunehmend obsolet, er kommt mehr und mehr außer Gebrauch.“

Ben Jelloun sieht das ebenso, wenn er schreibt: «Le raciste croit ou fait croire que l’étranger appartient à une autre race, une race qu’il considère comme inférieure. Mais il a totalement tort, il existe une seule race et c’est tout, appelons-la le genre humain ou l’espèce humain, par opposition à l’espèce animale.» (Der Rassist glaubt oder will uns weismachen, dass der Fremde einer anderen Rasse angehört, einer Rasse, die er als minderwertig ansieht. Aber er liegt vollkommen daneben, es gibt nur eine einzige Rasse und das ist alles, wir nennen sie die menschliche Art oder die menschliche Spezies im Gegensatz zur tierischen Spezies.) Und dann kommt er auf die verschiedenen Hunde- und Rinderarten zu sprechen (wobei er den Begriff « race » vermeidet und stattdessen « espèce » gebraucht).

Wird der Rasse-Begriff auf Haustiere beschränkt, wäre derjenige Rassist, der ihn auf Menschen anwendet und dabei eine hierarchische Ordnung herstellt.

Leider ist dieser einfache Weg auf absehbare Zeit verbaut, denn das Grundgesetz selbst verwendet den Begriff in Bezug auf Menschen. In Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 heißt es: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt (sic!) werden. 

Da schwerlich davon ausgegangen werden kann, dass diese Grundgesetzbestimmung selbst „rassistisch“ ist, hat man versucht, an Kriterien wie „Farbige“, „Mischlinge“ oder auch „Zigeuner“ anzuknüpfen, wobei insbesondere der letztere Begriff seinerseits als diskriminierend (politisch nicht korrekt) kritisiert wird. Nicht jeder hat es bei diesem Thema so einfach wie die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, die bei der Verleihung der Goldenen Kamera für ihre objektive Berichterstattung über die Flüchtlingskrise zur Begeisterung des Publikums ausrief: „Wenn Sie sich rassistisch äußern, dann sind Sie verdammt noch mal ein Rassist!“ Alles klar? Oder etwa nicht? Der „Süddeutschen“ gefiel der Satz jedenfalls so gut, dass sie ihn zur Schlagzeile machte. Dunja Hayali war übrigens diejenige, die erkannt hat, wer hinter den Übergriffen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof steckte: „Nicht Ausländer, sondern Arschlöcher belästigen Frauen.“

„Rasse“ kommt aber nicht nur im Grundgesetz vor, sondern auch in einigen internationalen Regelwerken. Auch das Schweizerische Strafgesetzbuch bezieht den Tatbestand der Rassendiskriminierung (Artikel 261bis)* neben Ethnie oder Religion auf den Begriff der „Rasse“.

Ebenfalls an den Rassebegriff knüpft das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (“Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms“) vom 4. November 1950 an. Artikel 14 bestimmt: Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten (The enjoyment of the rights and freedoms set forth in this Convention shall be secured without discrimination on any ground such as sex, race, colour, language, religion, political or other opinion, national or social origin, association with a national minority, property, birth or other status.)

Den gleichen Weg geht die ICERD der Vereinten Nationen, The International Convention on the Elimination of all forms of Racial Discrimination vom 7. März 1966, in Kraft seit 1. April 1969. Artikel 1 Nr. 1 dieser Anti-Rassismus-Konvention verschärft die Problematik noch, indem er definiert: “In this Convention, the term ‘racial discrimination’ shall mean any distinction, exclusion, restriction or preference based on race, colour, descent, or national or ethnic origin which has the purpose or effect of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise, on an equal footing, of human rights and fundamental freedoms in the political, economic, social, cultural or any other field of public life.”

In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck "Rassendiskriminierung" jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird. Danach kommt die Hautfarbe als eigenständiges Diskriminierungskriterium in Betracht, wodurch der Begriff „Rasse“ noch weiter eingeschränkt wird.

1966 haben die Vereinten Nationen den 21. März als “Internationalen Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung” bestimmt, im Gedenken an den 21. März 1960, an dem in Sharpeville/Südafrika 69 Teilnehmer einer friedlichen Demonstration gegen das Apartheids-System erschossen wurden.

