Wenn eine Frau mit einem Henkelkorb, aus dem ein Flaschenhals und ein Kuchenpaket ragen, in eine Damenumkleidekabine kommt, dann gibt es zwei Möglichkeiten ? sie kommt gerade aus dem Wald und ist das Rotkäppchen, oder sie hat Geburtstag.
Es wird nach dem Sport mit einem Schluck Sekt gefeiert, und Kuchen gibt es auch noch, damit der Sekt nicht so reinknallt. Unter Damen ist das so Usus.
Es wurde also auf das Wohl des Geburtstagskindes angestoßen, der Kuchen probiert und über den grünen Klee gelobt, und gerade, als es so richtig urgemütlich wurde, holte die Jubilarin einen Brief aus dem Rotkäppchenkorb und sprach zu uns also:
?Hier ist ein Brief von meinem Sohn zum Muttertag, den muss ich euch unbedingt vorlesen!?
Ich dachte bis dahin noch, das ganze solle nur ein Scherz sein. Aber das war es leider nicht.
Die Mutter las mit stolzgeschwellter Brust und schwer gerührt in aller Öffentlichkeit die Ergüsse ihres Sprösslings vor, der sich unter anderem dafür bedankte, dass sie ihn immer bekocht und ihm die Wäsche gewaschen hat. Außerdem stellte er in Aussicht, dass er auf diesen Service noch mit Sehnsucht zurückblicken würde, wenn er dermaleinst auf sich selbst gestellt sei.
Ich wäre zwar am liebsten im Boden versunken, aber stattdessen geriet ich ins Grübeln.
Manche Dinge ändern sich anscheinend nie.
Diese Frau beklagt sich mitunter darüber, dass sie von den insgesamt vier Männern in ihrer Familie wie Scheiße behandelt wird. Das stimmt auch. Auf einem großen Empfang anlässlich ihres Geburtstages vermisste man unter den Gästen ihren Ehemann. Der war derweil segeln gegangen.
Der Sohn, zwanzigjährig und leider immer noch mit dem Essen spielend, weist Mama gern in Gegenwart wildfremder Leute wegen ihrer politischen Ansichten zurecht wie eine Grenzdebile.
Derselbe Sohn, dem sie seit zwei Jahrzehnten hinterherwäscht, -räumt und -kocht.
Für den sie im strömenden Regen vier schwere Tüten Lebensmittel mit dem Fahrrad holt, obwohl es zuhause vier starke Männer und zwei Autos gibt. Dem sie in zweijähriger, konzentrierter Fleißarbeit den Antrag auf Befreiung vom Wehrdienst geschrieben hat. Dem sie bis zur elften Klasse die Brust gegeben hat.
Nein, halt - das letzte war gelogen. Da muss wohl meine Fantasie mit mir durchgegangen sein. Als alte Emanze frage ich mich natürlich, warum eine Frau so tickt.
Ich habe selbst keine Kinder, aber ich verstehe durchaus, dass man für die eigenen Gören durchs Feuer ginge. Aber durch die Sklaverei? Täglich?
Und auch nach mehreren Jahrzehnten Feminismus und etlichen Metern Frauenliteratur komme ich zu dem Ergebnis: Sie tut es, weil sie es liebt. Alles andere wäre kompletter Irrsinn.