Vera Lengsfeld / 03.02.2018 / 15:00 / Foto: Nomadic Lass / 9 / Seite ausdrucken

Neuwahl einer Bevölkerung?

Es soll hinterher niemand behaupten, unsere Politiker hätten nicht gesagt, was sie mit unserer Gesellschaft vorhaben. Sie tun es nur versteckt und verquast, damit es nicht so leicht bemerkt werden kann. Ganz im Sinne der Handlungsanleitung, die der Chefeuropäer Jean-Claude Juncker schon vor Jahren gegeben hat:

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter –Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Das ist die Haltung eines Autokraten. Kein ernstzunehmender Demokrat würde mit solcher Verachtung über den Souverän, also die Bürger, sprechen. Aber dass das Volk letztlich durch die Zuteilung der Mandate darüber bestimmen soll, in welche Richtung die Reise geht, ist zwar ein netter Gedanke und steht so ähnlich auch im Grundgesetz und anderen westlichen Verfassungen, doch beim Regieren bekanntlich mitunter störend. Zumal dann, wenn das Volk der Weisheit seiner Führung trotz ihres hochmoralischen Anspruchs immer weniger folgen mag und böse Fragen stellt. Dann mag es helfen, dieses Volk mal in seine Schranken zu weisen.

Beispielsweise, indem man den Unterschied zwischen Volk und Bevölkerung aufweicht und damit eine Verfassungsgrundlage der Auflösung preisgibt. Eigentlich ist es ganz einfach und gehört zum Einmaleins staatsbürgerlicher Bildung: Das Volk sind die Bürger, die Staatsangehörigen, die mit ihrem Staat durch besondere Rechte und Pflichten verbunden sind. Sie dürfen wählen, genießen im Ausland den diplomatischen Schutz ihres Heimatlandes – in Deutschland sind sie auch vor der Auslieferung an eine fremde Macht geschützt. Dafür gilt für sie im Ernstfall beispielsweise die derzeit ausgesetzte Wehrpflicht.

Damit haben alle, die keine Staatsbürger sind, nichts zu tun, egal wie lange sie hier leben und wie viele Steuern sie schon gezahlt haben mögen. Sie gehören zur Bevölkerung, aber nicht zum Volk. Wenn sie zum Volk gehören möchten, können sie sich einbürgern lassen. Andersherum ist natürlich jeder Bürger, der zum Volk gehört, auch Teil der Bevölkerung. Das Volk ist logischerweise zwar die dominierende, aber dennoch nur eine Teilmenge der Bevölkerung.

Solch ein staatsbürgerkundlicher Exkurs scheint inzwischen leider häufiger nötig zu sein, wenn ausgerechnet der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble am 31. Januar in einer Rede vor dem Parlament diesen Satz sagt:

„Wer vom Volk spricht, aber nur bestimmte Teile der Bevölkerung meint, legt Hand an unsere Ordnung.“

Was ist „unsere Ordnung“? Die freiheitlich demokratische Grundordnung beruht auf dem Grundgesetz, das sich, wie in der Präambel nachzulesen ist, „das deutsche Volk dank seiner verfassungsgebenden Gewalt“ gegeben hat. Es gilt „für das gesamte deutsche Volk“. Artikel 20 legt fest: „Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus.“

Es ist erschütternd, dass der Bundestagspräsident oder seine Redenschreiber sich dessen nicht mehr bewusst zu sein scheinen. Oder verwischen sie diesen Unterschied wirklich gezielt? Bisher ist mir nicht bekannt geworden, dass Wolfgang Schäuble etwas aus Versehen gesagt. Wenn es jemanden gibt, der ganz genau weiß, was er sagt, dann Schäuble.

Für rasanten Zuwachs der Bevölkerungszahl außerhalb des Volkes hat die Regierung in den letzten Jahren ja gesorgt, ohne dass das Volk oder seine Volksvertreter über diese Grundsatzfrage dezidiert abgestimmt hätten.

In der Demokratie nach dem Grundgesetz bestimmt das Volk alle Staatsgewalt. In der Welt vieler Regierungsmitglieder scheint „Volk" hingegen schon ein eher anrüchiger Begriff zu sein. Soll man nun in Abwandlung des berühmten Spruchs von Bertolt Brecht sagen, dass die Regierung das Volk auflösen und sich stattdessen eine neue Bevölkerung wählen möge?

Mit ähnlichem Eifer, mit dem in den finstersten Zeiten unserer Geschichte an der „Volksgemeinschaft“ gebastelt wurde, wird jetzt die Auflösung der gesellschaftlichen Struktur betrieben. Das aber wäre das Ende der emanzipatorischen Errungenschaften, die mühsam über Generationen erkämpft wurden und deren Reste wir derzeit noch genießen dürfen.

