Moritz Mücke, Gastautor / 07.09.2019 / 06:06 / Foto: Pixabay / 34 / Seite ausdrucken

Merkels China-Besuch: Die einen buckeln, die anderen kleben

Es war einmal ein alter Mann, der bescheiden sein Feld bestellte. Als sein Vaterland ihn brauchte, zögerte er nicht, die Arbeit, mit der er seine Familie ernährte, niederzulegen. Damit er den beginnenden Krieg erfolgreich würde führen können, statteten ihn seine Landsleute mit der vollen Staatsgewalt aus und gaben ihm den Titel des Diktators. Nachdem er militärisch triumphierend seine Nation rettete, trat er sämtliche Befugnisse freiwillig wieder ab, und kehrte auf sein Landgut zurück. Er ging einfach nach Hause. Das Land war das alte Rom, der Mann war Cincinnatus.

Aber er war nicht der einzige seiner seltenen Art. Über zwei Millennien später gab es noch einen General, der sein Vaterland triumphieren ließ und den Grundstein für ein Imperium legte. Auch er war im Besitz der Staatsgewalt, seine Gefolgsmänner drangen ihn, er möge nach der Krone greifen. Aber auch er sagte nein und ging zurück nach Hause auf sein Landgut. Sein Name war George Washington.

Die Sage des Cincinnatus ist eine Halblegende, die Washingtons immerhin Geschichte. Wenn es ein drittes Mal passiert, wird die Menschheit es nie wieder vergessen.

Auch China ist im Begriff, einen Krieg triumphierend abzuschließen. Es handelt sich nicht um einen militärischen Krieg, sondern um ein Unterfangen, das die allergrößte Energie erfordert. Hunderte von Millionen Chinesen haben sich in den letzten Jahrzehnten aus der Armut herausgekämpft, und ihre Staatsregierung hat sie nach Kräften unterstützt. Es ist ein Unterfangen so gewaltiger Größe, dass es der Welt den Atem raubt. Es steht fast unangefochten in der Ruhmeshalle menschlicher Vortrefflichkeit, wie ein Kaiser unter Königen.

Den Triumph in der freien Kunst des Friedens aufgehen lassen

Cincinnatus rettete deutlich weniger als eine Million alte Römer, Washington vielleicht zehnmal so viele Amerikaner. Der chinesische Triumph durchstößt die Milliardenmarke. Wird die Staatsregierung jetzt nach Hause gehen, auf ihr Landgut?
 
Sollte sie den Pfad des Cincinnatus und des Washington beschreiten, ihren Parteiapparat auflockern, Überwachung zurückrollen und die Vortrefflichkeit ihres Triumphs in der freien Kunst des Friedens aufgehen lassen, dann hätte sie den absoluten Gipfel menschlicher Größe erklommen, der Spezies das prachtvollste Geschenk gemacht, das sie jemals zu empfangen die Ehre hatte. 

Und wenn es anders kommt? Im Spannungsfeld von Hong Kong mutmaßt ein Historiker, dass es einen „schwarzen Schwan“ gäbe, eine „Krise des politischen Systems in China, die unweigerlich kommen wird“. Er setzt hinzu: „China hat die größte Mittelklasse in der Menschheitsgeschichte geschaffen, und das verträgt sich nicht mit einem Einparteienregime.“ Die chinesische Staatsregierung dürfte das freilich anders sehen. Sie führt das Schwert noch in ihrer Hand, das Landgut ist nicht in Sicht.

Als General George Washington nach Hause ging, war er noch nicht fertig. Um die Wunden seines Landes zu heilen, war er immerhin bereit, auf den demokratischen Thron zu steigen und sich zum Präsidenten wählen zu lassen. Er tat es stoisch und pflichtbewusst und begründete so die moderne Tradition der friedlichen Machtübergabe in einer freien Republik. 

Deutschland „buckelt“ vor der chinesischen Staatsführung 

Seinem Nachfolger kann das Schicksal Chinas nicht egal sein. Wenn Donald Trump erfährt, dass in Mexiko eine aus China stammende und für die Vereinigten Staaten bestimmte Sendung von 25 Tonnen hochgiftigen Fentanyls aufgegriffen wird – welches etwa 50-mal stärker ist als Heroin – kann er das nicht ignorieren. Wenn das ein Handelskrieg sein soll, wo ist dann der Handel? Ihr Landgut scheint die chinesische Regierung nicht zu reizen.

Der US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, wird nicht müde, die Bundesregierung darauf hinzuweisen, dass ihre enthusiastische Chinapolitik nicht mehr zeitgemäß ist. Senator Tom Cotton aus Arkansas findet sogar noch wesentlich deutlichere Worte dafür, dass die Bundeskanzlerin „im Interesse deutscher Konzerne“ vor der chinesischen Staatsführung „buckelt“. 

Deutschland ist nicht umweht vom Geiste des Cincinnatus. Nichts wäre dem deutschen Diktator Adolf Hitler fremder gewesen als das freiwillige Loslassen der Macht. Er ist nie einfach nach Hause gegangen. Es ist eine irritierende Erfahrung, in den Vorkriegsreden Winston Churchills dessen Hoffnung zu lesen, der „Fuhrer of Germany“ möge doch noch zu einem „Hitler of peace“ werden. Ausgerechnet Churchill sah eine Möglichkeit, die sich heute niemand mehr vorstellen kann. Aber er wusste wenigstens, was auf dem Spiel stand – das Überleben freier Zivilisation.

