Merkel weiß, wie man Wahlsieger in Eunuchen verwandelt

Von Gabor Steingart.

Stellen Sie sich vor, wir brauchen eine neue Regierung und keiner macht mit. Davon handelt unser Wochenendtitel: Deutschland - bedingt regierungsfähig. Sieben Gründe sind es, die das Geschäft mit der Macht derzeit so kompliziert machen: 

Erstens: Mit der SPD sitzt im Bundestag erstmals eine Volkspartei, die aus Prinzip nicht an der Macht beteiligt werden will. Die Schulz-SPD möchte nicht die Welt retten, sondern vor allem sich selbst. 

Zweitens: Die AfD ist eine Partei, mit der kein anderer regieren will. Mit den Schmuddelkindern spielt man nicht.

Drittens: Das bedeutet, dass knapp ein Drittel der Abgeordneten die Regierungsbildung passiv bei „Maybrit Illner“ verfolgt. Der Bundestag ist - noch bevor er in neuer Besetzung zusammentritt – zwiegespalten: Die einen schreiben Konzeptpapiere für die nächste Verhandlungsrunde, die anderen versorgen sich mit Dosenbier und Salzstangen.

Viertens: Merkels verbleibende Koalitionspartner - FDP, Grüne und CSU - wollen zwar regieren, aber wenn’s geht nicht miteinander. Sie zu einem vorzeigbaren Ensemble zu formieren, ist ähnlich schwierig wie die musikalische Vereinigung von Bundeswehr-Big-Band, Stefan Mross und Campino. Jeder hat seine Bewunderer, aber es gibt keine gemeinsamen Fans. Campino bekommt wahrscheinlich schon einen Hörsturz, wenn Stefan Mross seine Trompete nur ansetzt. 

Fünftens: Die Beteiligten - das kommt strafverschärfend hinzu - haben ihren Wählern fulminante Abschiede versprochen - nur jeder einen anderen. Die CSU will sich von der Willkommenskultur verabschieden, die FDP vom Schlendrian in der Eurozone und notfalls auch von Griechenland. Die Grünen möchten den Verbrennungsmotor verschrotten. Jeder hält den Abschied des anderen für unmenschlich oder zumindest unsinnig. 

Sechstens: Früher hätte man gesagt: Macht nichts. Doch die Kunst des politischen Pokerns - Flüchtlinge gegen Dieselmotor, frisches Geld für Griechenland vs. mehr Staatssekretäre für die FDP - stößt an Grenzen. Was früher als Schlitzohrigkeit durchging, gilt heute als obszön.

Siebtens: Alle kleinen Parteien eint das Misstrauen gegen die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende. Denn Merkel weiß, wie man Wahlsieger in Eunuchen verwandelt. Sie setzt das Skalpell so kunstfertig an, dass die Betroffenen erst später merken, dass sie entmannt wurden. Rainer Brüderle und Philipp Röslerwissen, was hier gemeint ist. Horst Seehofer auch. Seine politische Potenz ist nach dem verlorenen Poker um die „Obergrenze“ keine Tatsache mehr, sondern eine bayerische Hochstapelei. Unschön mit anzusehen: Seehofer will, aber er kann nicht. 

So diskutieren denn hinter vorgehaltener Hand die ersten Politiker bereits über Neuwahlen. Der Wähler ist schließlich schuld an dem Schlamassel. Dafür muss er büßen. Es gilt das Verursacherprinzip.

Noch wäre es Zeit, den Weg in die vorsätzliche Regierungsunfähigkeit zu stoppen. Vielleicht kann sich die SPD-Bundestagsfraktion doch noch aufraffen, das Landeswohl vor das Parteiwohl zu setzen. Das schafft noch keine neue Regierung, aber das schafft Optionen. Bertolt Brecht weist Andrea Nahles den Weg: „Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.“

Zuerst erschienen bei Handelsblatt Morning Briefing

Foto: Tomás Castelazo CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Karsten Dörre / 29.09.2017

Zweitens stimmt nicht: Die AfD will keine Koalition. Oder wie es AfD-Pädagoge Björn Höcke am 17.01.2017 in Dresden sagte:” ...dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD und deshalb will ich diesen Weg – und nur diesen Weg – mit euch gehen, liebe Freunde!” Nach dieser Rede ist Höcke nie verschwunden. Er existiert nach wie vor in seinen Ämtern in der AfD. Deshalb auch die erneute Abspaltung in der AfD nach der Bundestagswahl. Diejenigen, die glauben, man könne in der AfD Mehrheiten für Regierungsfähigkeiten in Koalitionen erkämpfen, kennen anscheinend ihre politisch destruktiven eigenen Gegner in der AfD nicht.

