Herbert Ammon, Gastautor / 29.05.2017 / 17:49 / Foto: Blueshade / 16 / Seite ausdrucken

Nach der evangelischen Heerschau

Von Herbert Ammon.

Die protestantische Heerschau zu Berlin und in der umbenennungsbedürftigen Lutherstadt Wittenberg ist nun vorüber. Die Bilanz: Good show dank all der aufgebotenen Stars, obenan Obama. Dessen mutmaßlich spesenfreien Auftritt - vor vier Wochen bekam er ein Honorar von 400 000 Dollar für eine Rede vor Bankern der Wall Street – am Eröffnungstag zusammen mit Merkel vor dem Brandenburger Tor kritisierte die SPD als Verstoß gegen das Gleichstellungsgesetz und Wahlkampfhilfe für die CDU. Für Furore im Internet sorgte die zu Jahresbeginn dank ihres privaten Kerosin-Emissionsablasskontos bis an die Datumsgrenze geflogene Reformationsreisende Margot Käßmann mit Äußerungen über die AfD, die anno 2017 einen umgekehrten Arierparagraphen in Deutschland anstrebe. Mit Spannung sieht der Medien und Moral konsumierende, kirchensteuerzahlende Blogger dem von Käßmann gegen Henryk M. Broder angekündigten Prozess wegen böswilliger Fehlzitation entgegen...

Vielleicht waren die Kosten des Spektakels  mit 23 Millionen Euro aus Kirchensteuermitteln sowie zusätzlichen 8 Millionen aus dem Staatssäckel etwas zu hoch. Hätte man das Geld nicht lieber den Armen gegeben – oder zeitgemäß exegetisiert: den "Geflüchteten"? Nein, lautet die evangelische Antwort unter Verweis auf Mk. 14, 7, wo Jesus die Kritik an der vermeintlichen Verschwendung von Alabaster und kostbarem Öl zurückweist. Die Salbung im Hause eines Aussätzigen in Bethanien hatte eine Frau vollzogen, was der zeitgenössischen Exegese vom Umgang mit Steuermitteln entgegenkommen dürfte.

Der Kirchentag (DEK) ist seit je eine evangelikale (dt. Neologismus, übs. aus dem Amerik. evangelical) Erweckung der Massen unter der Regie von theologisch progressiven, nicht- beziehungsweise anti-evangelikalen Kirchenfürsten. Angesichts der massenhaft getragenen orangen Schals, auch T-Shirts  mutmaßlich in Bangladesh kostengünstig hergestellt, mit der ungegendert eingewebten Aufschrift "Er sieht dich") hätte  ein ungeübter Beobachter die Großveranstaltungen  auch für eine friedliche Neuinszenierung der bis dato allenthalben gescheiterten orangen Revolutionen halten können. Ein zentrales Thema war in der Tat die anscheinend noch unvollendete semantisch-sexuelle Revolution. Petra Bosse-Huber, Auslandsbischöfin der EKD tat folgendes kund: "Es braucht noch viel theologische Arbeit, um die Bilder auszurotten, dass nach der Bibel Mann und Frau füreinander geschaffen sind." Richtig, Bilder ausrotten will erst mal gelernt sein...

Verbalhornungen auf Kosten von Sinn, Rhythmus und Reim

Welch absurde Geistesblüten auf  protestantischen Kirchentagsgefilden gedeihen,  hat Heike Schmoll in ihrem Beitrag ("Ändergender gegen Gott") festgehalten. Für das offizielle Liederbuch zum Kirchentag (Auflage 265 000) hat die Hamburger Gruppe "Lesben und Kirche (LuK)" die bekanntesten Kirchenlieder "in gerechter Sprache" umgedichtet. Herausgekommen sind groteske Verballhornungen auf Kosten von Sinn, Rhythmus und Reim ( e.g. "Lobet die Ew´ge" [statt "den Herren"], "O treue Hütrin" usw.) Die Redakteurin erwähnt, dass für Kirchenmusik (ohne pastorale Einlassungen), die jeden Samstag in der Kirche am Berliner Hohenzollernpatz dargeboten wird, von der Kirchenleitung kein Zuschuss zu bekommen ist.

Dass - abzulesen an den Austrittzahlen - mehr und mehr Menschen in diesem unserem Lande der Kirche den Rücken kehren, hat nicht nur damit zu tun, dass im Zeichen der säkularen (Post-)Moderne mehr und mehr Kirchensteuerzahler religiös unmusikalisch geworden sind, sondern weil sie der Selbstsäkularisierung, Selbstinszenierung und Ideologieanfälligkeit der Kirchenoberen  und ihres Bodenpersonals  überdrüssig sind.

