Vera Lengsfeld / 26.02.2016 / 12:49 / 6 / Seite ausdrucken

Menetekel: Muslimischer Terror in Frankreich

Wer wissen will, was uns bevorsteht, sollte Gila Lustigers Buch „Erschütterung- Über den Terror“ in die Hand nehmen. Die Tochter des bekannten jüdischen Historikers Arno Lustiger begann nach den Attentaten des 13. November in Paris emsig zu recherchieren, aus „Erschütterung“, wie sie schreibt, um zu verstehen, was in Frankreich vorgeht.

Am 13. November vergangenen  Jahres hatte der islamistische Terror eine neue Qualität erreicht. Es wurden nicht „schuldige“ Karikaturisten angegriffen, wie ein Jahr zuvor beim Überfall auf die Redaktion von „Charly Hebdo“, oder gar Symbole des Kapitalismus, wie die Zwillingstürme von New York. Getötet wurde das normale Ausgehpublikum von Paris: Konzertbesucher, Restaurantgäste, Fußballfans.

Lustiger: „Wenn man so will, ein medialer Geniestreich, äußerst effektiv und noch dazu spottbillig.“ Während ein dreißig Sekunden langer Spott während des amerikanischen Super- Bowl 4,5 Millionen Dollar kostet, genügten den Terroristen „ein bisschen Sprengstoff, ein paar Batterien, und die Schrauben, Bolzen und Nägel, die sie sich in ihre Westen stopften , um die Opferzahl zu erhöhen“. Schon vorher hatte der Islamische Staat mit der Zerstörung antiker Kultstätten, dem Missbrauch andersgläubiger Frauen als Sexsklavinnen, den Enthauptungsvideos und öffentlichen Hinrichtungen es geschafft, in die weltweite Berichterstattung einzuziehen.

„Der IS inszeniert sein Medienbild mittlerweile so geschickt wie Coca Cola, Marlboro, Sony, Nike, Disney oder Mercedes Benz.“ Der IS, so Lustiger, verkauft damit seine „faschistoide, rückwärts gewandte Weltsicht“. Sie analysiert richtig, dass der IS“ die vollständige Umgestaltung von Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem religiösen „gottgewollten“ Regelwerk anstrebt, also einen Gottesstaat, in dem die westlichen Grundrechte keine Geltung mehr haben“, besteht aber darauf, dass dies keine religiöse, sondern eine politische Agenda sei. Dieser Schluss ist nur zu erklären, dass Lustiger den mittlerweile zum Dogma erstarrten Satz, dass der Islamismus nichts mit dem Islam zu tun hätte, als Denkvoraussetzung inkorporiert hat. Lieber spekuliert sie, ob nicht der mediale Erfolg des IS einen  Teil seiner Anziehungskraft auf Jugendliche ausmacht. Daran mag etwas Wahres sein. Es würde bedeuten, dass man mit der Berichterstattung über den IS- Terror aufhören müsste.

Vor elf Jahren gab es den IS noch nicht, trotzdem erschütterten wochenlang Jugendkrawalle die französischen Banlieus, die Vorstädte, in denen die Einwanderer nordafrikanischer und schwarzafrikanischer Herkunft leben. Damals waren Schulen, Kindergärten, Bibliotheken, Postämter, Rathäuser und Polizeistationen angegriffen worden. Es brannten nicht nur Mülltonnen, sondern auch Autos.

Lustiger: „Was sie wollten, war, sich einen Taumel zu verschaffen, der von Zerstörung  ausgeht...diese Generation protestierte nicht, wollte nichts, suchte nichts, denn sie hatte die Gewissheit, dass sich keiner für sie interessierte.“

Wirklich? Im nächsten Kapitel beschreibt Lustiger selbst den „Marshallplan für die Vororte“. Seit den siebziger Jahren wurden Sportvereine gegründet, Großwohnsiedlungen abgerissen, Bildungsprogramme für Schulabbrecher finanziert, Schreib- und Tanzwerkstätten ins Leben gerufen, Stadtfeste organisiert, Grünanlagen und Spielplätze angelegt, ein Netz von Bibliotheken errichtet, die zum Teil mit Designermöbeln ausgestattet wurden. Von mangelndem Interesse an den Mitbürgern zeugt das nicht gerade. Daneben gibt es viele Franzosen, wie die Nachhilfelehrerin von Lustigers Tochter, die regelmäßig in die Vororte fahren, um dort für die Bewohner tätig zu werden. All das hat offenbar wenig Einfluss auf die Situation. Trotz aller Bemühungen übersteigt die Jugendarbeitslosigkeit in diesen Vierteln häufig die fünfzig Prozent.