Sepp Kneip / 29.09.2017

Warum wagt es keiner, Merkel eine ganz einfache Frage zu stellen? “Frau Merkel, warum brechen Sie die Eide, die Sie geleistet haben und warum fügen Sie dem deutschen Volk so viel Schaden zu - wer sind Ihre Auftraggeber?” Ja, eine ganz einfache Frage. Wenn Merkel diese nicht selbst beantwortet, muss ivestigiert werden. Aber das tut keiner. Vielleicht weil alle selbst Teil dieses Komplotts sind? Wo treiben wir eigentlich hin?

Günter Springer / 29.09.2017

Wan kommt endlich die Erkenntnis, das die Frau Merkel allem was noch denkbar ist im Wege steht. Wetten, die Erkenntnis wird kommen aber zu spät!

Christa Wallau / 29.09.2017

Gute Zustandsbeschreibung! Es wäre wirklich zu wünschen, daß der Weg in die “vorsätzliche Regierungsunfähigkeit” verbaut und durch Neuwahlen klarere Verhältnisse entstehen würden. Wenn ich es mir aussuchen könnte (unter realistischen, nicht geträumten Bedingungen),  sollte es dann eine Regierung aus CDU/CSU und FDP geben.

Oliver Hoch / 29.09.2017

SPD und Landeswohl… Bei dem aktuellen Führungspersonal in Partei und Fraktion eher wenig kompatibel. Und: noch mehr Groko-Verelendung erträgt unser Land nicht. Vielleicht könnte mit einer integren Persönlichkeit an der Spitze wie Klaus von Dohnanyi ein Neuanfang erfolgen, notwendig, um die SPD (oder SPx ?) dauerhaft oberhalb der 10% Wählerstimmen zu halten. Aber von Dohnanyi ist eben auch nicht mehr der Jüngste.

Michael Lorenz / 29.09.2017

“Vielleicht kann sich die SPD-Bundestagsfraktion doch noch aufraffen, das Landeswohl vor das Parteiwohl zu setzen.” Entschuldigung? Aber das macht sie doch gerade - zwar ungewollt, aber die Heilung der SPD ist zugleich auch die Heilung des Landes! Denn noch eine GroKo, und wir können uns Wahlen sparen, weil es egal ist, wer zur Restabwicklung eines ehemaligen Industielandes antritt. Die GroKo-Fortsetzung zu verhindern, ist tatsächlich die einzige Heldentat der SPD in den letzten 4 Jahren. Setzt denen bitte nicht noch den Floh ins Ohr, daraus 8 zu machen!

Siegfried Ehrlich / 29.09.2017

Ich kann dem Autor in den meisten Punkten zustimmen. Aber die Aussage “vielleicht kann sich die SPD-Bundestagsfraktion doch noch aufraffen, das Landeswohl vor das Parteiwohl zu setzen” paßt für mich überhaupt nicht zur Überschrift des Artikels. Die SPD hat wenigestens erkannt, daß eine weitere Kolition unter Angela Merkel für sie politischer Sebstmord wäre. Es war schon grotesk wie Herr Lindner von der FDP unmittelbar nach der Wahl schon fast darum gebettelt hat, die SPD möge sich Koalitonsverhnadlungen nicht verschließen. Offenbar spürt und fürchter er, daß seine Partei von Angela Merkel genauso zerlegt wird, wie sie es mit jeder andern Partei auch schafft oder schaffeb würde. Die CSU ist ja ein aktuelles Beispiel. Solange diese Frau als Bundeskanzerlerin herumgeistert, wird Deutschland unregierbar bleiben!

Dr. Fritz Rosenberger / 29.09.2017

Warum eigentlich keine Koalition zwischen CDU/CSU, FDP und AfD? Es müssten nur ein paar Leute über ihren Schatten, ein paar andere über die politische Klinge springen. Die Denuntiation der AfD und ihrer Anhänger als   “Schmuddelkinder” , leider auch in obigem Aufsatz, müsste aufhören. Die CDU/CSU müsste anerkennen, dass die AfD ihr abgespaltener rechter Flügel ist. Die FDP-Fraktion müsste anerkennen, dass sie ihre politischen Ziele nur zusammen mit der AfD verwirklichen kann.  Das NerzwerkDG müsste mehr oder weniger still begraben werden. Und Frau Merkel und ihre Schranzen müssten in den politischen Ruhestand entlassen werden. Ich sehe nicht, warum eine Koalition aus CDU/CSU, FDP und AfD nicht gute und konstruktive Politik für Deutschland machen könnte.

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