Thomas Rietzschel / 12.12.2014 / 10:58 / 9 / Seite ausdrucken

Mutti-Land wird Mucki-Bude

Die CDU lässt die Muskeln spielen. Sie hat sich per Akklamation für den Aufbau des „starken Staates“ entschieden. Was dabei herauskommen könnte, kann man sich ausmalen, wenn man gesehen hat, wie die Christdemokraten ihrer Anführerin Anfang der Woche auf dem Kölner Parteitag zugejubelt haben. Wie von Sinnen applaudierten sie der starken Frau, über zehn Minuten lang, stehend und mit verzückten Gesichtern. Tanzende Derwische in Schlips und Kragen, mit Kostüm und Hosenanzug. Ein Panoptikum der Spießer wie von Deix gezeichnet.

Für einen Momente fühlte man sich erinnert an die Parteitage anderer Parteien zu anderen Zeiten. Doch über dem Ganzen lag nicht mehr der Mehltau durchorganisierter SED-Events. Die, die sich in Köln in die Ekstase klatschten, taten das freiwillig. Wie sie sich als Erfüllungsgehilfen eines „starken Staates“ aufspielen könnten, wagen wir uns kaum vorzustellen.

Umso mehr gilt es, den Anfängen zu wehren. Denn ganz offensichtlich verlangt es nicht nur die jungen Männer und Frauen, die den Verheißung des totalitären Islamismus bedenkenlos vertrauen, nach einer Führung, an deren Stärke sie partizipieren können. Auch der Islamische Staat verspricht ja ein „starker Staat“ zu sein, einer mit strenger Führung. Dass dieses Führerprinzip nun sogar unter demokratischen Verhältnissen wieder hoffähig zu werden droht, weckt böse Erinnerungen.

Ja, ja, schon gut. Wir werden uns jetzt auf keinen historischen Vergleich einlassen, der es den Parteisoldaten leicht machte, sich empört in die Brust zu werfen.  Auch ist nichts gegen die Begeisterung in der Politik zu sagen. Nur sollte es immer die Leidenschaft der Vernunft sein, die da befeuernd wirkt, nicht der irrationale Machttrieb einzelner Ideologen, Parteien oder Politiker. Soweit hatten wir es im Zuge der Aufklärung schon einmal gebracht. Darin unterschied sich das säkularisierte Abendland von religiös verhafteten Morgenland. Und wann immer der Ruf nach dem starken Staat nachher noch laut wurde, ist das Europa übel bekommen.

Unter den Verhältnissen der Demokratie sind wir auf derart autoritäre Machtentfaltung nicht mehr angewiesen. Die Bürger brauchen keine Führer, die sie anhimmeln können wie Diederich Heßling „seinem Kaiser“ in Heinrich Manns „Untertan“. Noch brauchen wir einen „starken Staat“, dessen Diener bramarbasierend den starken Max markieren. Die gesunde Menschenverstand möge uns davor bewahren, das zuzulassen.

Mit dem Rechtsstaat haben wir alles, was von Nöten ist, damit die Bürger gleichberechtigt zusammenleben können. Die innere Sicherheit, die individuelle Freiheit, der persönliche Besitz, alles wird dadurch garantiert. Für die Bewahrung dieses Status quo haben sich die Politiker einzusetzen. Nicht mehr und nicht weniger ist von ihnen als unseren bezahlten Angestellten zu erwarten. Dass sie gleichwohl immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten, in den letzten Jahren wiederholt vom Bundesverfassungsgericht zur demokratischen Ordnung gerufen werden mussten, etwa im Zusammenhang mit dem Euro-Rettungsfonds, sollte man nicht ganz vergessen, wenn die CDU-Oberen jetzt von der Notwendigkeit eines starken Staates faseln.

Wer ihnen auf diesen Leim geht, muss sich nachher nicht wundern, wenn er im eigenen Haus nichts mehr zu melden hat, wenn ihm vorgeschrieben wird, was er zu essen hat, welchen Strom er verbrauchen, welche Bücher er lesen darf: Mutti-Land als „starker Staat“. Die abgesoffene DDR würde fröhliche Urständ feiern. Höchst Zeit, dem durchgeknallten Verein gehörig in die Parade zu fahren.

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Lukas Brandenburger / 13.12.2014

“Höchst Zeit, dem durchgeknallten Verein gehörig in die Parade zu fahren.” Gute Idee. In einem Folgeartikel freue ich mich auf Vorschläge, wie das gehen könnte. Mir fällt nämlich spontan gar nichts ein. Keine Partei, die es besser macht (auch nicht die Partei, die gerade nicht im Bundestag vertreten ist), keine Maßnahme einzelner Bürger, keine Aktion von gesellschaftlich relevanten Gruppen. Habe Sie eine Lösung?

Andreas Trötschel / 12.12.2014

Eine wahre Satire die uns flirrend vor Augen steht ist dieser PARTEITAG. Zustimmendes Entsetzen bemächtigt sich meiner.