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Martin Stumpp / 03.02.2018

Die Tatsache, dass der Bundestagspräsident sich in einer Rede offen gegen das Grundgesetz stellt, lässt nichts gutes erahnen. Wäre es nur ein faux pas gewesen, wäre er zurück getreten oder hätte sich zumindest entschuldigt. Wobei ein solcher faux pas vom Bundestagspräsidenten m.E. deutlich mehr verlangt als eine einfache Entschuldigung. Es sieht so aus als ob die Altparteien gemeinsam die Abschaffung der alten Ordnung beschlossen hätten, wobei bisher ungesagt bleibt wie die Neue aussehen soll. Eine Ahnung davon stellt sich allerdings langsam ein, aber wirkliche Freude will bei dieser Vorstellung nicht aufkommen. Ich habe keine Ahnung wie zutreffend die Vorwürfe der Altparteien gegenüber der AfD sind, wenn dieser unterstellt wird, sie wolle die Demokratie abschaffen, wenn sie an die Macht kommt. Allerdings erscheint mir eine AfD ander Macht zunehmend als das geringere Risiko gegenüber einem weiter so der Altparteien. Kann es sein, dass man nur noch die Wahl zwischen Pest (Altparteien) und Cholera (AfD) hat?  Wobei, dass es sich um die Cholera handelt, dafür gibt es nur ein paar Symptome (Indizien), die endgültige Diagnose (Beweis) steht aber noch aus.

Dirk Jungnickel / 03.02.2018

Ein legitimer und nachdenkenswerter Einwand.  Bekräftigt oder entkräftet könnte er nur werden, wenn man Schäuble damit konfrontierte. Da sich unter den Achse - Lesern -  hoffentlich nicht wenige!  - Abgeordneter des Bundestages befinden,  seien sie hiermit aufgefordert, das zu übernehmen und die Achse - Leser vom Ergebnis zu unterrichten.

Karla Kuhn / 03.02.2018

“„Wer vom Volk spricht, aber nur bestimmte Teile der Bevölkerung meint, legt Hand an unsere Ordnung“, sagt Wolfgang Schäuble. “Aber das Volk ist doch immer nur ein Teil der Bevölkerung. Es sind die Bürger des Staates, während zur Bevölkerung auch alle anderen gehören, die im Lande leben. Vom Volk, nicht von der Bevölkerung, geht laut Grundgesetz alle Staatsgewalt aus. Wer die Unterschiede zwischen Bürgern und Bevölkerung verwischen möchte, legt demnach Hand an unsere Ordnung.” Vielleicht hat Schäuble es während der bisher zwölfjährigen Merkel-Herrschaft einfach vergessen (müssen) ?? Denn wir, das Volk, wurden ja von Merkel kurzerhand in “diejenigen, die schon länger hier leben “umgetauft.” Könnte man nicht Merkel, die ja alles daran setzt, das deutsche Volk und die Bevölkerung weitere vier Jahre zu “beglücken” auch umtaufen ?  “Diejenige, die aus der DDR gekommen ist und uns die “Segnungen” der DDR nahe bringen möchte ??  Wir sollten aber uns nicht beklagen. WIR dürfen auch weiterhin der Steuer- und Alimentezahler-Souverän bleiben. “Soll man nun in Abwandlung des berühmten Spruchs von Bertolt Brecht sagen, dass die Regierung das Volk auflösen und sich stattdessen eine neue Bevölkerung wählen möge?”  Tolle Idee, das Volk aller Visegradstaaten würden Deutschland neuen Schwung geben.

Werner Arning / 03.02.2018

Wenn das Ziel der Politik sein sollte, das deutsche Volk als solches aufzulösen und in einem großen Ganzen aufgehen zu lassen, dann sollte es zulässig sein, mitzubestimmen, mit wem wir uns vermischen sollen. Dann möchte ich zumindest mitentscheiden, woher meine neuen „Volks-„ ,Entschuldigung, meine neuen Lebensabschnittsgenossen denn kommen. Kommen sie aus Europa, Amerika, Fernost, Nahost, Afrika oder aus Australien? Sollen es Gebildete oder Ungebildete sein, Christen oder Buddhisten, aggressive oder friedliebende Menschen, eher fleißige oder eher faule Menschen, eher Demokraten oder vielleicht Kommunisten? Wer passt zu mir und meinem Land? Sind das nicht legitime Fragen, wenn ich mich als Volk schon auflösen soll? Ich möchte doch nicht mit jemandem verschmelzen, der nicht zu mir passt. Darf ich denn gar nicht mitreden? Soll ich denn gegen meinen Willen zwangsvermischt werden? Als Vorgeschmack auf Zwangsehe? Nein, ich möchte Herr meiner Partnerwahl bleiben. Und mein Volk ist mir, trotz mancher berechtigter Einwände, noch mit das Liebste. Ich möchte es mir eigentlich erhalten. Gerne lade ich jedoch alle, die zu ihm passen, zur Vermischung ein. Die zu ihm passen.

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