In seinem Buch „Das Blöken der Wale. Die Linke und der Kitsch“ fächert Gerhard Henschel viele Kapitel auf. Aber es gibt, von heute besehen, eine Lücke: Zu „Linke und Weihnachten“ finden sich nur Marginalien. Damals, 1998, war das auch angemessen. Heute ist es ein eigenes Großthema. Mit der Unvermeidlichkeit von Whams „Last Christmas“ versorgen die Politiker des Guten in den vierzehn Tagen vor Weihnachten die Öffentlichkeit mit ihrem Klingelsound. George Michael ist wenigstens gleichmäßig schlimm. Die Linken steigern sich mit ihrem Weihnachtskitsch von Jahr zu Jahr.
Den Anfang machte heuer die „Spitzentörin“ (Michael Klonovsky) Katrin Göring-Eckardt mit einem Facebook-Posting zu Nikolaus:
„Es ist ein #Türke unterwegs, mit spitzem Hut. Ist etwas auffällig anders und soll Dinge an Arme verschenken. Vorsicht!“
Nun lebte der Namensgeber des Nikolausfestes Nikolaus von Myra zwischen dem Ende des 3. Jahrhunderts und Mitte des 4. Jahrhunderts in einem damals noch christlich-hellenisch geprägten Kleinasien, er war Lykier, Türken als Volk existierten zu seiner Zeit nicht, eine Türkei schon gar nicht. Göring-Eckardt gibt in ihrer Biografie an, sie hätte sich in den Neunzigern für ein paar Semester in der Theologischen Fakultät der Uni Leipzig eingeschrieben. Entweder stimmt selbst das nicht, oder sie hält die Öffentlichkeit für eine Art erweiterte Grüne Jugend.
Jedenfalls wollte die stellvertretende Linken-Vorsitzende Janine Wissler nicht zurückstehen, und zwitscherte vor kurzem:
„Bei einer Weihnachtskrippe ohne Araber, Afrikaner, Juden und Flüchtlinge bleiben bekanntermaßen nur Ochs und Esel übrig.“
Bekanntermaßen.
Kein multikulturelles Migrantenfestival in Bethlehem
Genaugenommen ist die nächste Exegetin immer nur einen Tweet weit entfernt.
„Genaugenommen“, sekundiert die Linken-Bundestagsabgeordnete Caren Lay, „ein Kind von jüdischen Flüchtlingen, die niemand aufnehmen wollte. Darum geht’s an Weihnachten.“
Jedenfalls für Politikerinnen, die nie das Lukas-Evangelium gelesen haben:
„Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger von Syrien war. Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.
Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum daß er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf daß er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die ward schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“
Josef und Maria brechen also nicht als Flüchtlinge auf, sie begeben sich in Josefs alte Heimat Bethlehem, um sich dort in das römische Steuerregister eintragen zu lassen. Sie sind auch nicht von niemand aufgenommen worden, sondern bekommen Platz im Stall der Herberge. Übersetzt in das Gegenwärtige heißt das: das Hotel war fast ausgebucht, weil sehr viele zu der Steuerregistrierung unterwegs waren. Für die beiden gab es also nur ein schlechtes Zimmer. Besonders groß fielen nämlich die Unterschiede zwischen Stall und Zimmern seinerzeit nicht aus: dort schlief man auch auf Matten oder Strohschütten.
Araber und Juden stellten die größten Bevölkerungsgruppen in der römischen Provinz Palästina; bei dem Afrikaner handelte es sich um einen durchreisenden König. Mit anderen Worten, es fand in und um den Stall kein multikulturelles Migrantenfestival statt.
Flüchten musste die heilige Familie erst nach dem Kindermord von Bethlehem. In Ägypten fanden sie Aufnahme, solange sie sich in Gefahr befanden. Also: „Jüdische Flüchtlinge, die niemand aufnehmen wollte“, waren sie weder da noch dort.
Ein wohlmeinendes Internet-Meme ganz ähnlicher Güte zählt die Zutaten im Christstollen wie Zitronen, Sultaninen, Mandeln, Vanille und anderes auf, und belehrt uns:
„Ohne fremde Kulturen bleibt nur Brot übrig“.
Sind Mandeln eine „Kultur“?
Was schon dumm genug ist: Stollen sind schließlich keine Bäckerbrote mit Mandeln und Rosinen. Fast alle Stollen-Ingredenzien gedeihen außerdem in Europa. Was ist also daran „fremd“? Und vor allem: sind Mandeln eine „Kultur“? Oder nicht vielmehr ein Produkt, das schon seit Jahrhunderten gehandelt wird?
In Saudiarabien ist die gesamte technische Moderne aus dem Westen und Asien importiert, vom iPhone bis zum Panzer. Nach der linken Korrektness-Lehre wäre das wahabitische Königreich also eine westlich-chinesische Mischkultur.
Die Argumentation ist so dämlich, als würde jemand sagen: Weil Grüne auf ihren Rechnern Software aus den USA benutzen, müssen sie auch Trump gut finden.
In Wirklichkeit geht es den Autoren dieser Weihnachtstraktate allerdings gar nicht um die Bibel oder kulturelle Debatten. Sondern um das Spezialgebiet der Linken: moralische Erpressung. Wenn du den Kindern etwas in den Nikolausstiefel steckst, wenn du ein Krippenspiel besuchst, wenn du Stollen isst, so die Botschaft, dann musst du auch unsere Migrationspolitik schlucken.
Josef, Maria und Jesus, die nach Ägypten fliehen mussten, würden heute unter die klassische Definition eines Asylsuchenden fallen. Die Zahl der anerkannten Asylbewerber lag 2016 bei 0,3 Prozent aller Migranten. Praktisch niemand bis auf ein paar randständige Schrate will echten politisch Verfolgten und tatsächlichen Kriegsopfern Hilfe verweigern. Den linken Weihnachtspredigern geht es mit ihren Volksbelehrungen darum, die wachsende Kritik an der Kategorienverwischung zwischen Verfolgten, Migranten und schlichten Beutegreifern zu überklingeln.
Bemerkenswerterweise kommen Göring-Eckardt, Wissler et al. auch gar nicht auf die Idee, selbst einmal in der christlichen Frühgeschichte und der Bibel nachzulesen oder sich Gedanken über den Begriff Kultur zu machen. Sie benutzen für die tagespolitische Moralagitation auf links gedrehte Bruchstücke, für deren Ursprung sie sich selbst keine Sekunde interessieren.
Es gibt den schönen Satz: Wenn Linke etwas von Wirtschaft verstünden, wären sie nicht links.
Für Kultur gilt das auch.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Alexander Wendts Publico hier.