Wolfgang Röhl / 21.01.2013 / 22:59 / 0 / Seite ausdrucken

Michael Winner (1935 – 2013)

Für einen Genussmenschen, der sich manche Woche drei Mal foie gras reinhaute (nur als Starter, es folgten kalorienreiche Haupt- und Zwischengänge sowie üppige Desserts, gesundes Futter mied er tunlichst), für so einen Gourmet-Gourmand ist er doch ziemlich alt geworden. Michael Winner, geboren in London, war viele Jahre Restaurantkritiker für die „Sunday Times“. Ein Angeber und Name-dropper, aber kein Snob. Manchem Angeber und Name-dropper aus der internationalen Gastro-Szene, welcher sich außerdem noch als Snob gerierte, hat er unsanft die Hosen runtergezogen.

Seine oft wunderbar boshaften Kolumnen, immer mit Selbstironie gewürzt (er wusste ja, dass er vom Essen nicht viel verstand, auch wenn er Gerichte mit dem Prädikat „historic“ hochjazzte oder mit dem Knüppel „beyond belief“ niederschlug), diese Kolumnen erfreuten Millionen. Leser, denen es nicht auf Kitchen hype und Sterne-Quatsch ankam. Sondern auf die unnachahmliche Art, wie ein stinkreicher (auch an Pointen reicher) Müßiggänger zwischen Barbados, Venedig und London herum jettete, Geschichten aus guten alten Tagen vertellte und beiläufig auf die Qualität von Restaurants und Hotels einging. Eine barocke Figur, die durch ihre schiere Existenz auch Millionen Leser gegen sich aufbrachte. Was Winner innig genoss.

Dass viele sich über Winner ärgerten, hatte noch einen anderen Grund. Er war in seinem ersten Leben Regisseur von Action-Streifen gewesen, darunter Perlen wie „Chatos Land“ (1972, mit Charles Bronson) und „Scorpio, der Killer“ (1973, mit Burt Lancaster). Aber die ungemein erfolgreiche „Ein Mann sieht rot“-Trilogie (erster Teil 1974, wieder mit Bronson, die Follow-ups 1982 und 1985) hatte ihn   auf die Shitlist der linken und liberalen Feuilletons gehoben. Die Filme drehen sich, durchaus sympathisierend, um einen einsamen Selbstjustiziar aus dem Bürgermilieu, der Bad Guys in der New Yorker U-Bahn und anderswo zeigt, was eine Harke ist. Beziehungsweise ein 9mm-Revolver.

Vor allem der erste, legendäre Teil griff eine Stimmung auf, die im Amerika der frühen Siebziger weit verbreitet war. Man kann sich heute kaum noch vorstellen, was für ein straßenkriminelles Pflaster New York damals war. Deutsche Filmkritiker konnten oder wollten ihrerzeit schon gar nichts davon wissen. Als „faschistische Konterbande“ verdammte die „Frankfurter Rundschau“ Winners bitterböses Meisterwerk. Der Wirbel um einen Film aus dem Privatjustiz-Genre, das immer zum Hollywood-Standard gehört hatte (wenn auch meist politisch-korrekter austariert als in Winners Filmen), auch diesen Wirbel kann man sich heute kaum noch vorstellen.

Winner hat sich selbstredend nie von der Botschaft seiner Trilogie distanziert, wenngleich er bei den „Ein Mann sieht rot“ nachfolgenden Filmen kleine Konzessionen an den geänderten Zeitgeist machte. Überhaupt hat sich Winner nie von Winner distanziert. Auch nicht als Futterkritiker, der immer nach dem Motto verfuhr: erst schießen, dann nachschauen. Die meisten seiner Opfer, darf man annehmen, hatten ihr Los verdient.

Dem alten Film- und Gastrofascho wünsche ich, der ich seine herrlich eitlen und total abgeschmackten Kolumnen über viele Jahre mit Genuss verfolgte habe, einen Platz auf Wolke neun. Das ist die, welche manchmal über seinem geliebten Luxusschuppen „Sandy Lane“ auf Barbados hängt.

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