Der Europarat hat 1993 eine European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) eingerichtet. Seit 2013 befasst diese sich auch mit der Diskriminierung von homosexuellen,  bisexuellen und transsexuellen Menschen.

Einen gewissen Abschluss hat die Entwicklung durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 gefunden, durch das die vier Antidiskriminierungsrichtlinien der EU in deutsches Recht umgesetzt wurden. Ziel des Gesetzes ist nach § 1, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Nur am Rande: „Bevorzugungen“ wie in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 GG (nur wegen Behinderung gilt nach Satz 2 ausschließlich das Benachteiligungsverbot) oder in der ICERD (“preference“) sollen nicht verhindert oder beseitigt werden.

Am 18. März 2008 hat die deutsche Bundeskanzlerin vor der Knesset, dem israelischen Parlament, in Jerusalem erklärt: „Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dürfen in Deutschland und in Europa nie wieder Fuß fassen, und zwar weil alles andere uns insgesamt – die deutsche Gesellschaft, das europäische Gemeinwesen, die demokratische Grundordnung unserer Länder – gefährden würde.“

Auch die im Oktober 2013 gestartete UEFA-Kampagne „Say no to racism“ knüpft offenkundig an die Vorstellung unterschiedlicher Rassen an, hält diese aber natürlich nicht für einen Grund für Ungleichbehandlungen. Zahlreiche weltbekannte Fußballer beteiligen sich an dieser Aktion: https://www.youtube.com/watch?v=WvD--RLOPH4 (das Video hatte am 7. Februar um 10:30 Uhr 489.931 Aufrufe). „Rassismus“ bringt es übrigens bei Google auf 5.5 Mio. Ergebnisse, „racism“ auf 73.5 Mio. Für „Rasse“ lautet die Zahl 9.57 Mio., für „Rassen“ 7.04 Mio., für „Menschenrassen“ dagegen nur 82.200.

Eigentlich erstaunlich, dass so ein zentraler Begriff wie „Rasse“, in keinem der einschlägigen Regelwerke definiert ist.

Außer Norwegen hat bisher, soweit ersichtlich, noch kein Land oder eine Organisation, Konsequenzen aus der Kontaminierung des Begriff der „Rasse“ durch die Nazis gezogen.

In der englischen Version von Wikipedia heißt es unter dem Stichwort ”Racism“: “In Norway, the word ‘race’ has been removed from national laws concerning discrimination as the use of the phrase is considered problematic and unethical. The Norwegian Anti-Discrimination Act bans discrimination based on ethnicity, national origin, descent and skin color.”

Dieser Artikel existiert in 111 weiteren Sprachen, wobei auffällt, dass weder die deutsche noch die spanische, die französische, die italienische und die russische Version diese Information enthalten. Ich weiß nicht, ob die Regelung Norwegens auf den Vorschlag zurückzuführen ist den Ben Jelloun seiner Tochter macht: „Ich schlage vor, du benutzt das Wort ‚Rasse‘ überhaupt nicht mehr. Es ist von böswilligen Menschen derart missbraucht worden, dass es besser durch den Begriff ‚Menschheit‘ ersetzt werden sollte.“

Dies alles hat der Vater seiner Tochter natürlich nicht in dieser Weise, sondern „altersgerecht“ erklärt. Gleichwohl fragt ihn Mérièm ziemlich ratlos: „Aber woher weiß ich, wann eine Äußerung rassistisch ist und wann nicht?“

Liebe Mérièn, das genau macht diesen Begriff ja so beliebt in der politischen Diskussion, wo man jeden Gegner zum Schweigen bringen kann, indem man ihm „Rassismus“ vorwirft. Da wird selten weiter nachgefragt, weil sich niemand auch nur dem leisesten Verdacht aussetzen möchte, sich eventuell im Dunstkreis der „biologistischen“ Rassenkunde der Nazis zu bewegen. Denn am Ende des Gesprächs mit Deinem Vater erkennst Du ja selbst: „Ein Rassist ist ein Drecksack."   

