Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 17.10.2013 / 04:10 / 1 / Seite ausdrucken

Merkels Sieg ist ein stumpfes Schwert

Nach der Bundestagswahl in Deutschland am vergangenen Sonntag kamen die meisten internationalen Kommentatoren zu dem Schluss, dass Kanzlerin Angela Merkel den Zenit ihrer Macht erreicht hat. Ihre Partei erzielte 41,5 Prozent der Wählerstimmen und verfehlte die absolute Mehrheit im neuen Bundestag mit 630 Abgeordneten um nur fünf Sitze.

Der britische Guardian rief „Das Merkel-Zeitalter“ aus, die griechische Tageszeitung Ta Nea proklamierte den „Triumph der Königin der Sparprogramme“ und die Schlagzeile auf der Titelseite der spanischen El Mundo lautete (auf Deutsch): „Merkel, Merkel über alles“.

Es besteht zwar kein Zweifel, dass Merkel ein bemerkenswertes Abstimmungsergebnis erzielt hat - doch paradoxerweise hat ihr Wahlsieg unter Umständen ihre Position weder im eigenen Land noch in Europa gestärkt.

In der letzten Legislaturperiode regierte Merkel in einer Koalition mit den Freien Demokraten und einer parlamentarischen Mehrheit von neun Sitzen. In ihrer eigenen christdemokratischen Fraktion und vor allem in den Reihen ihres Koalitionspartners gab es eine kleine, aber deutlich vernehmbare Gruppe von Euroskeptikern. Mit zunehmender Länge der Eurokrise machten diese Hinterbänkler es Merkel immer schwerer, Unterstützung für ihre europäischen Bailout-Programme zu finden.

Zur Verabschiedung der entsprechenden Gesetze musste sich Merkel verstärkt auf die Oppositionsparteien verlassen. So war sie mit den Gesetzen zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf die Unterstützung der Sozialdemokraten und der Grünen angewiesen.

Merkels dünne Mehrheit hatte zwar das Regieren erschwert, bot ihr allerdings auch einige gute Argumente auf der internationalen Bühne. Durch Hinweis darauf, wie schwer es für sie war, ihre eigenen Abgeordneten von der Klugheit der Rettungspakete für andere europäische Länder zu überzeugen, konnte sie diese im Gegenzug für Sparmaßnahmen gewinnen. Merkel konnte gegenüber ihren internationalen Kollegen stets darauf verweisen, dass sie - um ihrer eigenen Koalition die Rettungspakete schmackhaft zu machen - ihre zögerlichen Abgeordneten davon überzeugen musste, dass Griechenland u.a. kein Fass ohne Boden wären.

Nach der Wahl vom letzten Sonntag ist diese Argumentation nicht mehr stichhaltig. Der vehementeste aller Euroskeptiker, der liberale Hinterbänkler Frank Schäffler, gehört ebenso wie die gesamte FDP dem neuen Parlament nicht mehr an.

Während der gesamten Legislaturperiode hatte die FDP in den Selbstzerstörungsmodus geschaltet. Intrigen, Richtungslosigkeit und eine katastrophale Kommunikationsstrategie trugen sämtlich zum Niedergang einer einst stolzen Partei bei. Als Merkel es dann vor der Wahl ablehnte, die FDP durch „Leihstimmen“ zu unterstützen, war das Schicksal der Partei besiegelt. Sie verfehlte die Fünf-Prozent-Hürde um 0,2 Prozent der Stimmen.

Wenn nur jeder 200. Merkel-Wähler sich für eine Unterstützung der FDP mit der Zweitstimme entschieden hätte, wäre die Partei wieder in den Bundestag gekommen – und mit ihr Angela Merkels alte Koalitionsregierung. Nun braucht sie einen anderen Partner. Genau das wird ihre Position erheblich schwächen.

Aller Wahrscheinlichkeit nach streben Merkels Christdemokraten eine Koalition mit der SPD an — die so genannte ‘Große Koalition’, die Merkel bereits in ihrer ersten Amtszeit von 2005 bis 2009 anführte. Diese wäre tatsächlich groß, denn sie hat die Unterstützung von 503 Abgeordneten in einem Bundestag mit 630 Sitzen und nur die Grünen (63 Sitze) und die postkommunistische Linke (64 Sitze) würden die Opposition bilden.

