Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 27.11.2012 / 23:45 / 0 / Seite ausdrucken

Merkels politische Fiktion für Griechenlands Zukunft

Wann erleben wir endlich eine dauerhafte Lösung des griechischen Problems? Keine Überbrückungslösung, sondern eine, die das Land wirklich auf einen zukunftsfähigen Weg zur wirtschaftlichen Erholung führt?

Die Antwort auf diese Frage ist einfach: irgendwann nach dem 15. September 2013. Die Begründung für diese Antwort ist noch einfacher: das ist das wahrscheinlichste Datum der nächsten Bundestagswahl, in der Angela Merkel sich für eine dritte Amtszeit als Kanzlerin bewirbt.

Unter normalen Umständen werden deutsche Wahlen ebenso gewonnen oder verloren wie Wahlen in jedem anderen Land - mit innenpolitischen Themen. Nicht so bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr. Ihr Ergebnis wird weitgehend durch die Lage in Griechenland entschieden.

Man kann zwar nicht behaupten, dass Merkels Ansehen in Wirtschaftsfragen vollkommen darauf beruht, wie sie die Eurokrise steuert, doch wollte sie die deutschen Steuerzahler für einen griechischen Staatsbankrott zahlen lassen, würde das ihren Ruf ruinieren und ihre Wahlchancen über Nacht zunichte machen. Das ist der Grund, warum Merkel einen zunehmend einsamen Kampf um die technische Zahlungsfähigkeit Griechenlands führt. Nicht weil ihr die Griechen so sehr am Herzen lägen, sondern weil es ihre einzige Chance zum politischen Überleben ist.

Merkels Kollegen in der Eurozone, die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds sind über Berlins Haltung sichtlich verärgert. Damit haben sie Recht. Diese Haltung erscheint starrsinnig, unberechenbar, selbstgerecht oder dogmatisch - oder sogar alles zusammen. Aber eins ist sie nicht: unvernünftig.

Um es deutlich zu sagen, sie ist nicht vernünftig im Hinblick auf eine sinnvolle Politik. Mit ihrem Beharren darauf, dass Griechenland unter keinen Umständen bankrott gehen, ein weiteres Rettungspaket bekommen oder - Gott bewahre! - aus der Eurozone ausscheiden darf, haben die Deutschen Unmögliches verlangt. Mindestens eine dieser Alternativen wird eintreten, vielleicht sogar zwei.

Das ist keine Frage des politischen Willens, sondern der mathematischen Gewissheit. Angesichts einer in diesem Jahr um über 6 Prozent schrumpfenden Wirtschaft, einem Haushaltsdefizit in der gleichen Größenordnung und der Tatsache, dass die Gesamtschuldenlast Griechenlands fast doppelt so hoch ist wie seine jährliche Wirtschaftsleistung bis 2014, ist es ausgeschlossen, dass Athen sich einfach in geordneter Form stabilisiert, sich aus seinem Sumpf herausarbeitet und seine Gläubiger befriedigt.

Aber leider hat Merkel ihren Wählern genau dieses Wolkenkuckucksheim versprochen. Darum ist es absolut vernünftig, dass sie dieses Szenario als erreichbar vorspiegelt – es ist eine politische Notwendigkeit, zumindest bis zu ihrer Wiederwahl.

Im Verlauf der Griechenlandkrise hat Merkel ihre technischen Standpunkte mehrmals gewechselt. Der Kern der Geschichte, die sie ihrem heimischen Publikum erzählt, ist jedoch gleich geblieben, dass nämlich die ‘Rettung’ Griechenlands die deutschen Steuerzahler keinen Cent kosten wird. Was auch immer den Griechen zugesagt wurde und in welcher Form - Merkel ließ es wie eine kluge Investition aussehen statt eines permanenten Vermögenstransfers von einem Land zum anderen.

Um diese politische Fiktion glaubhaft zu halten, musste sie so tun, als laufe alles nach Plan, und zugleich die offensichtlichen Katastrophen, die unterwegs passierten, wegerklären. Griechenlands Haushaltsdefizit geht nicht zurück? Die Griechen brauchen nur mehr Zeit, bis die Reformen wirken. Das zweite Rettungspaket reicht nicht aus? Solche vorübergehenden Probleme wird die Europäische Zentralbank lösen. Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland beträgt bis zu 58 Prozent? Das ist sehr bedauerlich, doch mit ein wenig mehr interner Abwertung wird Griechenland in Kürze in der Lage sein, seine Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen.

