Am hintersten Ende vom Terminal D liegt der Check-In für den El Al Flug Schönefeld-Tel Aviv. Vor den Schaltern Absperrungen und israelische Sicherheitsleute. Wer fliegen will, muss Fragen beantworten. Warum ich nach Israel fahre? Eine Pressereise, vorher ein paar Tage solo. Ob ich eine offizielle Einladung hätte? Nein, nur das Ticket. Pause. Diese Antwort ist offensichtlich falsch. Es gibt mehr Fragen. Wer und wann genau das Ticket gekauft habe, wie viele Menschen mitkämen, ob ich die persönlich kenne. Ob ich eine Kamera hätte (sehen wollen), ob ich Bücher über Israel dabei hätte (sehen wollen), ob ich Bekannte in Israel hätte, woher ich die kenne, seit wann. Nach dreißig Minuten muss ich zugeben, dass ich meine erste Gastgeberin, Orly, in meiner Wohnung kennenlernt habe, nachdem mich die Freundin einer Facebookfreundin angechattet hatte, ihre Freundin käme für ein paar Tage nach Berlin, ob sie bei mir wohnen könne.
Das stimmt zwar, klingt aber nicht sehr glaubwürdig. Mein Leben ist definitiv nicht für eine israelische Sicherheitsprüfung geeignet. Die Dame will jetzt Orlys Telefonnummer und Adresse haben, ebenso die der anderen Bekannten, die ich überflüssiger Weise erwähnte. Nach 40 Minuten erfolgt der Blick in meinen Pass samt tunesischem Stempel. Was ich da wollte? Einen Freund besuchen. Wen, was machte er da, welchen Pass hat er, welche Abstammung, ist er immer noch da, werde ich ihn wieder besuchen? Unser Gespräch geht mittlerweile in die 50 Minute. Die Dame fragt mich, wie ich über Radfahren in Israel schreiben wolle, ohne ein Rad dabei zu haben. Und nach einer Stunde dann, plötzlich und unerwartet, darf ich gehen. Und zwar Richtung Check-In.
Zwei Handgepäckkontrollen später sitze ich im Flugzeug und lese etwas über die neuerlichen Versuche einer Handvoll „Israelkritiker“, gen Gaza zu schippern. Mir wird klar – die Sicherheitsfrau hielt mich weniger für einen Bombenwerfer als vielmehr für eine Aktivistin und diese Leute für meine Mischpoche. Klar. Ich passe ins Bild. Radfahrerin, von einem Schwarzen zum Flughafen gebracht worden (der auch befragt wurde), den Pass voller Stempel, keine konkreten Angaben zum Reiseverlauf. Nächstes Mal sollte ich noch ein Arabertuch um den Hals schlingen, um das Klischee zu perfektionieren.
Als die Räder unseres Flugzeuges israelischen Boden, beginnt alles zu klatschen. Fremde Länder, gleiche Sitten. Eine Minute nach dem Abebben des Applauses dröhnt „Ewenu Shalom Alejchem!“ über die Lautsprecher. Und vor den Fenstern ziehen ein paar staubige Palmen vorbei.
Da heute Donnerstag ist, fahren die Soldaten übers Wochenende nach Hause. Der Zug Richtung Stadtzentrum gleicht einer rollenden Kaserne. Mir gegenüber sitzt eine vielleicht 20Jährige, die mit ihren zierlichen Händen, den runden Augen und voll gelockten Haaren in die Endausscheidung eines jeden Modellwettbewerbes käme. Allerdings trägt sie keinen Bikini sondern eine stattliche Waffe zur Uniform. Dankenswerter Weise ist sie so aufmerksam, die Mündung, die beim setzen noch auf mich zeigte, ein wenig Richtung Gang zu drehen.
Als der Zug in Hashalom anhält, steige ich aus und werde von Orly erwartet. In einem gelben Sammeltaxi spurten wir zu ihrer Wohnung. In zwanzig Minuten werden wir abgeholt Richtung „Big fat jewish wedding“. Wir schaffen es, zu duschen und pünktlich in schwarzem Abendkleid und Highheels an der Einfahrt zu stehen. Ab in den Stau.
Zwei Stunden später schlagen wir im Kibbuz Afek auf, das sein Gelände regelmäßig für große Feiern vermietet. Ein Baldachin steht am Swimmingpool, zwei Dutzend gedeckte Tische, mehrere Bars und etwas, das Buffet zu nennen, ein Affront wäre. Sushi, neben irgendwelchen hervorragenden Lachsschweinereien im Glas, Gemüsepfannen und allerlei bislang unbekannten lokalen Spezialitäten. Das sind wohlgemerkt die Vorspeisen. Mit Orly gehe ich zur Bar, und bestelle einen Cocktail.
Sie ordert einen doppelten Whisky, schließlich seien Hochzeiten dazu da, um sich zu betrinken - und man will die Kosten der Einladung wieder reinholen. Denn im Eingangsbereich steht ein Tresor mit Briefschlitz, daneben ein Tischchen mit Briefumschlägen. Laut Orly hat man hier mindestens 70 Euro hineinzuwerfen, das werde erwartet, um die Festkosten zu zahlen und vielleicht noch etwas für eine Reise zu haben. Tatsächlich hält keiner der inzwischen zu hunderten eintrudelnden Gäste einen Fonduetopf oder einen Kerzenständer in der Hand, stattdessen passieren alle den Tresor.
Nach drei Vorspeisen und zwei Cocktails erscheinen das Brautpaar und der Rabbi. Die Angehörigen stellen sich unter den Baldachin, der Rabbiner entkorkt einen Wein für den Kiddusch, die Ringe werden getauscht, das Glas zertreten – und nach gut fünf Minuten ist die ganze Zeremonie auch schon vorbei. Aus den Lausprechern dröhnt übergangslos amerikanischer Pop, der Rabbi läuft fliegenden Bartes von dannen, ab zur nächsten Hochzeit. Alle anderen drängen sich zuerst im wilden Pulk zum Brautküssen unter den Baldachin und anschließend auf die Tanzfläche. Eine Mischung aus Hora und Diskogezappel beginnt, zwischendurch werden blinkende Halsketten, Papierblumen und Luftballons verteilt. Und gegessen. Alles von Fleisch, Fisch, Gemüse und Salate bis zu diversen grandiosen Süßklebrigkeiten. Viel geredet wird nicht, zumal die Musik so laut ist, dass man dem Nachbarn schon ins Ohr brüllen muss, um wahrgenommen zu werden. Gegen ein Uhr gibt Orly mir ein Zeichen, ab zum Auto.
Mit Orlys Mutter fahren wir nach Haifa. Die Lichter der drittgrößten Stadt Israels wickeln sich um das Karmelgebirge. Die Gastgeber schlafen bei unserer Ankunft schon. Haifa ist eben die Stadt, die arbeitet – und dafür muss man nachts auch schlafen.