Ulli Kulke / 08.07.2016 / 14:34 / 17 / Seite ausdrucken

„Nationalmannschaft“-Shitstorm: Einfach mal die Klappe halten

Jan Böhmermann hat recht: Er sagt: „Lasst uns alle zusammenhalten und von Storch einfach mal ignorieren“. Kluge Menschen fordern seit längerem, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das von AfD-Politikern irgendwohin gehalten wird. Doch offenbar fällt es allzu schwer. Der Beißkrampf setzt das Prinzip „erst nachdenken, dann schreiben (oder posten, oder tweeten)“ außer Kraft. Oft genug beißt man sich dabei allerdings auch selbst ins Knie.

Der jüngste Fall: Beatrix von Storch twitterte kurz nach der Niederlage der Deutschen gegen die Franzosen im Fußball-EM-Halbfinale: „Vielleicht sollte das nächste mal dann wieder die deutsche NATIONALMANNSCHAFT spielen.“ Es war der Anpfiff zu einem Shitstorm, den man inzwischen schon als Routine bezeichnen darf, und der heute in die Verlängerung ging.

Natürlich war man sich einig, dass dies nur als Forderung gemeint gewesen sein konnte, Spieler mit Migrationshintergrund nicht mehr aufzustellen, quasi den Herrn Gauland noch zu toppen, der ja meinte, in der Nationalmannschaft sei Boateng noch geduldet von den Leuten. Rassismus, klar. fremdenfeindlich, klar. Die Facebook-Accounts quollen über. Unter den Tipps für lesenswerte Online-Artikel auf den Smartphones drehten sich zwischenzeitlich drei von sechs Beiträgen um die neuerliche „rassistische“ Hetze von Storchs.

Hat jemand von Storchs Tweet wirklich aufmerksam gelesen

Mal ehrlich, Leute, kann es sein, dass all das wieder einmal reichlich vorschnell war, so wie es sich zuletzt auch bei der Gauland-Boateng-Kiste nach und nach herauskristallisierte? Hat jemand von Storchs Tweet wirklich aufmerksam gelesen, so kurz wie er war, bevor er sich dazu äußerte? Natürlich darf man von Storch unterstellen, dass ihr insgeheim eine „blutsdeutsche“, weiße Mannschaft am liebsten wäre, aber kann man das wirklich aus ihrem Tweet herauslesen? Irgendwo?

Die Vermarktung der einstmals als „Nationalmannschaft“ landauf, landab bekannten und geliebten DFB-Elf läuft seit einiger Zeit unter dem Namen „Die Mannschaft“. Damit gleicht sie sich dem Sprachduktus in den allermeisten Ländern an, in denen der Begriff „national“ nicht auftaucht. Warum nicht einfach „die Mannschaft“? Natürlich kann man das auch als Einknicken vor der politischen Korrektheit sehen, die mit dem Begriff nicht erst seit gestern fremdelt. Muss man aber nicht. Aus der AfD kamen auf jeden Fall sehr kritische, hämische Worte zu der geänderten Sprachregelung, im Sinne von „da seht ihr’s mal wieder“. Für sie ist das nicht vergessen, und wir dürfen erwarten, dass sie das Thema „Nationalmannschaft“ bei manchen Gelegenheiten wieder ins Spiel bringen wird. Gestern Abend, nach dem Abpfiff war so eine gegeben.

Ist es dann wirklich eine Ausgeburt von Rassismus, wenn von Storch unmittelbar nach dem Abpfiff diese Diskussion einfällt? Dass es ihr darum gegangen sein dürfte, ist auch daran ablesbar, dass sie sich damit in die Twitterdiskussion „#Mannschaft“ einklinken wollte. Deutlich sichtbar in ihrem ursprünglichen Tweet. „#Boateng“ oder „#Gauland“ stand da jedenfalls nicht. Heute hat von Storch ihren ursprünglichen Tweet gelöscht (im Netz ist er nach wie vor zu finden), und hat in einem Facebook-Post erklärt, worum es ihr ging, nämlich um „Nationalmannschaft“ versus „Mannschaft“.

Gibt es einen Anhaltspunkt dafür, dass das verlogen wäre?

Gibt es einen Anhaltspunkt dafür, dass das verlogen wäre? Natürlich heißt es jetzt allerorten: Sie rudere zurück, sie versuche, sich zu rechtfertigen, was natürlich nicht gelungen sei. Ist das so, ist man sich da sicher? Kann es sein, dass manchem der schärfsten Kritiker ihres ersten Tweets, jetzt nach dem zweiten das Ganze wie Schuppen von den Augen fiel? Aber es ging ja schließlich gegen Rechts, da kommt es nicht so drauf an.

Natürlich kann man für die Umbenennung der DFB-Elf eintreten, einiges spricht schließlich dafür. Aber jeden, der dagegen ist, als Rassisten zu bezeichnen, ist einfach zuammenhangloser Unfug. Haben wir nicht selbst irgendwann oder sogar mehrfach den Begriff benutzt? In einem heimlichen Anflug von Rechtsextremismus etwa?

Keine Frage, von Storch gehört zu den unsäglichsten AfD-Politikern, was ja sogar auch innerhalb der Partei viele so sehen. Der Shitstorm über sie nach ihrem nächtlichen Tweet ist, sorry, allerdings auch unsäglich. Er zeigt wieder einmal: Kommt irgend eine Äußerung aus der AfD, an der irgend jemand irgendetwas inkriminiert, ist sofort der Teufel los. Ohne groß nachzudenken, klinkt sich sogleich die Prominenz aus Medien und Politik ein. Das war so bei Gauland-Boateng – einer Affäre, die später, bei Licht betrachtet, sich verflüchtigte. Und das war so bei Frauke Petry und dem Schießbefehl, den sie nie gefordert hat, jedenfalls nicht mehr als der Grüne Boris Palmer, der genau das selbe zum Thema sagte, wie sie.

