1969, mit der Revolution hatte es nicht ganz geklappt, saß ich mit dem linken Journalisten M. in einem Imbiss in der Hamburger Gerhofstraße. Die Zeiten wurden gerade etwas mühsam. Zum Beispiel die Auflage der Zeitschrift „konkret“, für die ich fest und M. frei arbeitete: schmierte auch langsam ab. M. hatte Schwierigkeiten, von seiner Arbeit für fortschrittliche Medien zu leben; er schrieb nebenbei unter Pseudonym Trashromane. An diesem Tag eröffnete er mir, er wolle eine Marktlücke besetzen und fortan linke Krimis verfassen. Linke Krimis?…
Richtig mit Klassenkampf und so, für die Befreiung der Lohnabhängigen kämpfen, den Herrschenden voll eins auf die Glocke geben? Nein, keinesfalls plump und holzhammermäßig dürften die Handlungen sein, belehrte mich M., der die Lückenidee offenbar genau durchdacht hatte. Es sollte schon spannend zugehen, auch Verfolgungsjagden würden vorkommen, das ganze Programm. Nur würden die Bösen nicht die üblichen Ganoven wie aus einem Edgar Wallace-Krimi sein, sondern in Milieus angesiedelt werden, wo das wahre Verbrechen sich abspiele: unter Politikern, Unternehmern, autoritären Lehrern, alten Nazis, faschistoiden Spießern usw. „So kann man die Leute viel besser erreichen“, sagte M., „irgendwelche sozialistischen Traktate lesen die doch nicht.“
Er schrieb tatsächlich eine Reihe von linken Krimis. Einige waren ziemlich erfolgreich. Irgendwie ist seine Vision wahr geworden, besonders im Fernsehen. Die 700ste „Tatort“-Folge, die gestern ausgestrahlt wurde („Müll“ vom WDR), markiert ein interessantes Jubiläum. Die wichtigste und meist gesehene Unterhaltungssendung der ARD – einzelne Folgen wurden über 30 Mal wiederholt – hat es geschafft, seit 1970 eine Botschaft in die Köpfe der Zuschauer zu pflanzen, wie sie im Hinterzimmer jedes SPD-Ortsvereins in Hessen-Süd gehegt wird: wir sind klein, unser Herz ist rein. Sie, die Großen da oben, die in den Villen, Parteizentralen und Vorstandsetagen, sie sind die Drecksäcke. Mindestens ein Drittel aller Tatorte, schätze ich als langjähriger Konsument, läuft dezidiert darauf hinaus, dass es Mächtige & Besserverdienende sind, die den Hals nicht voll genug kriegen können und deshalb Kapitalverbrechen begehen. In einem weiteren Drittel schwingt das Motiv zumindest mit.
Hat mit der Realität zwar nicht viel zu tun, lässt sich aber schicker inszenieren und kommt hervorragend an. Tatorte erreichen bei der Erstausstrahlung bis zu neun Millionen Zuschauer. Viel besser als dröge Politmagazine, deren Klientel ohnehin stramm links tickt, hat es der „Tatort“ verstanden, Bauunternehmer, Pharmafirmen, Chefärzte, konservative Politiker, Genforscher, Lobbyisten, Geheimdienst- und BKA-Leute, Militärs und all die anderen Verdächtigen unterhaltsam in Generalverschiss zu bringen. Bereits in einem frühen, spannenden Film von Wolfgang Petersen („Jagdrevier“) ist die Sache von vorneherein klar. Der Bösewicht wohnt in einer protzigen Villa, hält die verelendete Landbevölkerung wie Leibeigene - das Recht der ersten Nacht inkludiert - und macht auf den Möchtegern-Rächer seiner Gemeinheiten gnadenlos Jagd.
Keine Verschwörungstheorien! Niemand in der ARD, welche die Serie einst als Krimis mit Lokalkolorit konzipiert hatte, hat da je irgendeinen Kampfauftrag erteilt. Die Drehbücher folgen einfach dem herrschenden Zeitgeist, wie er in den ausführenden Anstalten spukt. Kein Zufall, dass Sender wie Radio Bremen, der NDR, der WDR und – seit der Wende – die meisten Ost-Anstalten überwiegend linkes Spielmaterial liefern, während die Kommissare der Süd-Sender gern in etwas orginelleren Zusammenhängen recherchieren. Übrigens auch weniger humorfrei und sozialneidisch auftreten. Tiefpunkt der politisierten Langeweile ist derzeit das politisch-korrekte Duo Ballauf/ Schenk von WDR, das immer mal wieder einen Ausländerfeind abbürsten oder einen Profitgeier vors Schienenbein treten darf.
Ich sehe den Tatort – auch ältere Folgen – immer wieder gern. Es sind Diamanten darunter, wie „Im Herzen Eiszeit“, ein unter Ex-Spontis angesiedeltes Trauerspiel. Der Tatort spiegelt - wie James Bond-Filme – getreulich die Moden und Hysterien seiner Zeit. Ist das Thema Kinderschändung angesagt, kommt es bald darauf in den Tatort („Manila“). Krank durch Mobilfunkstrahlung? Rein mit dem Sekten-Thema in die Sendung! Freue mich jede Woche darauf, was sie sich nun wieder haben einfallen lassen. Insofern war ausgerechnet die Jubiläums-Sendung enttäuschend – Müllmafia-Geschichten sind ja ein uralter Hut. Jetzt muss mal was Aktuelles auf den Schirm. Mein Vorschlag: der skrupellose Chef einer Discounterkette lässt Detektive, die für ihn Angestellte bespitzelt haben, reihenweise von chinesischen (wg. Tibet!) Auftragsmördern erledigen, um… Oder: auf den Anführer einer Bürgerinitative, die gegen ein todbringendes Kohlekraftwerk an der Elbe kämpft, wird ein Attentat verübt. Der aalglatte Vorstandschef eines Energieriesen hat ein Alibi, das jedoch bald wackelt…
Bittesehr, gegen einen hübschen Batzen Geld schustere ich die Drehbücher notfalls selbst zusammen. Ist ja nicht schwer, wenn man weiß, welcher Quatsch verlangt wird. Die üblichen Anstalten, bitte melden!