Merkel und Schulz: Eine Seefahrt, die ist lustig

Der Schwur der SPD, angesichts des katastrophalen Wahlergebnisses in die Opposition zu gehen, überlebte den Ausstieg der FDP aus den Sondierungsgesprächen mit Christdemokraten und Grünen nur um 48 Stunden. Dann war selbst dem begriffsstutzigen Parteivorsitzenden Martin Schulz klargeworden, dass Neuwahlen die SPD in neue noch unbekannte Tiefen reißen würden. Der erneute Griff nach der Kanzlerschaft wäre als Wahlkampfaussage lächerlich. Das realistische Wahlziel konnte also nur eine große Koalition sein, diese aber wurde der SPD auch ohne Neuwahl auf dem Silbertablett dargeboten.

Das Neuwahlprojekt erschien vor diesem Hintergrund als frivol. In einer parlamentarischen Demokratie braucht man die Mehrheit im Parlament. Mit dem Fehlen einer solchen Mehrheit war einst die Weimarer Republik in jene Krise gerutscht, die schließlich ihr Ende einleitete. Es wäre der SPD schlecht bekommen, hätte sie mit einer mutwillig herbeigeführten Regierungsunfähigkeit gespielt. So muss sich die SPD, ob es ihr gefällt oder nicht, für weitere vier Jahre erneut dem Würgegriff einer Kanzlerin aussetzen, von der sie immer wieder links überholt wird, wenn es machtpolitisch gerade passt.

Die natürliche Alternative wäre Schwarz-Gelb gewesen. In den 68 Jahren seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland kamen schwarz-gelbe Koalitionen auf 33 Regierungsjahre. Trotz des großen FDP-Wahlerfolgs wurde diese „klassische“ und weitaus häufigste Koalition verhindert durch die ungewöhnliche Schwäche der CDU/CSU. Ihr fehlen die Stimmen aus dem rechten Spektrum, die nunmehr die AfD auf sich vereint hat.

Hat die FDP einen Inhalt?

Bei der Aussicht auf „Jamaika“ lief den Grünen erkennbar das Wasser im Munde zusammen. Die FDP dagegen hatte gelernt: Schon zweimal kostete sie der unbedachte Drang zur Macht fast die Existenz: 1961 hatte ihr damaliger Chef Erich Mende den Wahlkampf bestritten mit der Forderung, Adenauer müsse als Bundeskanzler abtreten. Am Ende fiel er um und wurde Vizekanzler unter Adenauer. Die FDP galt fortan als „Umfallerpartei“, 1969 wäre sie fast aus dem Bundestag geflogen. Bei der Wahl 2009 drängte FDP-Chef Guido Westerwelle mit solchem Eifer in das Amt des Außenministers, dass er darüber Inhalte vergaß. Die FDP schluckte den überstürzten Atomausstieg und die Zertrümmerung des Maastricht-Vertrages. 2013 fand der Wähler sie entbehrlich, sie scheiterte an der Fünf-Prozent-Klausel.

Nur mit einer Mischung aus Glück und Bravour sowie der Unbekümmertheit seiner relativen Jugend konnte Christian Lindner am 24. September das Geschick der FDP erneut wenden und sie mit 10,7 Prozent in den Bundestag führen. Diesmal, soviel war klar, musste die FDP eher aufs Regieren verzichten, als dass sie auf Inhalte verzichtete. Aber was sind ihre unverzichtbaren Inhalte?

Das kann nur der unveräußerliche und stets gefährdete Kern der liberalen Idee sein: Ein Staat, der durch einen sowohl sparsamen als auch strikten Ordnungsrahmen seine Bürger voreinander schützt und ihnen so gelebte Freiheit ermöglicht, der aber gleichzeitig durch den bewussten Verzicht auf unbedachte Eingriffe die Richtung der Gesellschaft offenhält. Der Staat soll der Regulator des Zusammenlebens freier Individuen sein, aber weder ihr Aufpasser, noch ihre oberste sinngebende Instanz.

