Jetzt hat er sich doch entschuldigt. Günther Oettinger hat auch die Passagen seiner Trauerrede auf Hans Filbinger zurückgenommen, von denen er vorgestern noch der Meinung war, sie seien nicht zurückzunehmen. Dass Baden-Württembergs Ministerpräsident doch noch zur Vernunft gekommen ist, wird ihm das Amt retten. Aber es bleibt ein fader Beigeschmack - in mehrfacher Hinsicht.
Oettinger ist des Rechtspopulismus unverdächtig, insofern ist seine gestrige Entschuldigung nicht unglaubwürdig. Aber sie kommt spät. Verlorene Zeit, in der Oettinger zunächst eine dümmliche Sturköpfigkeit an den Tag legte und später seine Kritiker für dumm verkaufen wollte. In einem besonders dreisten Fall von Vorwärtsverteidigungs-PR distanzierte er sich am Sonntag von einer Verharmlosung des Dritten Reichs, die ihm ohnehin niemand vorgeworfen hatte. Er wartete mit seiner Entschuldigung so lange, bis es nicht mehr anders ging. Das wird Spuren hinterlassen.
Die Affäre Oettinger ist aber auch unangenehm, weil sie am ganz rechten Rand wieder einmal den Eindruck erwecken konnte, dass ein „Establishment“ von Politik und „Systempresse“ unter dem Druck des Zentralrats der Juden einen aufrechten Politiker so lange hetzt, bis er aufgibt. Dieses Zerrbild ist paranoid und unzutreffend. Aber indem Oettinger viel zu lange auf seiner unhaltbaren Position beharrte, hat er solchen Theorien Nahrung gegeben. Diesen Schuh müssen sich nicht zuletzt aber auch jene anziehen, die auf den Zug der Oettinger-Kritik noch aufsprangen, als er schon in voller Fahrt war - wie Guido Westerwelle, dessen peinliche Rolle in der Möllemann-Affäre ihn in Sachen Oettinger zur Zurückhaltung hätte zwingen sollen. Durch solche „Trittbrettfahrer“ entsteht der Eindruck, im Fall Oettinger sei lediglich eine neue Episode ritualisierter Geschichts- und Vergangenheitsdebatten gespielt worden. Dieser Eindruck aber verdeckt den Kern: dass Oettinger eine unpassende Rede hielt, in der er Filbingers Vergangenheit nicht etwa freundlich interpretierte, sondern sich dessen falsche Milde gegen sich selbst zu Eigen machte - teilweise wortwörtlich.
Dramatisch ist aber auch der geistig-moralische Zustand der baden-württembergischen CDU, wenn dort bis hin zum Vorsitzenden der Jungen Union einhellige Zustimmung zu Oettingers Rede herrscht. Der Ministerpräsident wusste um diese Stimmung. Er fischte deshalb mit seiner Rede nicht etwa rechts von der Union im Südwesten, sondern in ihrer Mitte. Der rechte Rand ist auch 60 Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs mitunter breit. Zu breit.
Leitartikel im Kölner Stadt-Anzeiger, 17.4.07