Henryk M. Broder / 20.02.2008 / 12:10 / 0 / Seite ausdrucken

Niggemeier & Co: Die Laus, die brüllte

Als ich noch versehentlich in Köln lebte, der hässlichsten und spießigsten aller deutschen Kleinstädte, gab es dort einen Verein namens „Volkswartbund“. Er unterstand der Diözese und bestand im wesentlichen aus älteren männlichen Rentnern, die das Angenehme mit dem Erhabenen und dem Gesunden zu verbinden verstanden. Sie inspizierten Kioske, Leihbibliotheken und Antiquariate, und wo immer sie eine „jugendgefährdende“ oder sittlich anstößige Schrift entdeckten, erstatten sie Anzeige oder holten gleich die Polizei. Und jugendgefährdend bzw. anstößig war alles, war die flanierenden Rentner erregte: Von den Erinnerungen der Josephine Mutzenbacher über erotische Postkarten aus der Frühzeit der Fotografie bis zu FKK-Magazinen mit Turnern und Turnerinnen, die in Rhönrädern durch nackte Landschaften rollten. Auch die Volkswartbund-Wächter hatten ihren Spaß. Statt daheim zu versauern, waren sie den ganzen Tag unterwegs und bekamen das zwischen die Finger, wovor sie andere bewahren wollten.

Die alte Geschichte fiel mir wieder ein, als ich vor kurzem bei einer Preisverleihung in Berlin zufällig Stefan Niggemeier kennen lernte, den „Medienjournalisten“ und Mitherausgeber des BILDblog. Während ich BILD beinah täglich lese, habe ich den BILDblog noch nie besucht. Jetzt habe ich es doch getan und das Prinzip schnell verstanden. Es ist nicht „Medienkritik“, es ist gelebtes Junkietum. Niggemeier ist von BILD fasziniert, so wie die Volkswartbund-Rentner von dem „Schweinkram“ fasziniert waren, dem sie täglich nachstellten. Man könnte auch von einer Frustration sprechen, die nach einem Ventil sucht.

Dagegen wäre im Prinzip nichts zu sagen, denn auch jeder Kunst- oder Literaturkritiker wäre lieber Künstler oder Dichter geworden. Für Sportreporter gilt dasselbe. Und Steuerfahnder sind vor allem Pechvögel, die nicht genug verdienen, um Steuern hinterziehen zu können. Das alles ist vollkommen normal.

Bei Niggemeier läuft es ein wenig anders. Er hat nicht einfach einen Riesenspaß daran, täglich BILD zu lesen, er braucht dafür ein Alibi, um nicht in den Verdacht zu geraten, dass es ihm einen Riesenspaß macht, BILD zu lesen. Er macht es sozusagen widerwillig, er opfert sich für den guten Zweck. So wie sensible Intellektuelle, die am liebsten koreanische Spielfilme mit mongolischen Untertiteln auf arte sehen, heimlich und widerwillig „Big Brother“ auf RTL2 gucken, nur um zu wissen, was sie ihren Kindern nicht zumuten dürfen.

Und Niggemeier treibt es nicht mit sich allein. Einige zehntausend Afficionados, die nicht einmal eine gelesene BILD aus der U-Bahn mitnehmen würden, besuchen regelmäßig den BILDblog, um sich darüber zu informieren, was ihnen so zuwider ist wie einem Vegetarier eine Portion Tartar. So wichst zusammen, was zusammen gehört.

Dabei gibt es statt der geilen Hasen oft nur lahme Igel. BILDblog rechnet nach, dass die kleine Nadia (13) nur 33 Stunden wöchentlich für die Schule paukt und nicht, wie von BILD behauptet, 41 oder gar 5o Stunden. BILDblog stellt einen BILD-Bericht richtig, in dem behauptet wurde, George Clooney sei von seiner Nachbarin Britney Spears dermaßen „genervt“, dass er wegziehen wolle. Tatsächlich habe Clooney nur gewitzelt: „So now I have to move.“ Und titelt BILD „Zwei Männer am U-Bahnhof abgestochen“, schaut BILDblog sofort im Duden nach: „ab|ste|chen: 1. (ein Schlachttier) durch das Durchstechen der Halsschlagader töten: ein Schwein, einen Hammel a.; (derb von Menschen) er hat seine Opfer brutal abgestochen. (…)“