Was ist der Kern der grünen Identität?

Der Kern des liberalen Gedankens ist schon durch seinen Abstraktionsgrad gefährdet. Der Mehrheit der Bürger bleibt er unzugänglich, das macht ihn aber nicht weniger wichtig.

Er steht in krassem Gegensatz zum Kern der grünen Identität: Diese möchten einen Staat, der die Gesellschaft auf Ziele zwangsverpflichtet, die im Kern utopisch sind. Immer geht es darum, Buße zu tun für einen falschen Lebenswandel und die Bürger (oder die Unternehmen) durch das staatliche Gängelband auf den „richtigen“ Weg zu zwingen. Stets geht es dabei entweder um den Schutz der Natur oder gleich um das Wohl der Menschheit.

Noch nie hat es einen Grünen interessiert, dass die Hauptursache für eine fortschreitende Naturzerstörung und für den Einwanderungsdruck aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten die ungebremste Bevölkerungsexplosion ist. Die 60 Millionen Kinder, die in diesen Regionen jedes Jahr neu auf die Welt kommen, werden ja wahrlich nicht von Europäern gezeugt.

Aber die industrialisierte Welt soll die Rechnung bezahlen durch irreale Ziele zur CO2-Reduktion und durch das Tolerieren von Masseneinwanderung. Das ist der aktuelle Kern des grünen Denkens, das auch weite Teil der Medien, der CDU und der SPD beherrscht. Quasi durch einen Zangenangriff wird so sowohl die industrielle als auch die kulturelle Basis Deutschlands und ganz Europas existentiell bedroht.

Hier kann striktes und strenges liberales Denken helfen:

Der Ordnungsrahmen einer freien Gesellschaft funktioniert nur mit dem kulturellen Einverständnis seiner Bürger. Die Herrschaft des Gesetzes reicht allein nicht aus. Das erfordert die Pflege und Bewahrung der kulturellen Identität, die aber ohne strikte Kontrolle der Einwanderung und die gezielte Auswahl jener, die kommen dürfen, nicht zu haben ist.

Die weltweite Reduktion der CO2-Produktion kann durch Deutschland nur marginal beeinflusst werden. Deutschland muss sich auf realistische Ziele konzentrieren, am besten durch eine entsprechende finanzielle Belastung der Emissionen, und muss dabei die weltweite Gesamtwirkung im Auge behalten.

Warum ist die CDU eine Qualle?

Die künftige Einwanderungspolitik und die Weiterentwicklung der deutschen Energiewende sind deshalb die entscheidenden Punkte, bei denen liberales und grünes Denken zusammenstoßen. Lindners Stärke lag darin, dass er dieser Kollision nicht auswich, sondern sie zum Bruchpunkt der Sondierungen machte. Angela Merkels Schwäche war, dass sie sich nicht entschiedener auf die Seite der FDP stellte, aber dann hätte sie wohl gegen ihre eigenen Überzeugungen handeln müssen. Ohne diesen Bruch, dessen historische Bedeutung man kaum überschätzen kann, wäre die FDP über kurz oder lang in Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit versunken.

Die CSU ist leider durch Seehofers Verhalten zum Hofhund der CDU geworden. Er kläfft und fletscht die Zähne, aber Frauchen hält ihn fest an der Kette. Hätte er sich losgerissen und wäre der FDP zu Hilfe gekommen, wäre es an den Grünen gewesen, die Sondierungen scheitern zu lassen.

Von der CDU war in diesem Text kaum die Rede, das hat seinen Grund. Unter Angela Merkel hat sie programmatisch aufgehört zu existieren. Ihre Programmatik gleicht einer Qualle, die in der vorherrschenden Meeresströmung gestaltlos dahintreibt und sich von externen Kräften, bzw. von Angela Merkel, kurzfristig in jede nur denkbare Form pressen lässt. Das war anders, als vor 56 Jahren Konrad Adenauer mit Erich Mende rang.

