Wolfgang Röhl / 27.03.2018 / 12:00 / Foto: David Shankbone / 11 / Seite ausdrucken

Neuer Ultrakurzwitz: „Leipziger Volkszeitung“

Vor längerer Zeit gab es das Genre UKW (Ultrakurzwitze). Mein Favorit ist und bleibt der Kracher „Weltfrieden“. Ein Anliegen nicht nur, aber speziell des Duos Bastian/Kelly.

„Demokratische Republik Kongo“ finde ich auch sehr ulkig. Oder den „Spiegel“-Werbespruch „Keine Angst vor der Wahrheit“, welcher den langgedienten, genialen Claim „Spiegel-Leser wissen mehr“ aus unerfindlichen Gründen ablöste.

Spiegel-Lesern die ihnen eingedübelte Vorstellung nehmen, sie könnten für ein paar Mark oder Euro eine Bescheidwisserschaft erlangen, ihr Oberstübchen an der Hamburger Garderobe abgeben – welcher Honk war denn da am Werk?

Harmlose UKWs wie „Steht ein Manta vor der Uni“ oder „Gehen zwei Journalisten an einer Kneipe vorbei“ sind mittlerweile historisch. Opel Mantas kann man nur noch bei Oldtimer-Treffen besichtigen. Und Journos hecheln heutzutage an eventuell noch vorhandenen Kneipen vorbei. Anderenfalls träfen sie zum Texteschrubben in ihren Großraumställen zu spät ein und fänden dort schnell mal eine Abmahnung vor.

Damit sind wir beim Ultrakurzwitz „Leipziger Volkszeitung“. Das frühe SPD- und spätere SED-Blatt, an dem die heute real existierende Sozenpartei über ihre Medienholding DDVG eine Mehrheitsbeteiligung hält, stürzte in den vergangenen 20 Jahren auflagenmäßig um über 48 Prozent ab. Ein Löwenanteil des verbliebenen Leservolks sind betagte Abonnenten. Die werden bald unter dem Gottesacker liegen, ihre Nachkommen das Abo oftmals nicht verlängern.

Und weil das so sein wird, wurden und werden massiv Stellen bei den Volksfreunden geschleift. Mutmaßlich gehen in Leipzig demnächst Journos an einer Kneipe eben nicht mehr einfach so vorbei. Wer Sorgen hat, besagt der Volxmund, der hat auch Likör.

Dem Plebs zivilgesellschaftlich auf’s Maul hauen

Und wie reagieren die Verlagschefs? Na, indem sie dem Plebs zivilgesellschaftlich auf’s Maul hauen. Etwa bezüglich der „Gemeinsamen Erklärung“. Die Zeitung des Volkes erklärt dazu unbeugsam:

Tellkamp solidarisiert sich dort ‚mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird’. Das fordern Renegaten von Henryk M. Broder über Thilo Sarrazin bis zu Ellen Kositza, die mit ihrem Mann Götz Kubitschek den Antaios-Verlag leitet, bei dem sich auch harte Rechtsextreme wohlfühlen, wie gerade wieder auf der Leipziger Buchmesse deutlich geworden ist. Dort war wie schon bei der Frankfurter Buchmesse die Debatte um rechte Verlage eins der beherrschenden Themen, es kam zu Tumulten.

Spannend am knappen Aufruf ist vor allem, was er nicht enthält: keinerlei Distanzierung von rechtsradikalen bis rechtsextremen Gruppen, die in Cottbus, Berlin, Hamburg und anderswo die Demonstrationen nutzen und zum Teil prägen. Tellkamp beklagt einen ‚Diskurskorridor’ und trägt gleichzeitig dazu bei, den Diskurs nach rechts zu verschieben.

Vom späten, seiner Illusionen müden Bert Brecht ist das Bonmot überliefert:

Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?

Jede Wette: In spätestens zehn Jahren von hier wird sich unser Leipziger Volksfreund als Holzmedium weitgehend verkrümelt haben. Vielleicht flattert das Blatt dann noch irgendwo im Internet herum. Die „Frankfurter Rundschau“ lässt schon mal grüßen.

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Leserpost

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Gerd Koslowski / 27.03.2018

“Keine Angst vor der Wahrheit”, mmh, etwas sperrig. Prägnanter und positiver: “Mut zur Wahrheit”.

Karla Kuhn / 27.03.2018

“Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?”  Ist es nichts bereits so ??

Gabriele Schulze / 27.03.2018

Man führe sich das GG der Bundesrepublik Deutschland zu Gemüte - ein UKW jagt den nächsten! Art. 5, Art.7, Art.8…..

Bertram Scharpf / 27.03.2018

Es stellen einem „Aktivisten“ die Bude auf den Kopf, und dann muß man sich noch vorwerfen lassen, es sei zu „Tumulten“ gekommen. Das ist perfide.

Hartmut Laun / 27.03.2018

Ein UKW über die Leipziger Volkskammerzeitung: von Lenin: „Schlimmer als blind zu sein, ist nicht sehen zu wollen.“

Bernd Ackermann / 27.03.2018

Ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen und die Qualitätspresse zu den Untoten zählen, die morgen mangels Masse verschwunden sein werden. Not macht erfinderisch und ich kann mir durchaus vorstellen, dass demnächst eine Art GEZ für Printerzeugnisse geschaffen wird um die DDVG und notleidende Verlegermillionäre zu retten. So als Stütze der Demokratie und zur Volksbildung, Politik und Presse Hand in Hand. Per Zwangsabgabe vom Plebs finanziert schreibt es sich noch viel geschmeidiger und staatstragender. Was mich aber brennend interessiert: wie weit ist eigentlich der Schritt vom Renegaten zum Dissidenten? Da geht doch noch was!

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