Herbert Ammon ist Historiker und politischer Publizist. In den 1980er Jahren engagierte er sich in der damaligen Friedensbewegung. Er ist insbesondere mit dem Buch „Die Linke und die nationale Frage“ bekannt geworden, das er zusammen mit Peter Brandt herausgab. Ammon ist Mitgründer und Mitglied im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft e. V.. Sein Blog „Unz(w)eitgemäße Betrachtungen“ erscheint als Kolumne in „Globkult“.

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Leserpost

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Wilfried Cremer / 30.05.2017

Mystiker nennen diesen Zustand Afterkirche.

Peter Swoboda / 30.05.2017

Bin beeindruckt vom evangelischer Life Style, da trifft sich die Elite. Diejenigen die’s wissen wie man direkt und ohne Umwegen nach oben kommt. Voraussetzung scheint u.a. der jährliche Besuch eines Kirchentages zu sein.

Friedhelm Wietze / 29.05.2017

Die Kirche ist der grösste Profiteur der “Flüchtlingskrise”.  Sie ist die treibende Kraft der Migrationsindustrie und macht mit der Unterbringung/Versorgung der Asylanten Milliardengewinne.  Das was zu Luthers Zeiten Tetzels Ablassbriefe waren, ist heute der Neusprech (vorzugsweise gegen die deutschen Ureinwohner). Allerdings gibt es doch einen wichtigen Unterschied zu Luthers Zeit: Die Milliarden fliessen durch Steuerfreiheit und direkte Staatszahlungen; Kirchenmitglieder braucht die Kirche nicht mehr.

Caroline Neufert / 29.05.2017

Ich war letzte Woche wegen einer Einladung bei der Eröffnung der Weltausstellung in Wittenberg. Die Show war sehr überschaubar, Zuschauerzahlen auch ;-) ... die Reden von Steinmeier, Bedford-Strohm und Käßmann sehr bescheiden ... nur der Landesvater war erfrischend und der Wittenberger Bürgermeister freute sich über seine sanierte Stadt (ob aus Kirchensteuermitteln ? ) ... ich kenne zwar das Aussehen vom früheren Wittenberg nur vom Hörensagen, jetzt ist es ein schickes Städtchen mit vielen Cafes und Free WiFi und einer Ausstellung, die ganz nett und schön gestaltet, aber für mich nicht ausreichend durchdacht ist ... Was nach dem Reformationssommer in Wittenberg los sein wird und kann ... ? Mit dem Motto ” Er sieht Dich” war die Kirche erstaunlich up-to-date ;-)

Winfried Sautter / 29.05.2017

Die “Amtskirchen” dienen sich der Politik und dem Zeitgeist an, und haben inzwischen im öffentlichen Diskurs kaum mehr Gewicht als FIFA, DFB, NABU, Greenpeace, Amnesty, irgendwelche Gender-Grüppchen etc. Gerade noch gefragt als moralischer Pausenkasper, und das war´s. Religiosität, so sie noch existiert, sucht sich andere Formen jenseits dieser entkernten Strukturen. Die billige Überlebensstrategie der Kirchen ist zudem sehr kurzsichtig: Man lese Houellebecq, Unterwerfung - es ist die eigene Schwäche, nicht die Stärke der anderen, die zum Ende führt.

Werner Müller / 29.05.2017

Als begeisterter Achse-Leser bin ich gegen fake-news - deshalb sei mir eine Anmerkung gestattet : Auf den Kirchentagsschals steht: “Du siehst mich”

Werner Arning / 29.05.2017

Die Aussagen des Evangeliums gehen weit über moralisch korrekte Handlungs- und Lebensführungsmassgaben hinaus. Eine Kirche, die in weltlicher, politischer Parteinahme ihre zentrale Aufgabe erblickt, macht sich überflüssig. Humanitäres Handeln predigen genausogut die Grünen oder Ärzte ohne Grenzen oder Amnesty International. Die Kirche ist dann nur noch ein Verein unter Vielen. Es ist gefährlich dem Zeitgeist zu folgen.  Morgen schon wird Gendergerechtigkeit wieder unwichtig sein und neue “Erkenntnisse” Beachtung fordern. Kirche muss einen absoluten Anspruch haben, sonst relativiert sie sich selbst. Auch wenn dieser in Widerspruch zum Zeitgeist steht. Ideologien kommen und gehen. Die Kirche sollte nicht zu einer solchen verkommen. Ihr Ende ließe sich dann nur noch aufgrund der enormen finanziellen Reserven und staatlichen Alimentierung hinauszuzögern.  Innerlich wäre sie aber schon lange vor dem Ende tot.

Friedrich Schäfer / 29.05.2017

Wer solche BischöfInnen hat, braucht keinen Teufel mehr.

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