Zuerst erschienen in der Züricher Weltwoche

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Jochen Lindt / 12.12.2017

Der Niedergang der SPD ist keineswegs Naturgesetz. Siegreich wäre die SPD schon mit folgenden Programmpunkten:  “Wir nehmen nur Frauen und Kinder als Flüchtlinge auf, junge Männer können für ihr Land kämpfen”.  “Für polygame Familien mit 4 Frauen und 23 Kindern ist Deutschland nicht zuständig. Fragen sie bei den Saudis um Alimentierung nach.”  “Ohne Identifikation keine Einreise.”  “GroKo ja, aber nur ohne Merkel.”  Allein, es fehlt das Personal dafür.  Vielleicht sollten sie Schily reaktivieren.

Heiko Stadler / 12.12.2017

Eine Qualle treibt zwar orientierungslos im Meer, aber sie hat giftige Tentakel. Damit tötet sie kleine Tiere und frisst sie anschließend. Große Tiere macht sie damit wehrlos. Eine Qualle hat keinen Nutzen für die Fauna, aber sie lässt sich auch nicht ausrotten.

Edeltraud Armbruster / 12.12.2017

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn ich nicht auf Ihre Beiträge zurückgreifen könnte, würde ich aufhören, Medien zu lesen/anzusehen. Das Beispiel mit der Qualle gefällt mir ausgezeichnet. Hoffentlich lesen die in Berlin auch mal so-was. Um zu wissen, wie viele Deutsche sie ebenso sehen. Mir geht es wie dem Juden, der während des Nazi-Regimes sich in Ungarn in einer Pension versteckte. Am Morgen kam er aus seinem Zimmer, kaufte sich eine Zeitung, sah das Titelblatt kurz an und warf sie in den Papierkorb. Am nächsten Morgen kam er die Treppe herunter, holte sich am Kiosk eine Zeitung, besah kurz das Titelblatt, sie landete wieder im Abfalleimer. Am dritten Morgen standen der Hotelier und der Portier schon abwartend in der Halle, als der Jude eine Zeitung nahm, sie kurz ansah und in den Mülleimer steckte. Da fragte der Hotelier: “Wie können Sie wissen, was los ist, wenn Sie bloß die Titelseite kurz streifen?” Darauf der Jude:  “Das, was ich lesen will, steht auf der ersten Seite in riesigen Lettern.” Sie können sich sicher denken, was ich gerne auf den Titelseiten aller Zeitungen gerne lesen würde. Ich glaube, die Sektkorken würden in unserem Land, und nicht nur hier, knallen. Ja vielleicht zündet einer sogar ein riesiges Feuerwerk. Das wäre die gute Nach-richt doch wert, oder?

Berthold Bohner / 12.12.2017

Eine klare Analyse , der ich voll zustimme. Aber warum lässt sich eine breite Öffentlichkeit und die meinungsbildenden Medien auf die utopischen und gesellschaftschädigenden Ziele der Grünen ein ? Ist es zu viel verlangt , bei der Abwägung der Folgen des Handelns auch noch die Folgen der Folgen zu bedenken ?

Otto Auburger / 12.12.2017

Hervorragende Analyse, traurig aber wahr. Danke Herr Sarrazin.

Leane Kamari / 12.12.2017

Danke! Treffender kann man es nicht sagen.

Roland Stolla-Besta / 12.12.2017

Sehr geehrter Herr Sarrazin, Ihre Artikel (und Bücher) zu lesen, ist immer wieder aufbauend. Ihre sachlich-nüchterne Art sagt mir sehr zu. Dann aber auch immer wieder pointierte Abschnitte wie hier die beiden letzten Absätze über Seehofer und die CDU-Qualle - großartig und treffen!. Schade, daß es wohl außer der Züricher Weltwoche und Achgut keine Zeitung/Zeitschrift in Deutschland gibt (soweit ich weiß), die Ihre Texte veröffentlicht. Nun ja, wie wir alle von unserer Ober-Literatur-Kritikeuse wissen, sind Ihre Texte wenig hilfreich. Zumindest der „Mutti“ ist nicht mehr zu helfen. Dennoch: der Rest unseres Landes braucht Sie und Ihre kritischen Texte!

