Rainer Bonhorst / 29.01.2010 / 21:12 / 0 / Seite ausdrucken

Nachspiel zum Krieg

Viele tausend Kriegsheimkehrer - zu Zeiten waren bis zu 40000 britische Soldaten im Irak - erleben zwar einen betont standhaften Tony Blair; aber sie erfahren auch, dass es seinerzeit im Königreich außer dem Premierminister offenbar kaum einen Regierungspolitiker gegeben hat, der diesen Krieg wirklich wollte. Das dürfte eine ernüchternde Offenbarung für die Soldaten sein, die zwischen 2003 und 2009 im Irak im Einsatz waren. Und eine noch bedrückendere für die Angehörigen der mehr als 200 Briten, die in dieser Zeit im Irak ums Leben gekommen sind.

Blair selber aber sieht keinen Anlass, seine Entscheidung von damals zu revidieren. Er steht zum britischen Kriegseintritt und versucht gar nicht erst, andere für dieses unpopuläre “Abenteuer”, wie Gerhard Schröder es nannte, mit verantwortlich zu machen. Und er bleibt dabei, dass es nicht um den Diktator Saddam Hussein sondern um einen Einsatz gegen irakische Massenvernichtungswaffen gegangen sei, auch wenn die Bedrohung seinerzeit “übertrieben dargestellt” worden sei.

Damit spricht er gegen den Trend von heute: Die Massenvernichtungswaffen erwiesen sich bekanntlich als Fatamorgana. Die Niederschlagung des Saddam-Regimes hingegen ist ein bleibendes Ergebnis des Irak-Kriegs.

Blairs einsam aufrechte Haltung vor dem Irak-Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments bestätigt durchaus das Bild, das seine Kabinettskollegen von damals zeichneten.

So berichtete der damalige Außenminister (und jetzige Justizminister) Jack Straw kürzlich vor dem Ausschuss, dass er schlaflose Nächte und schwerste Bedenken hatte, und dass er erst nach einem letzten, entscheidenden “Gespräch mit Premierminister Blair” dem Krieg zugestimmt hat. Und das sei die “schwierigste Entscheidung” gewesen, die er je zu treffen gehabt habe. Sie verfolge ihn bis heute.

Lord Goldsmith, der damalige Attorney General und damit die oberste juristische Instanz der britischen Regierung, wackelte wochenlang zwischen einem Nein und einem Ja hin und her. Dann bot er ein Jein an und rang sich erst zu einem Ja durch, als ihm von seinen Kabinettskollegen beschieden wurde, dass die britischen Soldaten vorab eindeutig wissen müssten, ob ihr Eingreifen im Irak legal sein würde oder nicht. Zu dem Ja hatte dem obersten britischen Regierungsjuristen schließlich ein sehr intensives Gespräch mit den Rechtsberatern der Bush-Regierung verholfen. Das förderte jetzt seine Befragung vor dem Irak-Ausschuss zutage.

Das Problem war die UNO. Sie hatte den Krieg nicht abgesegnet und es war klar, dass sie es nicht tun würde, schon gar nicht für den ungeliebten George Bush. Der US-Präsident wiederum war fest entschlosssen, sich von der UNO das Vorgehen gegen Iraks Diktator Saddam Hussein nicht verbieten zu lassen.

Für Tony Blair ging es offenbar vor allem darum, zu zeigen, dass die special relationship,  die besondere Beziehung zwischen den USA und Großbritannien auch in diesem Kriegsfall greifen würde. Er war - anders als die meisten seiner Regierungskollegen - entschlossen, britische Soldaten an der Seite der amerikanischen marschieren zu lassen. Und er rekrutierte Hilfe aus Washington, um seine zögernden Minister nach und nach und ziemlich mühsam auf seine Seite zu ziehen.

Alles stand also lange auf Messers Schneide, bis Englands Kriegsteilnahme unter heftigen innerlichen Vorbehalten im Kabinett beschlossen wurde. Dass die beiden großen europäischen Nachbarn, Frankreich und Deutschland, keinerlei Anstalten machten, mit zu marschieren, dürfte die Sache für die britischen Entscheider nicht leichter gemacht haben. Kanzler Schröder hatte seine eigenen Gründe, die ebenso viel mit Wahltaktik wie mit Friedensliebe zu tun hatten. Und das ohnehin distanzierte Frankreich sah überhaupt keine Veranlassung, sich ohne den Segen der UNO an einem amerikanischen Krieg zu beteiligen.

So wurde es auf europäischer Seite Tony Blairs Krieg, ein Akt der Freundschaft mit Bushs Amerika. Das wurde erstmals deutlich, als klar wurde, dass die bei Saddam Hussein vermuteten Massenvernichtungswaffen nicht (mehr) existierten. Und es wurde noch deutlicher, als sich die Vermutung verdichtete, Blair habe das schon gewusst, als er das Signal zum Krieg gegen eben diese Massenvernichtungswaffen gab. Das bestreitet der frühere Ministerpräsident allerdings ganz energisch.

So kämpferisch sich der Labour-Mann gab, es war für ihn ein schwieriger Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss. Denn von der moralischen Begründung dieses Krieges ist im Laufe der Jahre immer mehr abgebröckelt. Und die Nachkriegsplanung für den Irak war so dilletantisch, dass nach dem offiziellen Ende des Krieges mehr Soldaten ums Leben kamen als während der offiziellen Kämpfe. Als Werbung für das Konzept einer gewaltsamen Demokratisierung von außen kann dieses Unterfangen jedenfalls nicht dienen.

