Wolfram Weimer / 25.04.2008 / 12:20 / 0 / Seite ausdrucken

Merkels Stuhlbeinsäger

Es gärt in der CDU. Während noch alle Welt über die Selbstzerfleischung der SPD räsoniert, braut sich auch in der anderen Volkspartei etwas zusammen. Denn hinter einer glänzenden Kanzlerin brechen plötzlich Machtrivalitäten und Richtungskämpfe auf. Christian Wulf und Jürgen Rüttgers sind die Schlüsselfiguren neuer Kabale…

Angela Merkel ist noch beliebt, sehr beliebt sogar, fast avanciert sie zur knutigen Eisbärin der Weltpolitik. Sie drollt sich im Zoo der Weltpolitik, und alles raunt und staunt über ihre sympathische Sonderrolle. Man legt ihr schier die Welt zu Füßen: G-8, Europa, Weltwirtschaft – alles roter Teppich. Dazu verwöhnt ein, abklingender zwar, aber immerhin ein Aufschwung Deutschland, jeden Tag entstehen 1000 neue Arbeitsplätze, die Staatskasse klingelt. Selbst das Klimaspektakel spielt ihr in die grüngeübten Hände. Zwei Drittel der Deutschen finden Merkel großartig. Zwei Drittel der Europäer auch. Es verneigen sich selbst chronisch links-nörgelnde Medien von Helsinki bis Lissabon. Bis vor kurzem galt: Kein Wölkchen innerparteilichen Widerstands, kein Donner koalitionärer Gewitter, nicht einmal die Windböe eines Skandälchens trübt den eitlen Kanzlerinnensonnenschein. Angela Merkel lebt in diesem Frühjahr in der besten aller Politikerwelten.

Wäre da nicht die Zahl 37. Denn trotz der Fortüne kommt Angela Merkels Partei in den Sonntagsumfragen einfach nicht über diese für die CDU/CSU jämmerliche Marke hinaus. Wie ein gläserner Deckel liegt diese 37 auf den Perspektiven unserer Wunder-Kanzlerin. 37 Prozent – das wäre für Helmut Kohl eine Schmach gewesen. So wenig hatte ja selbst Edmund Stoiber weiland gegen Flut-Supermann-und-Anti-Bush-Pazifist-Schröder erreicht. 37 Prozent ist ein Fanal und ein Rätsel zugleich. Noch mokiert sich alle Welt über Beck, den 25-Prozent-Kurti von der SPD. Dabei sind die 37 Prozent für Merkel viel interessanter und brisanter.

Denn das 37-Prozent-Syndrom verrät uns dreierlei.

Erstens sind unsere betagten Volksparteien selbst unter günstigsten Umständen kaum noch mehr als Drittel-Formationen im Land. Die Machtarchitektur der alten Bundesrepublik bekommt in der Ära Merkel offenbar tiefe Risse im Fundament. Die beiden politischen Kraftzentren Union und SPD können die Zentrifugalkräfte der Republik nicht mehr halten. Die politische Macht fragmentiert, und damit schwindet ein gutes Stück der republikanischen Stabilität Deutschlands.

Zweitens vollzieht die Union unter Merkel einen ähnlichen inneren Zerfall wie die SPD unter Schröder. Beide profilieren ihre Regentschaften als ein richtungspolitisches Crossover, sie positionieren sich bewusst in der Mitte der Gesellschaft, nicht aber in die Mitte ihrer jeweiligen Parteien. Die wechselseitigen Überholmanöver – Schröder nach rechts, Merkel nach links – bekommen der Kanzlerfigur in den persönlichen Sympathiewerten zwar prächtig, ihrer jeweiligen Partei aber richtig schlecht.

Als Gerhard Schröder den Marktreformer gab, applaudierte das deutsche Bürgertum, doch die Agenda 2010 kam auf Kosten der linken Seele seiner Partei. Und wenn nun umgekehrt Angela Merkel in Vielem eine sozialdemokratische Politik verfolgt, dann kränkt sie ihrerseits das konservative Herz der Union. Die CDU ist nach zwei Jahren Großer Koalition innerlich jedenfalls verwundet. Langfristig aber lässt sich ein verwundetes Pferd auch vom strahlendsten Reiter nicht mehr bewegen.

Drittens drohen Angela Merkel bald ganz andere, trübere Zeiten. Die außenpolitische Rote-Teppich-Phase trägt nicht ewig, der Aufschwung läuft im laufenden Jahr aus, und die Stimmung beginnt zu kippen. Dann aber steigt sie herab von ihrem Erfolgshügel und muss schmerzlich feststellen, dass der nur 37 Prozentpunkte hoch gewesen ist.

Ihre still verwundete Partei ist schon dabei, sich zu melden. Christian Wulf drängt es in die Bundespolitik, Jürgen Rüttgers spielt den Arbeiterführer, Friedrich Merz wird schmerzlich vermisst. Ein Siemens-CDU-Skandälchen hier, eine missratene Rentenerhöhung da, ein Gesundheitsreformdesaster dort, ein Etatzank über allem. Immer lauter werden die rhetorischen Absetzbewegungen von der Merkelbilanz in der Großen Koalition. Und so rächt es sich langsam, dass Angela Merkel in der Phase ihrer Triumphe viele vermeintliche Konkurrenten verletzt hat. Von Schäuble und Stoiber und Kohl bis Schönbohm und Merz, von Wulff und Koch bis Rüttgers und zuletzt Oettinger hat sie alle nicht nur besiegt, sondern eben auch düpiert.