Der letzte Prominente, der dies erfahren musste, war Thilo Sarrazin. Man wird unwillkürlich an einen Ausspruch von Hermann Göring erinnert, der gesagt haben soll „Wer Jude ist, bestimme ich.“ Diese „Deutungshoheit“ macht den Begriff „Rassismus“ zu einer schweren Waffe, weshalb man auch treffend von „Rassismuskeule“ spricht. Dein Vater, liebe Mérièm, hat dieses Problem sehr wohl gesehen und sagt deshalb an anderer Stelle, nämlich in seinem Roman „Verlassen“: „Genau, wenn einem die Argumente ausgehen, bleibt immer noch der Rassismus.“

Jeder Mensch hat ein natürliches Misstrauen gegen Fremde. Anders hätten wir den evolutionären Weg bis in die Gegenwart wahrscheinlich gar nicht geschafft. Welche Eltern schärfen ihren Kindern nicht ein, „Geht niemals mit Fremden“, wohl wissend, dass die Gefahr sexuellen Missbrauchs im eigenen Familien- und Verwandtenkreis ebenso besteht.

Doch zwischen diesem Misstrauen gegenüber Fremden und dem nicht auf eine bestimmte Person bezogenen Hass auf sie liegen Welten. Wenn man eine Ideologie oder Religion kritisiert oder ablehnt, bezieht man deren Anhänger nicht automatisch in diese Kritik oder Ablehnung mit ein. Denn ein Individuum ist in aller Regel vielschichtig und kann deshalb nicht auf eine einzige Eigenschaft oder Haltung wie Religion, Weltanschauung, Ethnie, Herkunft, Hautfarbe oder was auch immer reduziert werden. Ausnahmen mögen für Fanatiker gelten, die sich zur Gänze mit dem Gegenstand ihres Fanatismus identifizieren.

Vor-Urteile sind unvermeidlich, ja überlebensnotwendig. Allerdings nur so lange, bis uns Erkenntnis oder Erfahrung eines Besseren belehrt. Wenn wir dann trotzdem an ihnen festhalten werden sie zu intolerablen Vorurteilen, die das menschliche Zusammenleben vergiften und den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährden können.

Das Bundesverfassungsgericht spricht in seinen Entscheidungen immer wieder vom „Menschenbild des Grundgesetzes“. Das ist ein normativer Begriff, an dem sich vor allem der Staat im Verhältnis zu seinen Bürgern orientieren muss. Wir alle, die wir die Bürgerschaft bilden, unterliegen jedoch auch den Regeln von Physik und Chemie. Und deshalb gilt für uns die Aussage des Insektenforschers Edward O. Wilson: “Der Mensch hat steinzeitliche Gefühle, mittelalterliche Institutionen und eine gottgleiche Technik.”

Und deshalb gleicht der Kampf gegen „Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit“ dem Anrennen Don Quijotes gegen die Flügel der zahlreichen Windmühlen in seiner Heimatregion Kastilien-La Mancha. Oder dem letztlich erfolglosen Bemühen des Sisyphos, von dem Camus allerdings gesagt hat, wir müssten uns ihn „als einen glücklichen Menschen vorstellen“.

Ja, aber was ist denn nun Dein Ergebnis, Opa? Ach so, ich dachte, das sei klar geworden. Also, ich folge der norwegischen Lösung und benutze den Begriff Rasse auf Menschen bezogen nicht. Wer das dennoch tut, ist in meinen Augen ein „Rassist“ (er weiß es nur nicht). Aber an sich brauchen wir den Begriff gar nicht; dann kann er auch nicht mehr als Totschlag-„Argument“ benutzt werden. Wer andere Menschen wegen ihrer Andersartigkeit benachteiligt oder bevorzugt, verächtlich macht oder beschimpft, verstößt gegen das Diskriminierungsverbot. „Solange Du dem Anderen sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist Du noch weit weg vom Weg der Weisheit“, hat uns Konfuzius hinterlassen.

Dabei steckt der Teufel natürlich im Detail. Doch das wäre eine eigene Betrachtung wert, die mit Rassismus nichts mehr zu tun hätte.