Für jeden nüchternen Beobachter des griechischen Dramas klingen diese offiziellen Verlautbarungen aus dem Kanzleramt absurd. Man braucht nicht in Wirtschaftswissenschaften promoviert zu haben, um zu erkennen, dass Griechenland nicht vom Fleck kommt und dass keine der Arzneien von EU/EZB/IWF den griechischen Patienten heilen konnten. Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble können sowohl einen griechischen Bankrott als auch ein weiteres griechisches Rettungspaket bis zum Überdruss ausschließen, wie sie es ja tatsächlich tun. Mit diesen Mantras lassen sich jedoch die grundlegenden wirtschaftlichen Fakten über Griechenland nicht ändern.

Griechenlands Wirtschaft schrumpft nicht nur seit fünf Jahren, sondern dieser Schrumpfungsprozess beschleunigt sich sogar. Zugleich hat sich die Verschuldungssituation des Landes trotz des ersten Schuldenschnitts, in dem ein Teil der von Privatanlegern gehaltenen Schulden erlassen wurde, nicht gebessert. Diese politische Katastrophe wird noch dadurch vervollständigt, dass das griechische Bankensystem klinisch tot ist und nur durch ständige Infusionen mit frischem Zentralbankgeld am Leben gehalten wird. Gleiches gilt übrigens auch für die griechische Regierung, die inzwischen auf kurzfristige Finanzmittel aus eben diesem Bankensystem zurückgreifen muss.

Mit einem Wort: Griechenland wirtschaftliche Situation ist eine vollständige, totale und umfassende Katastrophe. Dank jahrzehntelanger griechischer Misswirtschaft war sie zweifellos schon schrecklich, bevor die ‘Retter’ der EU vor über drei Jahren mit ihrer Arbeit begannen. Die EU, allen voran die Deutschen, haben jedoch eine schreckliche Situation in Griechenland noch schrecklicher gemacht. Unter ihrer Anleitung hat Griechenland den Übergang von einem angeschlagenen Staat zu einem bankrotten Staat geschafft.

Und warum? Weil Deutschland aus innenpolitischen Erwägungen Griechenland nicht erlaubt hat, das zu tun, was es gleich zu Anfang hätte tun sollen; seine Zahlungsunfähigkeit zu erklären, sich aus dem wirtschaftlichen Korsett des Euro zu befreien und Wirtschaftsreformen umzusetzen. Merkel und ihrer Regierung fehlte der Mut, das zuzulassen, und je länger sie zögerten, desto schlimmer wurde die Lage.

Es ist ein Unglück für alle Beteiligten, dass dieser desolate Zustand noch mindestens weitere zehn Monate anhalten wird, bis die Deutschen endlich wählen gehen. Vor der Bundestagswahl ihre politischen Fehler zuzugeben, ist für die Merkel-Regierung keine Option. Ein Bankrott Griechenlands würde Dutzende von Milliarden Euro kosten und ein Loch in ihren Haushalt reißen. Ein weiteres Rettungspaket, von Merkel kategorisch ausgeschlossen, würde sie ebenfalls unglaubwürdig machen.

Eine Chance auf Wiederwahl hat Merkel nur dann, wenn sie sich hinsichtlich Griechenland bis September 2013 weiter durchwurstelt und gerade genug tut, um Griechenland über Wasser zu halten. Vielleicht wird ihr das sogar gelingen – ihre Regierung hat ja solche Tricksereien zur Kunstform entwickelt.

Die Konsequenzen des Merkelschen Missmanagements in der Griechenlandfrage werden die Griechen noch jahrelang zu tragen haben. Letztlich werden sie die Deutschen eine Menge Geld kosten und sie haben damit einen negativen Präzedenzfall für Europas andere Krisenländer geschaffen.

Selbst wenn Merkel ihre nächste Wahl irgendwie gewinnt, wird es ein Pyrrhussieg sein, der nur Verlierer hinterlässt.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘How Merkel’s fiction is writing Greece’s future’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 22. November 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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