Peter Grimm / 07.04.2016 / 15:10 / Foto: Rosino / 6 / Seite ausdrucken

Nee, nee, nee - wenn die Zwerge aus der Reihe tanzen

Volksabstimmungen waren einmal eine gute Sache. Vor vielen Jahren galt es als fortschrittlich, sich für mehr direkte Demokratie einzusetzen. Inzwischen haben viele von denen, die einstmals für mehr Volksabstimmungen eintraten, eher Angst davor, wie das Volk so abstimmt, wenn man es lässt. Man sieht es ja bei den Niederländern.

Da warnt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor den dramatischen Folgen eines Neins für ganz Europa. Insbesondere könnte das Votum auch den Austrittsbefürwortern in Großbritannien Auftrieb vor dem „Brexit“-Referendum am 23. Juni geben. Rechtspopulisten könnten jubeln und der Kreml-Herrscher Wladimir Putin könnte die Ablehnung des Ukraine-Abkommens als Sieg im neuen kalten Krieg verbuchen. Schrecklich! Und trotzdem scherte es die Mehrheit der Stimmbürger nicht. 61 Prozent sagten „Nein“ zum Abkommen beziehungsweise zur EU-Politik. Auch die Hoffnung der EU-Befürworter, es könnten vielleicht weniger als 30 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne schreiten, womit das Referendum ungültig gewesen wäre, erfüllte sich nicht. 32 Prozent Stimmbeteiligung sind zwar nicht gerade üppig, aber machen das Referendum zu einem nicht mehr zu ignorierenden Votum.

Und nun? Was machen ratlose Politiker mit einem solchen Ergebnis? Einen Plan B zu haben ist heutzutage in Regierungen ja nicht mehr en vogue. Immerhin: „Wir können das Assoziierungsabkommen jetzt nicht einfach so ratifizieren“, sagte Ministerpräsident Mark Rutte noch am Wahlabend. Streng genommen muss sich die Regierung an dieses Volksvotum zwar nicht halten, aber es ist nur noch ein Jahr bis zu den Parlamentswahlen. Die Wähler könnten ein Ignorieren des Volkswillens bis dahin noch nicht vergessen haben. Jetzt ist guter Rat teuer.

Tipps aus Deutschland für innovative Volkswillens-Interpretationen

Vielleicht sollten sich die Regierenden in Den Haag jetzt Rat von deutschen Politikern holen. Die können beispielsweise eine „europäische Lösung“ ansteuern, die außer ihnen keiner in Europa eigentlich will, da werden sie es doch bestimmt auch schaffen, das niederländische Stimmergebnis so zu interpretieren, dass alles beim Alten bleiben kann. Tipps für innovative Volkswillens-Interpretationen haben sie garantiert jede Menge für die niederländischen Kollegen.

Beispielsweise könnte man jetzt sagen, dass die siebzig Prozent, die nicht zur Abstimmung gegangen sind, hinter der EU und ihren Abkommen stehen. Wäre das anders, wären sie ja zur Urne gekommen und hätten mit „Nein“ gestimmt. Das ist das gleiche Muster, mit dem Angela Merkels Anhänger nach den Landtagswahlen des 13. März erklärten, dass 80 Prozent der Wähler ja hinter Merkels Zuwanderungspolitik stünden, denn sie hätten ja nicht AfD gewählt. Merkel-Kritiker, die dennoch eine andere Partei als die AfD wählten, wurden großzügig wegdefiniert.

Wer kein so einfaches Plagiat der neuesten deutschen Wahlergebnisinterpretation haben möchte, kann sich noch an eine andere Expertin wenden. Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, gehört einer Partei an, die sich in ihrem früheren Leben für mehr direkte Demokratie eingesetzt hatte. Vielleicht denkt sie deshalb bei Abstimmungsinterpretationen im Falle widerspenstiger Mehrheiten einfach in einem etwas größeren Rahmen. Schon vor dem holländischen Referendum konnte Frau Harms sagen, wie man es zu werten hat: "Man muss den Bürgerwillen der Ukrainer abwägen gegen den Willen der Niederländer." Und da es unzweifelhaft mehr Ukrainer als Niederländer gibt, sind die Mehrheitsverhältnisse doch geklärt. Die Holländer können doch den mutmaßlichen mehrheitlichen Willen der Ukrainer nicht einfach ignorieren, oder? Und wenn doch jemand auf die Souveränität des Staates, dessen Stimmbürger mehrheitlich „Nein“ sagten, verweisen sollte? Immerhin kam die Volksabstimmung sogar unerwartet zustande, erst nachdem Bürgerinitiativen in kürzester Zeit 300.000 Unterschriften für ein Volksbegehren sammelten.