Cornelia Buchta / 12.12.2017

“Noch nie hat es einen Grünen interessiert, dass die Hauptursache für eine fortschreitende Naturzerstörung…..die ungebremste Bevölkerungsexplosion ist.”— Sustainability (Nachhaltigkeit) kann nur auf zwei Arten erreicht werden: a) durch massive Reduktion der Weltbevölkerung oder b) durch Technologien, die die traditionelle Landwirtschaft langfristig ersetzen können. Ernüchterndes Fazit: aus den Ländern, in denen der Islam herrscht, wird keinerlei Technologie kommen. Wohl aber die Möglichkeit der gewaltsamen Bevölkerungsreduktion durch Krieg und Zerstörung. Die von uns mehrheitlich gewählten Parteien haben in unserem Namen a) gewählt.—-

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thilo Sarrazin / 18.03.2024 / 06:15 / 121

Abstieg im Land der Tüftler und Denker

2010 hatte ich in „Deutschland schafft sich ab“ die Fortsetzung des Verfalls der Bildungsleistung prognostiziert. Es kam tatsächlich noch schlimmer. Vor einigen Tagen stieg ich…/ mehr

Thilo Sarrazin / 03.02.2024 / 06:15 / 102

Das Landhaus des Bösen

Nicht immer schärfere Töne gegen die AfD helfen der Demokratie, sondern mehr Erfolge bei dem Thema, das sie groß gemacht hat: Kontrolle der Grenzen und…/ mehr

Thilo Sarrazin / 08.01.2024 / 12:00 / 93

Die SPD im Panik-Modus

Mit der SPD geht es abwärts. Bundesweit liegt sie bei 14 bis 15 Prozent, in den Ost-Ländern noch tiefer, in Sachsen ist sie auf drei…/ mehr

Thilo Sarrazin / 12.12.2023 / 10:00 / 55

Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit

Das Bundesverfassungsgericht hat es der Ampel-Regierung untersagt, die nicht verbrauchten Kreditermächtigungen des Corona-Hilfsfonds auf den Fonds für Energieversorgung und Klimaschutz zu übertragen. Das kann das…/ mehr

Thilo Sarrazin / 09.11.2023 / 06:15 / 72

Die deutsche Staatsraison droht leerzulaufen

13 Jahre nach „Deutschland schafft sich ab“ übersteigt die anhaltend hohe Einwanderung aus der islamischen Welt meine Prognosen von damals bei Weitem. Die daraus erwachsenden Probleme dominieren…/ mehr

Thilo Sarrazin / 26.10.2023 / 12:00 / 102

Die Angst der CDU vor der AfD

Die deutsche Politik ist gegenwärtig weit davon entfernt, sich mit der Problematik des ungebremsten Zustroms über offene Grenzen ernsthaft auseinanderzusetzen. Schon das öffentliche Nachdenken über…/ mehr

Thilo Sarrazin / 11.07.2023 / 06:00 / 154

Migration um jeden Preis

Der Bundesrepublik fehlen Facharbeiter. Deswegen brauchen wir Zuwanderung. Dass die meisten Migranten, die in Deutschland ankommen, weder eine abgeschlossene Schul- noch eine Berufsausbildung haben, müsste…/ mehr

Thilo Sarrazin / 22.06.2023 / 10:00 / 159

Warum die AfD im Aufwind ist

Der SPD hat es offenbar nicht geholfen, dass sie sich im Sommer 2020 vom Migrations- und Islamkritiker Thilo Sarrazin getrennt hat. Er hatte immerhin ein…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com