Wovon nicht die Rede sein kann, denn sogar im dazugehörigen BILDBericht hieß es: „René H. wurde im Rücken getroffen, Burak B. rammten sie ein Messer in den Bauch. Klinik!“ Am Ende der Richtigstellung heißt es dann: „Mit Dank an Sascha für den sachdienlichen Hinweis.“

Ja, das sind Hinweise, bei denen Kommissar Erbsenzähler das Herz in der Hose aufgeht. Anstechen ist nicht abstechen. Wer es noch genauer wissen will, bekommt im BILDblog-Shop neben allerlei Textilien auch 14 Bücher angeboten, darunter heiße Aktualitäten wie Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ und Wallraffs „Aufmacher“. 

Man muss BILD nicht lesen.  Echte Genießer tun es aber in einem BILDblog-Sweat-Shirt zu 26.9o über einem BILDblog-T-Shirt zu 14.9o mit einer BILDblog-Strickmütze auf dem Kopf zu 12.- Euro.

Denn BILDblog ist die kleine Laus im Pelz des großen Muttertiers.
Was für eine beglückende Ko-Existenz.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 07.03.2024 / 16:00 / 19

Aserbaidschanische Kampagne verhindert Armenien-Debatte

Eine in Berlin geplante Buchpräsentation und Diskussion über bedrohtes armenisches Kulturgut konnte aus Sicherheitsgründen nur online stattfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)…/ mehr

Henryk M. Broder / 04.03.2024 / 14:00 / 23

Michael Blume: Vom Zupfgeigenhansl zum Ersten Geiger?

In der Dienstzeit des Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume hat die Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg erfolgreich zugenommen. Aber der Mann hat andere Sorgen. Ende Dezember letzten…/ mehr

Henryk M. Broder / 26.01.2024 / 12:00 / 70

Frau Assmann denkt über 1945 hinaus

Eine „Expertin für Erinnerungskultur“ möchte die Erinnerung an die Shoa mit der an die Nakba verbinden. Den Palästinensern wäre mehr geholfen, wenn Deutschland ihnen ein…/ mehr

Henryk M. Broder / 17.01.2024 / 06:15 / 91

Der Unsinn, aus dem Antisemitismus-Beauftragte gebacken werden

Gleich nach dem Influencer, dem Eventmanager und dem Insolvenzberater ist „Antisemitismusbeauftragter“ ein Beruf mit Zukunft. Der Antisemitismus hat Hoch-konjunktur, und da braucht man ausgewiesene Experten…/ mehr

Henryk M. Broder / 02.01.2024 / 14:00 / 50

Bedeutende Denkerinnen und Denker des 21. Jahrhunderts: Chr. Str.

Christian Streich, seit 2012 Cheftrainer des FC Freiburg, ist vor allem dafür bekannt, dass er sich gerne „einmischt“ und „Stellung bezieht“. Denn: Sich einmischen und…/ mehr

Henryk M. Broder / 21.12.2023 / 16:00 / 6

Efraim Habermann: 19.6.1933 – 19.12.2023

Der Fotograf Efraim Habermann ist mit 90 gestorben. Ein kultivierter Herr, der noch auf Aussehen und Umgangsformen achtete, das Haus nie ohne Krawatte und Einstecktuch verließ. Statt eines…/ mehr

Henryk M. Broder / 05.12.2023 / 13:00 / 38

Bedeutende Denkerinnen und Denker des 21. Jahrhunderts: D.F.

Es muss nicht immer einer oder eine aus der Beletage des Feuilletons sein. Auch im Souterrain des Kulturbetriebs flackert manchmal ein Licht auf. Derzeit ist es…/ mehr

Henryk M. Broder / 30.11.2023 / 15:30 / 26

Ernst Piper verlässt PEN Berlin

Der Historiker und Verleger Ernst Piper ist aus dem vor kurzem gegründeten PEN Berlin ausgetreten. Dazu bewogen haben ihn Susan Neiman, die Leiterin des Potsdamer…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com