Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 05.06.2015 / 10:17 / 4 / Seite ausdrucken

Nach der Krise ist vor der Krise

Und wieder geht es für Griechenland um die Wurst. In den kommenden Tagen erfahren wir wieder einmal, ob Griechenland in der Eurozone bleibt, ob es mehr Rettungsgelder erhält oder ob es am Ende Staatsbankrott anmeldet.

Spannende Fragen – normalerweise. Allerdings geht dieses Schauspiel schon ins fünfte Jahr, und da fällt es schwer, weiter großen Anteil zu nehmen.

Im Prinzip stellt sich die Lage für Griechenland nicht viel anders dar als Ende 2009. Damals brach die Euro-Krise aus. Wenn Griechenland der Stein des Anstoßes ist, den die EU immer weiter vor sich her kickt, ohne eine Entscheidung zu treffen, dann ist er mittlerweile vom vielen Treten wohl schon rund.

Die Gründe dafür, dass Griechenland im Euro-Klub bleibt und bisher nicht zu einer eigenen Währung zurückgekehrt ist, sind politischer Natur, keiner hat im Entferntesten etwas mit Volkswirtschaft zu tun. Dieser Umstand erschwert es, die nächsten Stufen dieser Dauerkrise vorauszusagen.

Ohne Umschweife gesagt, gab es niemals einen zwingenden volkswirtschaftlichen Grund, Griechenland in die Eurozone aufzunehmen. Die griechische Volkswirtschaft passte nicht zu den weiter entwickelten und produktiveren Volkswirtschaften in Mittel- und Nordeuropa. Griechenland wurde deswegen in den Klub aufgenommen, weil es zu der großen Erzählung des europäischen Projekts passte. Es machte sich gut, die „Wiege der europäischen Demokratie“ als Gründungsmitglied der europäischen Währungsunion dabei zu haben.

So wie es nie einen triftigen volkswirtschaftlichen Grund gab, Griechenland in die Eurozone aufzunehmen, gibt es auch heute keinen triftigen Grund, warum Griechenland die Eurozone nicht verlassen sollte.

Banken und Versicherer schauen von der Tribüne aus zu

Nach fünf Jahren fortgesetzter Misere ist das Land immer noch nicht wieder in der Spur. Die bisher versuchte Krisenbewältigung hat einzig den (fragwürdigen) Erfolg gezeitigt, das Risiko eines irgendwann eintretenden griechischen Staatsbankrotts von privaten auf öffentliche Schultern zu verlagern. Sollte also Griechenland wirklich jetzt pleitegehen, dann wird das den Zentralbanken und den Steuerzahlern wehtun, nicht aber den Banken und Versicherern, die dereinst in Griechen-Anleihen investiert hatten.

In Griechenland selbst stellt sich die Lage so verzweifelt dar wie zu Beginn der Krise. Die Wirtschaft wächst kaum, die Arbeitslosenzahlen schreien zum Himmel und die Reform-Agenda kommt nicht voran. Weder hat es Griechenland vermocht, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen, noch hat es sich als zuverlässiger Partner im europäischen Kontext erwiesen.

Warum ist das Land dann noch Teil der Eurozone? Und warum ist es gut möglich, dass es auch nächste Woche noch dazugehört?

Volkswirtschaft steht im Abseits

Die Geduld, die andere europäischen Nationen mit Griechenland bewiesen haben, begründet sich vor allem in ihrer Sorge, dass ein griechischer Staatsbankrott für die EU und die NATO ein geopolitisches Problem bedeuten wurde. Griechenland ist ein schwerbewaffneter Staat am Rande Europas. Man möchte ihn lieber als Teil der westlichen Einflusssphäre behalten, als zuzusehen, wie er von Moskau oder Peking Hilfe erbittet. Die Spitzenpolitiker in Berlin, Paris oder Brüssel könnten weitere Hilfsmilliarden für Athen als vertretbaren Preis betrachten, um die Destabilisierung eines kleinen, aber geographisch wichtigen Landes zu verhindern.

Griechenland finanziell über Wasser zu halten, hat also weniger mit volkswirtschaftlichen Erwägungen zu tun. Es geht vielmehr darum, dass sich an der Südostflanke der EU keine Sicherheitsrisiken auftun dürfen.

Zweites Motiv dafür, die Eurozone koste es, was es wolle am Leben zu erhalten, ist die Verhinderung zukünftiger Spekulationen gegen den Euro. Im Moment des Ausscheiden Griechenlands verändert sich das Wesen der Währungsunion. Eine derartige Union ist nur dann eine Union, wenn sie nicht von außen gebrochen werden kann. Wenn man sie aufbrechen kann, ist es keine Union mehr, sondern ein System fixer Wechselkurse.