War also alles sinnlos? Das nun auch wieder nicht. So sehr die Falschspielerei diese ganze Geschichte eingetrübt hat, einiges Wichtige wurde erreicht; vor allem das, was Blair als den eigentlichen Kriegsgrund bestreitet: Saddam Hussein, einer der übelsten Diktatoren und Menschenschinder der Region wurde entmachtet, geschnappt, abgeurteilt und hingerichtet. Er selber war ja an diesem Krieg nicht ganz unschuldig: Er hat die Inspektoren der UNO so lange an der Nase herumgeführt, bis diese grandiose Weltregierung so lächerlich da stand wie der Kaiser ohne Kleider. Das konnte so nicht weiter gehen. Für den sprungbereiten George Bush war es Grund genug zu handeln.

Und dann, nicht zu vergessen: Saddams Kumpan Ali Hassan al Madschid, genannt Chemie-Ali, der Schlächter der Kurden, wurde erst dieser Tage hingerichtet.

Das ist gewiss nicht nach unserem mitteleuropäischen Geschmack. Aber diese beiden Toten muss man deutlich weniger beweinen als die vielen Opfer der beiden Schlächter und als die vielen Opfer des Krieges, ob in Uniform, ob zivil.

Uns Deutsche haben die Leiden der Iraker unter Saddam nie besonders interessiert. Wir glaubten uns mit der Entscheidung für den Frieden klar auf der höheren moralischen Ebene. An ihrer Befreiung, die es eben doch auch gegeben hat, haben wir jedenfalls keinen Anteil.

Den größten Fortschritt hat der Krieg den Kurden gebracht, die im Norden des Landes nun ein eigenständiges und halbwegs ungefährdetes Leben fast im Zustand einer staatlichen Unabhängigkeit führen. Ein kurdischer Traum ging - zum Kummer der ebenfalls Kurden beherbergenden Nachbarn - im Irak teilweise in Erfüllung. Dort hat Bush die Freunde gewonnen, die er in Kontinentaleuropa nicht gewann.

Für die Briten ist der Irakeinsatz beendet, für die Amerikaner ist er ein Auslaufmodell, bis zu dessen tatsächlichem Ende wohl noch einiges Blut fließen wird: provoziert durch islamistische Selbstmordattentäter, die ihre Glaubensbrüder ja ebenso fröhlich umbringen wie den großen Satan von der anderen Seite des Ozeans.

Der wichtigere Schauplatz ist nun auch offiziell Afghanistan, seit Barack Obama sich vom “falschen Krieg im Irak” abwendet und sich auf den “richtigen Krieg in Afghanistan”  konzentriert. Den hat Deutschland bekanntlich nicht verweigert. Aber die deutsche Einstellung zu diesem Krieg ist so verschlungen wie die Täler des Hindukusch. Es handelt sich nach offizieller deutscher Lesart immer noch um einen Nichtkrieg mit Nichtgefallenen, wenn gestorben wird. Jetzt soll der deutsche Einsatz noch mehr in Richtung Entwicklungshilfe getrimmt werden, was sicher klug ist. Aber der Gegner muss da mitspielen. Wenn Taliban und El Keida lieber Krieg spielen, ist halt Krieg. Daran ändern auch deutsche Politiker nichts. Es ist diese Machtlosigkeit, die dazu verführt, die Wahrheit so umzugestalten, dass das Publikum leichter mitmacht.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Rainer Bonhorst / 12.03.2024 / 17:00 / 9

Die Kate-Krise oder viel Lärm um nichts?

Ein Familienfoto der Royals ist schon kurz nach Erscheinen als ungelenke Bildmanipulation entlarvt worden. Medialer Wirbel dank Photoshop! Ist Englands königliche Familie eine Fälscherbande? Wenn ja, dann keine…/ mehr

Rainer Bonhorst / 08.03.2024 / 12:00 / 19

Bye bye Nikki, hello Oldies

In den USA duellieren sich Biden und Trump um den Einzug ins Weiße Haus. In diesem Alter würde man in Deutschland weniger auf Karriere als…/ mehr

Rainer Bonhorst / 22.02.2024 / 14:00 / 26

Kamala gegen Nikki – ein Traum

Statt der beiden betagten Kontrahenten Joe Biden und Donald Trump wünsche ich mir eine ganz andere Konstellation im Kampf um das Amt des US-Präsidenten. Man…/ mehr

Rainer Bonhorst / 12.02.2024 / 12:00 / 35

Giorgia Meloni als Mamma Europa?

Georgia Meloni beginnt in Europa eine wichtige Rolle zu spielen. Die Politik hält sich mal wieder nicht an die ideologischen Vorgaben deutscher Medien.    Ja, darf…/ mehr

Rainer Bonhorst / 04.02.2024 / 14:00 / 33

Gedanken beim Demo-Gucken

Im Grunde haben wir ja Glück, dass in Deutschland die Verhältnisse so klar sind. Wir haben keine dunkelhäutigen Politiker in Berlin, die die Frechheit besitzen…/ mehr

Rainer Bonhorst / 15.01.2024 / 11:00 / 12

Zwei Krönungen, eine mit, eine ohne

Die Krönungszeremonie von Kopenhagen ist deutlich weniger pompös ausgefallen als solche, die wir aus London gewohnt sind. Als ehemaliger England-Korrespondent wird man unausweichlich zum Beobachter…/ mehr

Rainer Bonhorst / 06.12.2023 / 12:00 / 45

Eine konservative Frau auch in Amerika?

Könnte sich die ehemalige amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley bei den Republikanern durchsetzen und Biden gefährlich werden? Das Zeug dazu hat sie. In den westlichen Demokratien…/ mehr

Rainer Bonhorst / 01.12.2023 / 06:15 / 75

Kommt jetzt die Genderwende?

Während Heizungswende, Energiewende und Ernährungswende auf Widerstand stoßen, bahnt sich eine echte Wende an: Die unselige Genderei scheint ihren Höhepunkt überschritten zu haben, immer mehr…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com