Eine so breite Mehrheit macht zwar die Verabschiedung von Gesetzen zu einer leichten Übung für jeden Kanzler, diese komfortable Mehrheit könnte sich jedoch als Bumerang für Merkel erweisen. Zunächst kann sie nun nicht mehr behaupten, sie müsse einige obskure euroskeptische Hinterbänkler berücksichtigen. Selbst eine größere Revolte in ihrer eigenen Partei wäre angesichts ihrer außerordentlich starken Mehrheit auszuhalten.

Noch wichtiger ist jedoch, dass ihr potenzieller sozialdemokratischer Koalitionspartner in der Frage der Bailouts für andere europäische Länder sehr viel gelassener ist und sich schon früher gelegentlich sogar für die Einführung von Eurobonds (gemeinsam verbürgte Anleihen europäischer Staaten) ausgesprochen hat.  Die Sozialdemokraten stehen auch den Sparmaßnahmen für die europäische Peripherie kritisch gegenüber und haben mehr Gemeinsamkeiten mit den keynesianischen Positionen des französischen Präsidenten François Hollande als Kanzlerin Merkel.

Als Vorgeschmack auf die Dinge, die da kommen werden, hat der prominente Sozialdemokrat Martin Schulz, der außerdem Präsident des Europäischen Parlaments ist, gerade verkündet, als Preis für eine Koalitionsregierung müsse Merkel ihre Europapolitik aufgeben. „Merkel wird ihre Politik nicht fortsetzen können,“ sagte Schulz dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel.

Möglicherweise hat er Recht – und nicht nur in Bezug auf Europa. In ihrer bisherigen kleinen Koalitionsregierung musste Merkel sich mit einem viel schwächeren Koalitionspartner auseinandersetzen. Der FDP gelang es zu keinem Zeitpunkt, sich gegen Merkel zu behaupten - hauptsächlich deshalb, weil sie es nie wirklich versuchte. In einer Koalition mit den Sozialdemokraten wird Merkel voraussichtlich nicht mehr so leichtes Spiel haben.

Trotz Merkels beeindruckenden Wahlsiegs werden die Sozialdemokraten versuchen, die Spielregeln zu bestimmen. Sie wissen, dass Merkel keine andere realistische Alternative hat, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Eine Koalition mit den Grünen wäre eine noch größere Provokation für Merkels eigene Partei und diese Option wurde von führenden Christdemokraten bereits ausgeschlossen. Die Sozialdemokraten hingegen können jederzeit damit drohen, eine Koalition der vereinigten Linken mit den Grünen und den Postkommunisten zu bilden.

So ironisch es ist, aber Merkels Wahlsieg hat ihre strategische Position in keiner Weise gestärkt. Im Inland ist sie auf das Wohlwollen der Sozialdemokraten angewiesen, die alles tun werden, um im nächsten Regierungsprogramm ihre Positionen durchzusetzen. International wird Merkels Strategie ‘Liquidität gegen Sparmaßnahmen’ voraussichtlich durch die Position ‘mehr Liquidität gegen weniger Sparmaßnahmen’ ersetzt werden.

Neue Rettungspakete für die kränkelnde europäische Peripherie wurden vor der Wahl aufgeschoben, um Merkels Wiederwahl nicht zu gefährden. Nun, da sie erneut an der Macht ist, wird nicht nur die Eurokrise wieder auf der Tagesordnung stehen, sondern es wird auch für andere europäische Länder leichter sein, den Deutschen Geld und Garantien aus der Nase zu ziehen. Merkel sind nicht nur die Argumente ausgegangen, solche Forderungen abzulehnen, sondern auch ihr neuer Koalitionspartner wird diese aktiv unterstützen.

Es kommt vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft dazu, dass Merkel den Tag verflucht, an dem sie ihrem todgeweihten liberalen Koalitionspartner die Wiederbelebung verweigerte. Das übrige Europa kann sich jedoch entspannen. Die strahlende Siegerin Merkel ist nicht annähernd so mächtig, wie es im Augenblick den Anschein hat.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der New Zealand Initiative (www.nzinitiative.org.nz).

‘Merkel’s victory will blunt her sword’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 26. September 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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Alexander Bertram / 17.10.2013

Tatsächlich Down Under ;-). Zeit ist soooooo relativ. “Alles gesagt, nur nicht von jedem”. Nett, drei Wochen nach der Wahl noch einmal eine Analyse zu lesen. ;-) Schade, dass wir hier immer noch nichts über Australien erfahren können.

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