Thomas Scholz / 12.12.2014

Sie sagen es die Vernunft! Der Verstand ist ja bekanntlich die Voraussetzung um vernünftig zu handeln. Bei einigen Zeitgenossen , ob im Bundes- oder Landtag, im Öffentlich- Rechtlichen- Gleichgeschalteten- Funk , bin ich mir nicht so sicher ob dort die Voraussetzungen für ein vernünftiges Handeln vorhanden sind. Was heute so beklatscht und bejubelt wird das ist schon sehr bedenklich. Einige politische Koalitionen zeigen ja schon den Weg WOHIN die Reise gehen soll…genügend nützliche Idioten gibt es in diesem Lande. Aber das macht doch nichts… das merkt doch vorerst keiner…

Caroline Neufert / 12.12.2014

Ich glaube, Sie verwechseln da was ... die “Leidenschaft der Vernunft”, die Sie fordern, ist mit Frau Merkel und mit ihr bei der CDU mehr als bei allen anderen Parteien mit Ausnahme der FDP gegeben ! Den “gesunden Menschenverstand”, den Sie proklamieren, vermisse ich bei Ihren Parteifreunden der AfD.

Axel Knappmeyer / 12.12.2014

PS: der deutsche Spießer: ich bin beamteter Lehrer - danke fürs Mitleid, den Hohn und Spott - und umgeben von Spießern: das Gemeckere ist exorbitanten Ausmaßes, Lamenti tagein, tagaus; die handelsüblichen Linken, die es eigentlich nicht ertragen, Beamter zu sein, es andererseits sicherer und spießiger nicht haben können, eben Beamter zu sein. In der Pause und beim Tischgespräch wird gemoppert, bis die Wände wackeln, aber zuletzt werden alle Irrationalitäten der gerade im Amtssessel sitzenden Landesregierung geschluckt - wo ist er, der Ruck, der durch D gehen soll(te)? Ich nehme mich nicht aus und spiele mit - was bleibt mir anderes übrig? Diese Haltung hochgerechnet lässt blatante wie klandestine Totalitarismen entstehen. Jeder ist zuletzt nur Befehlsempfänger - so banal das klingt und ist. Oder sollen wir jetzt “dem” Verrin gehörig in die Parade fahren? Übernehmen Sie das Steuer, Herr Rietzschel?

Axel Knappmeyer / 12.12.2014

Ich frage mich, wann die CDU seit ihrer Existenz jemals bzw. ein Hinter- wie Vornebänkler der CDU nicht für einen starken Staat war. Hab ich da was verpasst? Selbst die FDP möchte es allen recht machen und appelliert hie ans Soziale und da ans Ordoliberale innerhalb der Liberalen - “der”? Wo bleibt das Singuläre, der Mut, es allen klar zu sagen - gemäß der Zuschreibungvorgänge durch die polit. Gegner resp. Verächter, wie es den Neokonservativen ergeht, eben jene Zuschreibung angeheftet bekommen zu haben, neokonservativ zu sein, und das dann auch volens zu vertreten - also es offen zuzugeben, die Partei der Besserverdienenden, der Leistungsträger, des Kapitalismus - gern mit Turbo -, der Intellektuellen, der Anwälte, der Vorständler, der Golfspieler und Schlipsträger zu sein - gern mit großer Portion Spießigkeit und darauf zu schei€&@, dass das dann eben so arrogant rüber kommt, weil man eben so ist? Wie es der den Liberalen zugeneigte - behaupte ich - Alexander Grau schrieb: es genügte, ertrügen sich die Menschen. Immer dieses Allenrechtmachenwollen - wieso nicht klare Lobbypolitik? Was macht denn die SPD? Die appelliert doch unverhohlen an den Ruhrgebietsspießerproletarier, der “mit rückwärtsgewandter Staublungenromantik” (Thomas Kapielski) sich die kollektive Arbeiterwohlfahrt herbeisehnt resp. jener nachtrauert. Panoptikum der Spießer: was wollen Sie denn? Politik ist Verwaltung von fremden Geld, um es je nach Ideologie zu verteilen - sollen das jetzt coole Hipster übernehmen? Am schlimmsten sind die Politstrategen, die den Parteien mehr Hipsein verordnen wollen, um bei den Jungen gut anzukommen. Grausam. Ertragen wir alle es mit heiterer Gelassenheit: Deutschland ist und bleibt spießig - der überwiegende Teil der Menschheit ist es: insb. die Künstler, die gern immer als Projektionsfläche der Spießer dienen, hach so anders, frech & frisch und Avantgarde zu sein - die sind es nur, weil die anderen es nicht sind und es nie werden wollen. Da passt mein Bonmot: die meisten Menschen wollen so werden, wie sie nicht werden können und werden dann so, wie sie nie werden wollten: Spießer.

Horst Jungsbluth / 12.12.2014

Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach, so könnte man die kontraproduktiven Versuche unserer politischen Klasse bezeichnen, den “starken Staat” zu markieren, der sich auf fatale Weise in sämtliche Lebensbereiche seiner Bürger einmischt. Ein im positiven Sinne “starker Staat” ist schlank, setzt den nach dem Grundgesetz zulässigen Rahmen und ist ausgestattet mit einer effizienten Verwaltung und Justiz, die dafür sorgen, dass der Staat in allen Bereichen gut funktioniert. Wir waren da schon einmal mit weitaus geringeren Kosten sehr viel erfolgreicher.  Leider haben wir nicht einen total “verfetteten” Staat, sondern auch einen, der von Parasiten befallen ist, weil insbesondere in bestimmten Bundesländern die Verwaltungen “Selbstbefriedung” betreiben und die Justiz wieder einmal eine einzige Katastrophe ist. Und der deutsche Journalismus? Der steht stramm und fest da, wo er eigentlich immer stand: auf der falschen Seite!

Martin Lahnstein / 12.12.2014

Wie von Deix gezeichnet und nicht von Dix. (Was manchen Leser kurz irritiert haben mag).  Das ist ein beruhigender Unterschied:  Bundes-  nicht Weimarer Republik.

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