Nun lernt man aber durch Demütigungen viel mehr als durch Siege. Das könnte Merkels Problem werden. Denn ihr Erfolg hat sie in einem sehr politischen Sinne einsam gemacht. Der einsame Triumph aber – das wusste schon Machiavelli – reitet zu Pferde aus und kehrt zu Fuß wieder heim.

Darum ist die merkwürdig kleine Zahl 37 in Wahrheit ein verräterischer Isolationsindikator. Denn mit all den Besiegten und linken Überholmanövern sind immer auch Teile des konservativen Bürgertums entfremdet worden. Weder die Wirtschaftsliberalen, noch die Nationalkonservativen, noch die religiösen Wertebewahrer fühlen sich durch Angela Merkels Mitte-Moderation wirklich vertreten. Wie einst der linke und der Gewerkschaftsflügel bei Schröder legen sie nun schweigend ihre Gefolgschaft nieder. Da es sich aber um die historischen Kraftquellen der Union handelt, droht die Machtbasis bereits mitten im scheinbaren Erfolg zu erodieren.

Verströmen also die Frühlingsblumen ihrer Kanzlerschaft schon jetzt den morbiden Duft herbstlicher Astern? Das hieße Merkel unterschätzen. Sie riecht das Problem sehr wohl. Darum öffnet sie sich die Option zu den Grünen. Doch auch in diesem Punkt folgt ihr die CDU nur widerwillig. Die Ankündigung von Christian Wulf, fortan stärker in Berlin zu agieren, ist daher eine strategisch spannende Entwicklung. Wird es Angela Merkel bei der nächsten Wahl nicht gelingen, eine schwarz-gelbe Koalition zum Sieg zu führen, dann dürfte man ihr nahelegen, Partei-Amt und Kanzlermandat zu trennen – so wie Wulf es auf Länderebene jetzt schon vormacht und die Schablone damit bereit legt. Es kommt jedenfalls Bewegung in die Union. Und immer mehr wagen die Prognose: Im kommenden Jahr wird Christian Wulf neuer CDU-Vorsitzender.

Wolfram Weimer ist Herausgeber und Chefredakteur von Cicero.  http://www.cicero.de

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfram Weimer / 26.06.2020 / 06:00 / 80

Corona als Kanzlermacher

In der CDU knistert es. Die Kanzlerkandidatur-Frage legt sich wie eine Krimispannung über die Partei. Im Dreikampf und die Merkelnachfolge zwischen Markus Söder, Armin Laschet…/ mehr

Wolfram Weimer / 12.06.2020 / 10:00 / 47

Nichts ist unmöglich: AKK als Bundespräsidentin?

„Das ist die größte Wunderheilung seit Lazarus“, frohlocken CDU-Bundestagsabgeordnete über das Comeback ihrer Partei. Die Union wankte zu Jahresbeginn dem Abgrund entgegen, immer tiefer sackten…/ mehr

Wolfram Weimer / 23.04.2020 / 06:10 / 183

Robert Habeck: Die grüne Sonne geht unter

Am 7. März erreichten die Grünen im RTL/n-tv-Trendbarometer noch Zustimmungswerte von 24 Prozent. Monatelang waren sie konstant die zweitstärkste Partei in Deutschland, satte 8 Prozentpunkte betrug der…/ mehr

Wolfram Weimer / 27.02.2020 / 06:11 / 135

Die CDU braucht einen Notarzt

Friedrich Merz tritt an – und er hat vier Trümpfe in der Hand. Erstens führt er die Umfragen nicht nur an. Er liegt seit Monaten…/ mehr

Wolfram Weimer / 22.02.2020 / 06:18 / 19

SPD-Comeback in Hamburg?

Lange hatten die Grünen gehofft. Doch nun zeigen die Umfragen: Die Hamburg-Wahl wird die SPD wohl gewinnen. Es bahnt sich sogar ein bundesweiter Stimmungsumschwung im…/ mehr

Wolfram Weimer / 14.02.2020 / 06:14 / 106

Die CDU sucht den Merkel

„Angela Merkel will Armin Laschet. Die CDU-Basis will Friedrich Merz.“ So fasst ein CDU-Spitzenpolitiker aus der Bundestagsfraktion die K-Debatte in der Union zusammen. Mit dem…/ mehr

Wolfram Weimer / 13.12.2019 / 06:23 / 33

Batterien aus Deutschland? Potzblitz, und es geht doch!

Monatelang war es bloß ein Gerücht: Angeblich verbaut der Technologiekonzern Apple in seinen Kopfhörern “AirPods” deutsche Batterien. In Asien lachte man darüber – die Deutschen…/ mehr

Wolfram Weimer / 05.12.2019 / 12:00 / 69

Kevin, der Defibrillator der Macht

Den größten Verlierer im SPD-Umbruch kennt jeder: Olaf Scholz. Seine Macht ist brutal pulverisiert, seine Autorität wird bereits von Mitleid getragen, seine Karriere wirkt schlagartig…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com