Nie in der Geschichte der Menschheit wurde ein dichteres Netz der Macht über einer größeren Zahl von Menschen aufgespannt als im heutigen China. Wenn es schiefgeht, dann richtig. Die dortige Staatsführung hat alle Karten in der Hand und kann noch immer weltgeschichtlichen Ruhm erwerben. Aber zur Zeit ist der Himmel verdunkelt. Deutschland wäre deshalb gut beraten, sein Gewicht stärker auf die Seite des amerikanischen Präsidenten zu werfen. Washington ruft.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Karoline Kupfer / 07.09.2019

@Michael Hufnagel: Sehr gut ausgedrückt - Sie haben meine 100%ige Zustimmung: wieder engere Bindung an die USA. Diejenigen, die vor China den Kniefall machen, übersehen, daß dieses Land (“erfolgreiche” Wirtschaftsentwicklung hin oder her) von der Kommunistischen Partei Chinas in einem Einparteiensystem regiert wird, daß Menschenrechte mit Füßen getreten werden, daß eine Überwachung ohne Ende stattfindet etc., kurz: daß China nach wie vor eine kommunistische Diktatur ist. Wie kann ein solches Land mit einer solchen Regierung “weltgeschichtlichen Ruhm” erwerben? Hier kann ich dem Autor Mücke nicht zustimmen.

Werner Liebisch / 07.09.2019

In vielen Ländern, auch europäischen, werden Demos oft gewaltsam niedergeknüppelt. Und Saudi Arabien, sind die nicht gut Freund von den Amis? Ich weiß nicht, wo Heuchelei beginnt und aufhört. Die Chinesen, als auch die Amis, weit fortgeschritten in der Überwachung, auch der eigenen Bürger. Weiß nicht wo es schlimmer ist, aber da wird China die Staaten wahrscheinlich toppen. Ich bin auch für die Mitte und man sollte gute Beziehungen zu beiden Ländern pflegen, hoffentlich bald wieder mit Russland. Und was sagte Henry Kissinger einst? “Die Vereinigten Staaten hätten keine Freunde, sondern nur Interessen”

Karla Kuhn / 07.09.2019

Frau Ilona G. Grimm,  GENAU SO würde ein GUTER Kanzler handeln Leider haben, zwar nicht die Mehrheit, aber immer noch genug dieser Frau wieder in ihren Sessel geholfen !!  Übrigens SO schöne HÄNDE und Fingernägel hat Merkel nicht. Warum haben Sie nicht die abgeknaupelten gezeigt? Die Chinesen sind durch gar nichts aufzuhalten, Herr Mertens. Dort leben knapp 1,4 Milliarden Menschen, die zu regieren ist fast unmöglich, die zeigen uns doch bloß den Stinkefinger und mit RECHT. WARUM müssen wir uns in China einmischen ?? Wir haben selber Problem bis zur Halskrause ! Und Merkel ist die ALLERLETZTE die sich das leisten kann. Wenn Trump sich einmischt, geht uns das ebenso nichts an !! Helmuth Schmidt oder auch Strauß, beide mit einem hohen IQ ausgestatten würden eher etwas erreichen aber leider sind diese beiden hervorragenden Politiker schon lange tot !

Andreas Rochow / 07.09.2019

@Jens Paulsen - Die Welt ist mindestens bipolar! Wenn ich mich frage, wem ich mich als Deutscher heute MIT ALLEN KONSEQUENZEN verbunden fühle, ist es ganz klar, dass es nicht Nordkorea und nicht Russland oder China ist. Es ist selbstverständlich klar, dass es die USA mit ihren europäischen Wurzeln und den nachweislich größten Erfahrungen mit Multikulturalismus sind. Es ist atemberaubend, welche speziellen Varianten von tiefem Antiamerikanismus man hier in den Kommentaren antreffen kann.

sybille eden / 07.09.2019

Es ist immer wieder erschreckend zu erfahren, was für gehirnlose Amerikahasser hier auf der Achse unterwegs sind !

Petra Wilhelmi / 07.09.2019

Gut, Merkel buckelt vor China, aber China scheint das egal zu sein. Die Antwort Chinas auf eine Rede von Merkel - ich glaube es ging um das Klima und Umweltfragen - war, dass man Merkel mitgab, dass China und seine Menschen klug genug wären, um zu wissen, was für China das Richtige sei, man bräuchte keine anderen Länder dazu. Bruch, würde ich sagen, mit der Hand auf die Wange Merkels. Ich glaube, dass wir uns nirgendwo Freunde schaffen. Wenn Deutschland versucht, gut mit anderen auskommen zu wollen, kommt uns immer wieder der erhobene Lehrerfinger dazwischen und die Klimareligion, um halbwegs ernst genommen zu werden. Wenn etwas von China ertrotzt werden soll, geht das nur mit Härte, nie mit “lehrreichen” Worten und noch weniger mit dem Thema Klima und Umwelt.  Chinesen sind Pragmatiker.

Karl Georg Lempenheimer / 07.09.2019

Deutschland ist nicht umweht vom Geiste des Cincinnatus. Aber Merkel hängt an ihrer Macht, wo sie doch aus gesundheitlichen Gründen abdanken könnte. Wenn man nur wüsste, wessen Statthalter sie ist. Er lässt sie wohl nicht gehen.

H.Milde / 07.09.2019

@ J.Rotmann Doch, und sie wurde ua von richtigen Physiken aus Oxford, o Cambridge(?) durchgelesen und bewertet. War wohl aber nicht so ansprechend, das Wort Bulls***** fiel wohl auch? Allerdings fehl(t)en wohl ein paar wichtige Anfangseinleitungen, zB. wer da so mitgeholfen hat etc. , und für die Arbeit brauchte sie 8-9j, normal 3-4j. Danach hat sie wohl nie mehr was veröffentlicht, was wohl auch ungewöhnlich für jemanden ist, die in einer Hochschule arbeitete.  Einfach GOOGLEn, und Spaß haben. ; )

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