Leute, es gibt genug zu kritisieren an der AfD, man kann sie je nach Bedarf demontieren, vorführen. Aber wenn, dann bitte durch aufmerksame Recherche und Reflektion, über sie, und auch im Gespräch mit ihren Vertretern, aus Prinzip so wie man auch mit anderen Parteien umgeht. Durch vorschnelles lautes Geschrei und Draufhauen erreicht man das Gegenteil. Nächstes Mal: Erst nachdenken! Man kann auch einfach mal die Klappe halten.

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Leserpost

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Klaus Klinner / 09.07.2016

Lieber Herr Kuhlke, unabhängig vom jeweiligen Adressaten eines Beitrags in den Medien geht es doch schon lange nicht mehr um sachliche Information, auf deren Grundlage sich der mündige Bürger - von dem spricht man schon lange nicht mehr - eine, nämlich SEINE Meinung zu einem Sachverhalt bilden kann. Heute erklären uns die “ministrablen Eliten” vielmehr laufend über die Medien, “was der Bürger will” und “was der Bürger nicht will”. Ich habe da gerade eine weibliche Stimme im Ohr, deren Namen mir eben nicht spontan einfällt. Heute geht es doch in den Medien darum Meinungen im Interesse “einer Sache” zu bilden. Und welche Sache gerade wichtig ist und in welcher Richtung bestimmt wiederrum nicht der Bürger. Denn das erklären uns - Gott sei gedankt - ja die ministrablen Eliten ... siehe oben.

Hermann Köller / 08.07.2016

Müßte es nicht eh korrekt die Nationalspielenden heißen?

Caroline Neufert / 08.07.2016

Engagement und Kampfgeist sah man meistens wirklich bei den Mannschaften, die nicht multikulti waren wie Island, Wales, Kroatien. Wir verloren, weil Frau Merkel nicht da war bzw sie war nicht da, damit wir verlieren konnten ;-) Und was ist schon Europa und diese Meisterschaft ;-) ? Wir sind WELTMEISTER !

Wolfgang Richter / 08.07.2016

Daß die ehemalige Deutsche Nationalmannschaft nun unter dem Titel “Die Mannschaft” firmiert, ist insofern zeitgeistkonform, daß die Kanzlerin dieser Republik ja auch nicht mehr von den “Bürgern” spricht, sondern distanziert neutral von “Bevölkerung” als einem eher gesichtslosen Einheitsbrei, hat aber den charmanten Vorteil, daß sich eher kritisch rechts stehende Teile der Bevölkerung jetzt keine Gedanken mehr dazu machen müssen, ob und wer von der “Mannschaft” die -böses Wort aus vergangenen Zeiten-  Nationalhymne noch mit trällert. Vielleicht kann man diese Zeilen auf Auftakt einer UEFA - und FIFA - Initiative sehen, darauf hin zu wirken, zukünftig auf nationale Symbole wie Flaggen und Hymnen komplett zu verzichten, dies unter Herausstellen, daß es eine von Deutschland ausgehende Aktion zur entnationalisierung des Sports sein soll.  Das wird international sicher begeistert aufgenommen werden. PS: Der sodann durchgesetzte Verzicht sollte sich aber nicht nur auf die Balltreter, sondern auch Utensilien und Schminkversuche der     Fans beziehen, wenn dann alles für alle.

Michael Lorenz / 08.07.2016

Kann es sein, dass von so ca. 200 Nationen 199 eine Fußball-Nationalmannschaft haben und 1 eine Fußball-Mannschaft, und dass die “guten Gründe” dafür genau die gleichen sind, wieso 1 Nation eine “Energiewende” durchführt und 199 nicht? Nur mal so ein Gedanke. Die Zahlengleichheit (199:1) ist nämlich bereits mathematisch gesehen ziemlich sicher kein Zufall.

Karla Kuhn / 08.07.2016

Das ufert extrem aus, unsere Fußballmannschaft ist eine Nationalmannschaft, egal welche Spieler welcher Nation mitspielen. Sie spielen in der Deutschen Nationalmannschaft für Deutschland oder soll es in Zukunft heißen “Die Mannschaft tritt an für das Land?” Das ganze Theater erinnert mich immer mehr an die DDR, dort wollten die Politbonzen durchsetzen, dass der Schokoladen Osterhase und Weihnachtsmann nur noch als “Schokoladenhohlkörper” verkauft werden sollte. Wahrscheinlich haben sie an ihr eigenes Hirn gedacht. Da haben sie aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht.  So eine Farce.

tom krueger / 08.07.2016

Danke Ulli Kuhlke, wieso nur musste ich erst stundenlang die Online Blätter absuchen bevor ich diesen einen vernünftigen Beitrag zum Thema fand? Sind jetzt alle Journalisten plötzlich vertrottelt oder wollen sie nicht mehr genau lesen und denken? Jedenfalls Danke noch mal. Achgut ist ja eine echte Entdeckung! Freundliche Grüße Tom

Hartmann Ulrich / 08.07.2016

So ganz verflüchtigt hat sich die Sache mit Gauland nicht: immerhin hat sich herausgestellt, daß für Herrn Gauland ein hier geborener Mensch mit dunkler Hautfarbe ein Fremder ist, der integriert werden muß. Und auch wenn Frau Storch nicht den Migrationshintergrund einiger Nationalspieler gemeint hat: die Befürchtung, daß der - etwas bemühte - Versuch, den Namen “Die Mannschaft” populär zu machen, eine Gefahr für den Begriff “Nationalmannschaft” darstellt, ist schon ein wenig lächerlich - und ganz bezeichnend für ihre Denkwelt.

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