Ein kleines Volk widersetzt sich der EU? Wo kommen wir denn da hin!

Rebecca Harms wird bei solchen Einwendungen offenbar nicht weich, im Gegenteil: "Wenn basierend auf einer Unterschriftensammlung von 300.000 Leuten große EU-Projekte zu Fall gebracht werden können", dann müsse man über solche Volksabstimmungen noch einmal nachdenken. Wo kämen wir auch hin, wenn hier jedes kleine Volk einfach die Politik der großen EU mitbestimmen dürfte. Sollte also wieder einmal ein störendes  Ergebnis eines Referendums drohen, dann heißt es einfach: Weg mit den Volksabstimmungen, habe ich das jetzt so richtig verstanden? Und kann man das Prinzip nicht auch gleich auf Wahlergebnisse anwenden? Die können ja beim Regieren manchmal auch verdammt störend sein.

Zuerst erschienen auf: http://sichtplatz.de/?p=5710

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Leserpost

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Clemens Hofbauer / 07.04.2016

Und das ist genau der Salat, den wir jetzt da haben: Solange nicht wollen, was der Bürger tut, bis sie nicht mehr tun, was der Wähler will. Nach der Lektüre der Geschichte der böhmischen Geschichte kurz vor dem 30jährigen Kriege scheint es mir klar zu sein, dass die heutigen Eliten, die gleichen Dünkel haben wie die damaligen Adelsbüttel und daher genau dem gleichen Ende zustreben: mit einem “sudden stop after a short drop” durch ein Fenster einer böhmischen Kanzlei. Das Unangenehme daran ist nur, dass sich die Unannehmlichkeiten damals nicht auf die wenigen durch das Fenster gestürtzten Personen beschränkt haben, sondern den ganzen Kontinent in Mitleidenschaft gezogen haben.

Paul Bleser / 07.04.2016

Schweizerische Untersuchungen haben ergeben , dass Abstimmungen bei denen 25 Prozent der Wahlberechtigten , (manchmal sogar weniger), teilgenommen haben, in der Regel dasselbe Ergebnis an Ja- und Nein Stimmen ergeben   als eine Beteiligung der Mehrheit der Wähler. Die Schweizer müssen es ja wissen!Oder?

Jens Schmidt / 07.04.2016

“Beispielsweise könnte man jetzt sagen, dass die siebzig Prozent, die nicht zur Abstimmung gegangen sind, hinter der EU und ihren Abkommen stehen.” Sie denken zu klein! Eben erzählte ein Politiker ( FDP Name schon wieder vergessen und vorher auch noch nie gehört) auf Phönix, das ja da nur 0,00irgendwas % der EU Bevölkerung mit nein gestimmt haben und das dies eh irgendwie keine Rolle spielen würde da die Regierung der Niederlande das schon irgendwie deixelt.

Chris Lock / 07.04.2016

Jaaa, die Grünen und die direkte Demokratie, da haben wir in Dresden auch schon Erfahrung gesammelt. Mit Macht wurde versucht, die in Dresden dringend erforderliche zusätzliche Elbbrücke zu verhindern. Eine Bürgerentscheid führte wider Erwarten dazu, dass eine Mehrheit von über 67 % für den Bau der Brücke votierte. Daraufhin versuchte die Stadtratsfraktion der Grünen, durch allerlei Beschlüsse den Vollzug zu verschleppen. Die gängige Interpretation für den Bürgerentscheid war, dass die Bürger nicht ausreichend aufgeklärt gewesen seien. Wir sind eben einfach nicht nicht die Bürger, welche unsere Politiker verdient hätten. Aber ich kann damit leben.

Detlef Dechant / 07.04.2016

Es hat mich sowoeso immer gewundert, dass gerade die Grünen und andere Linke so auf Volksbefragungen abfahren. Zeigen doch die Forschungen dazu, dass die Bevölkerung mehrheitlich immer konservativ, sprich “bewahrend”,  abstimmt. Die Schweiz kann da als gutes Beispiel dienen, wenn man die Egebnisse der letzten Volksabstimmungen hernimmt. Etwas Progressives, Veränderndes ist nicht unbedingt der Traum des Durchschnittsbürgers!

Werner Pfetzing / 07.04.2016

Hallo ! Zur Erinnerung: Als die Schweizer 2009 gegen den Bau von Minaretten stimmte, war das einer Claudia Roth überhaupt nicht recht. Stocksauer kommentierte sie: “Wenn wir Grüne da (in der Schweiz) das Sagen gehabt hätten, dann wäre das nicht passiert.” Ja, es ist schon ein merkwürdiges Demokratieverständnis, was die Grünen haben. Mit freundlichen Grüssen Werner Pfetzing

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