Das ist keine bloße Frage der Wortwahl. Zum Vergleich: es wäre ein vergebliches Unterfangen, darauf zu spekulieren, dass Kalifornien aus dem US-Dollar gedrängt wird, da nicht die geringste Chance besteht, dass Kalifornien irgendwann eine eigene Währung einführt, egal wie es fiskalisch dasteht.

So würde es sich im Idealfall auch mit der Eurozone verhalten. Sobald aber die Eurozone ein Mitglied entlässt, ändert sich alles. Das Eröffnen eines Ausgangs aus der Währungsunion gleicht einer Einladung an die Märkte, darauf zu spekulieren, wer der Nächste sein wird.

Wetten verstoßen gegen den Sportsgeist

Am Aufkommen solcher Spekulationen kann die Eurozone kein Interesse haben. Ob Griechenland von einem Ausstieg profitieren würde, spielt dabei keine Rolle. Im Falle eines Grexit könnten Investoren dann gegen andere Mitglieder wetten. Es entstünde eine ähnliche Situation wie bei der berühmten Wette von George Soros gegen das Verbleiben des Pfund Sterling im Europäischen Währungssystem im Jahr 1992. Die dadurch ausgelöste Pfundkrise kulminierte am „Black Wednesday“ im Ausscheiden Großbritanniens aus dem EWS.

Der dritte Grund für das Verbleiben Griechenlands in der Eurozone ist schließlich, dass es das erste Mal in der Geschichte der EU wäre, dass ein Schritt in Richtung europäische Integration rückgängig gemacht würde. Ein derartiges Ereignis ist im EU-Fortschrittsglauben einer „immer engeren Union“ nicht vorgesehen.

Keiner dieser drei Gründe für den Verbleib Griechenlands im Euro hat aber irgendetwas mit der tatsächlichen Performance des Landes innerhalb der Währungsunion zu tun. Zwar schadet der Euro Griechenland, aber aus geopolitischen, strategischen und politischen Gründen wird erwartet, dass das Land die gemeinsame Währung beibehält.

Weiter, immer weiter

Mit diesem Wissen im Hinterkopf lässt sich ein wenig Abstand zu den aktuellen Rettungsbemühungen um Griechenland gewinnen. Hier geht es nämlich nicht darum, die Probleme des Landes mit Mitteln der Volkswirtschaft zu lösen. Es geht auch nicht darum, einen fairen Ausgleich zwischen Rettung und Reformen zu finden, jedenfalls nicht primär.

Sondern hier geht es wieder einmal darum, eine politische Antwort auf ein wirtschaftliches Problem zu finden. Das macht das Finden einer Lösung so schwierig. Aus diesem Grund ist Europa seit fünf Jahren nicht in der Lage, die griechische Krise zu lösen.

Können wir damit rechnen, dass die Frage der Relegation Griechenlands bald in einem Entscheidungsspiel geklärt wird? Das können wir nicht. Die griechische Krise wird auch diese Woche nicht ein für allemal gelöst, sondern wird uns noch viel länger begleiten, allen Vorhersagen und Versprechen der letzten fünf Jahre zum Trotz. In Abwandlung der Herbergerschen Fußballweisheit gilt in Europa: nach der Krise ist vor der Krise.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘After the crisis is before the crisis’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 4. Juni 2015. Übersetzung aus dem Englischen von Eugene Seidel (Frankfurt am Main).

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Bastian Leibold / 08.06.2015

Wenn sich die Politik von Ideologie leiten läßt, geht das nie gut ...

R. Helene van Thiel / 07.06.2015

Das stimmt alles vom ersten bis zum letzten Punkt. Aber ein Grund für das Weiterwursteln liegt doch sicher auch darin, daß die “alternativlose” A. M. und ihr Finanzminister nicht zugeben wollen, daß der Vertragsbruch ein Fehler war.

Gerhard Sponsel Lemvig / 05.06.2015

Treffend beschreiben ! Dafür muß man sich auch mal bedanken lieber Herr Dr. Hartwich.  Danke ! Die Genossen Politiker und die Kommissare vom ZK der EU und der BRD werden immer wieder ihren Taten Worte folgen lassen.

Engelbert Gartner / 05.06.2015

Aus dem Text oben : Weder hat es Griechenland vermocht, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen….. Man kan nichts zurückgewinnen, was noch niemals vorhanden war.

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