Hier nur so viel: Früher unterschied unser Strafgesetzbuch drei Kategorien von Straftaten: Verbrechen, Vergehen, Übertretungen - diese Unterscheidung ist schon alt und geht auf den Code Pénal, das Strafgesetzbuch Napoleons I., zurück. Unter letztere fielen die meisten Verkehrsdelikte. Dadurch liefen die Deutschen Gefahr, ein Volk von Vorbestraften zu werden. Deshalb wurde diese Systematik 1974 abgeschafft: Übertretungen sind seither Ordnungswidrigkeiten, die mit Geldbuße geahndet werden, was nicht zum Status „vorbestraft“ führt.

Jetzt droht den Deutschen die Gefahr, ein Volk von Diskriminierten zu werden. Denn es ist schier unmöglich, der Diskriminierungsfalle zu entgehen. Diskriminierung ist überall. Sie begegnet uns auf Schritt und Tritt. Nehmen wir zunächst sämtliche „Kanaken“ (vermutlich von polynesisch "kanaka" - Mensch), laut Wikipedia ein Schimpfwort für Menschen mit „südländischem“ Aussehen, und Friesen; dann natürlich alle Frauen (gut 41 Millionen, etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland); die Muslime sowieso (rund 5 Millionen, wobei die Männer doppelt und die Frauen dreifach diskriminiert werden); alle Rentner und Pensionäre über 65 Jahre (rund 17 Millionen) und schließlich alle Schwulen und Lesben.

Wer bleibt da eigentlich noch übrig? Antwort: die heterosexuellen Männer unter 65, soweit sie nicht Muslime oder Friesen sind oder irgendwie südländisch aussehen. Und die Dicken, soweit sie nicht unter eine der genannten Kategorien fallen, es sei denn, man bezeichnet sie als Behinderte. Nun sind sie das zwar in bestimmten Beziehungen, z.B. beim Bücken, Treppensteigen oder beim Sex (sehr umstritten!), aber generell ginge diese Bezeichnung wohl doch zu weit. Trotzdem wehren auch sie sich gegen „Diskriminierung“ (s. z.B. GgG e.V.).

Solange allerdings niemand gezwungen ist, eine bestimmte Person zu heiraten, weil ihm andernfalls der Diskriminierungsvorwurf droht, solange haben wir das Schlimmste noch vor uns. 

Mit der Ausdehnung des Diskriminierungsbegriffs haben wir genau so einen Holzweg betreten wie beim Toleranzbegriff (lies hierzu Henryk M. Broder, Kritik der reinen Toleranz) und der sozialen Gerechtigkeit (lies hierzu August Friedrich von Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus, J. C. B. Mohr, 1996, S. 124 ff.; außerdem hat er im zweiten Band seiner Trilogie „Recht, Gesetzgebung und Freiheit“ ausführlich über „Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit“ geschrieben) oder der Gender-Problematik. Und Holzwege landen irgendwann in der Sackgasse. Mehr dazu vielleicht ein andermal.   

 

 

 

 

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Jürgen Althoff / 15.02.2016

Nach Watzlawick kann man sagen: Man kann nicht nicht diskrimieren. Denn jede noch so kleine und unbedeutende Entscheidung für etwas bedeutet gleichzeitig, sich gegen alles andere zu entscheiden, also zu diskriminieren. Und etwas anderes als “unterscheiden” bedeutet das lateinische Wort auch nicht. Und weil das so ist, kann man jedem Menschen jederzeit “vorwerfen”, dass er diskriminiere. Das Heimtückische bei denjenigen, die mit der Diskriminierungskeule gegen Andersdenkende hantieren ist, dass sie ihren Opfern im Kern vorwerfen, nicht das “Richtige” zu diskriminieren. Sie fordern also zur Diskriminierung dessen auf, wofür sich der Angegriffene aus freiem Willen entschieden hat. Also sind alle Diskriminierungsvorwürfe geheuchelt. Angegriffen wird die unerwünschte Auswahlentscheidung, nicht das Diskriminieren. Aber vermutlich reicht die intellektuelle Substanz der meisten politischen Antidiskriminierungskämpfer gar nicht aus, um soweit zu denken.

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