Martin Kloke
Bis vor kurzem war die linksbürgerliche Welt noch in Ordnung, waren die Rollen klar verteilt: Henryk M. Broder spießt seit Jahren unerbittlich-scharfzüngig israelbezogene Ressentiments im liberalen und linken Juste Milieu auf und diagnostiziert Symptome verdruckster judenfeindlicher Obsessionen. Anstatt selbstkritisch über die Wahrheitsmomente dieser Beobachtungen nachzudenken, empört sich das kritische Feuilleton jedes Mal aufs Neue.
Die selbstgewisse Gutmenschen-Community samt Entourage, zu der auch das johlende Pack notorischer Leserbriefschreiberlinge gehört, fühlt sich sichtlich getroffen und zeigt sich genervt. Was tun? Einen politisch korrekten Ausweg scheint die leidige Existenz und Politik des kleinen Judenstaates am Rande des Mittelmeers zu bieten. „Vor Kühnheit zitternd“ (frei nach Martin Walser) wähnen die emsigen Bewährungshelfer im Israel-Bashing den finalen Befreiungsschlag: Israel plant angeblich einen Völkermord am iranischen Volk, ist eine Gefahr für den Weltfrieden, führt die ganze Welt am Gängelband und ist auch sonst für allerlei Übel verantwortlich.
Der Circulus vitious ist perfekt – für gewöhnlich beginnt eine neue Runde der Auseinandersetzung. Nun ist aber das schier Undenkbare passiert: Henryk M. Broder hat sich für seinen auf Jakob Augstein gemünzten “Stürmer”-Vergleich entschuldigt – nicht mehr und nicht weniger. http://www.welt.de/kultur/article112708625/Das-war-nicht-hilfreich-Ich-entschuldige-mich.html
Hat Broder wirklich? Kann es wahr sein, dass sich jener „Agent Provocateur“ (Bodo Ramelow), der regelmäßig das linksdeutsche Establishment zur Weißglut treibt, persönlich „entschuldigt“? Unsere Leitmedien sind schier fassungslos und versuchen ihr gewohntes Weltbild wiederherzustellen. Die kritische Süddeutsche Zeitung zweifelt in ihrer Samstagausgabe erst einmal an des Sünders Reue und titelt: „Broder entschuldigt sich halbherzig bei Augstein“. http://www.sueddeutsche.de/medien/nazi-vergleich-broder-entschuldigt-sich-halbherzig-bei-augstein-1.1571371
Der TAGESSPIEGEL ist am gleichen Tag schon etwas mutiger und berichtet auf Seite 1, Broder habe sich „teilweise“ bei Augstein entschuldigt. http://www.tagesspiegel.de/zeitung/neue-runde-im-streit-broders-mit-augstein/7620818.html Doch die Zweifel bleiben. Einen Tag später, am heutigen Sonntag, platziert das Blatt auf Seite 2 eine inhaltlich fast gleich lautende Nachricht. Unfassbar: „Broder entschuldigt sich bei Augstein für Nazi-Vergleich“ http://www.tagesspiegel.de/zeitung/inland/7621894.html (herunterscrollen!)
Was bei alledem auffällt: Keiner unserer kritischen Berichterstatter und Kommentatoren stellt die Frage, ob sich nun auch der eine oder andere Salon-Antisemit – pardon: „Israelkritiker“ – für seine feindseligen Ausfälle gegen Broder entschuldigt. Frau Mendelsohn, Herr Bommarius, Herr Martenstein: Übernehmen Sie und kommen Sie evtl. heiklen Rückfragen zuvor!