Von einer Vernachlässigung durch die Politik kann auch nicht die Rede sein. Allein 2008, so zitiert Lustiger „Le Monde“, wurden die Problemviertel des Départements Seine-Saint – Denis einhundertvierundsiebzig Mal von Ministern besucht. „Wollte man heute vom Staat gefördert werden, polemisierte der Soziologe Dominique Lorrain, so sei es vorteilhaft, jung zu sein, Migrantenkind, in einer Banlieu- Siedlung zu wohnen und von der Gewalt Gebrauch zu machen.“

Man könnte auch schlussfolgern, solche staatliche Förderung führe kaum zum Ziel, oder wäre gar das Problem, denn sie reduziert die Menschen auf Almosenempfänger. In den Nullerjahren rebellierten weniger die in Frankreich geborenen, sondern die frisch nach Frankreich eingewanderten Migrantenkinder. Die Jugendgewalt gibt es in Frankreich nun seit dreißig Jahren. Ein Phänomen ist, dass bei diesen Krawallen keinerlei Forderungen gestellt werden und dass sie bislang immer auf die Vororte beschränkt blieben. Die wohlhabenden Innenstädte blieben verschont.

Vor dem Attentat des 13. November waren die Opfer terroristischer Anschläge meist Juden. Viele davon sind bei uns schon wieder vergessen, wie der Überfall auf eine jüdische Schule im März 2012, dem drei Schüler und ein Lehrer zum Opfer fielen.  Im Jahr 2006 hatte es einen grausamen Ritualmord an einem 23-jährigen jüdischen Handyverkäufer gegeben, der von muslimischen Jugendlichen entführt, in einen Keller gesperrt und drei Wochen lang gefoltert wurde, weil die geforderten 450 000 € Lösegeld von der Familie nicht gezahlt werden konnten. Nachbarn und Bekannte des Sozialbaus kamen in den drei Wochen vorbei, um sich die Tortour anzusehen. Keiner benachrichtigte die Polizei.

Diese beiden Vorkommnisse sind nur die Spitze des Eisbergs. Seit Jahren werden orthodoxe Juden auf  Frankreichs Straßen angepöbelt, jüdische Kinder in den Vorortschulen gemobbt, jüdische Geschäfte und Einrichtungen beschmiert. Immer mehr Juden verlassen das Land, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen.

Kann Deutschland von Frankreich lernen, fragt Lustiger und gibt die Antwort, ja, das sollte es sogar. Vor allem müssten die Neuankömmlinge als Persönlichkeiten „mit ihrer ganzen Geschichte und Identität“ wahrgenommen werden und nicht als politische Manövriermasse. Sie sind weder „Invasoren“, wie die Rechten sagen, noch eine Art industrielles Ersatzheer für eine alternde Gesellschaft, wie die Linken behaupten. Es sind Menschen die mit viel Energie ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen haben. Diese Energie sollte nicht in Massenunterkünften und durch staatliche Programme lahmgelegt werden.

Vor allem, das ist meine Schlussfolgerung aus der Lektüre von Lustigers Buch, dürfen auf keinen Fall die französischen Banlieus nachgebaut werden, wie das in Berlin mit einem „Flüchtlingsdorf“ für 45 000 Menschen geplant ist. Unsere einzige Chance, französischen Verhältnissen zu entgehen ist, die Einwanderer in die Mitte der Gesellschaft zu holen und ihnen zu ermöglichen, sich zügig eigene Existenzen aufzubauen. Diese Lektion muss unsere Politik noch lernen. Lustigers Buch könnte dabei helfen.

 

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Leserpost

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Franck Royale / 26.02.2016

Letzteres setzt voraus, dass man sich die Leute aussuchen kann, die kommen und die Einwanderung sich in Grenzen hält. Bekanntlich war das in Frankreich nicht wirklich der Fall, noch schlimmer ist es jetzt in Deutschland. Es kommen Hunderttausende vor allem junge Männer, die absolut nichts können, die Europa einfach nicht gebrauchen kann. Das ist eine Lebenslüge für beide Seiten, die Katastrophe ist vorprogrammiert.

Gerd Brosowski / 26.02.2016

Es waren nicht nur die im Artikel geschilderten jahrzehntelangen Bemühungen der ganzen französischen Gesellschaft, welche auf einen Erfolg der Integration der Einwanderer hoffen ließen. Auch die Anfangsbedingungen zur Lösung der Aufgabe, die hierzulande im Slogan „Wir schaffen das“ umschrieben wird, waren in Frankreich ungleich günstiger als sie es heute bei uns sind. Die Zuwanderung setzte dort etwa Anfang der sechziger Jahre ein. Die Zuwanderer sprachen französisch; sie hatten die französische Staatsangehörigkeit oder konnten sie leicht erwerben; sie kamen aus einem geographisch eng begrenztem Gebiet, nicht aus der ganzen muslimischen Welt – die Auseinandersetzungen in unseren Aufnahmezentren geschehen durchweg zwischen Angehörigen verschiedener Volksgruppen. Überhaupt waren Aufnahmeeinrichtungen überflüssig: Die Zuwanderer konnten direkt in die damals als modern geltenden Hochhäuser einziehen. Die französische Politik war damals und sie war viele weitere Jahre lang ausgesprochen araberfreundlich. Und all diese guten Voraussetzungen und die folgenden intensiven Bemühungen haben nicht die angestrebte Integration bewirken können. Wie muss in französischen Ohren im Vorjahr der Slogan geklungen haben: „Wir schaffen das, wer denn sonst, wenn nicht wir Deutsche“ ?

Thomas Schenk / 26.02.2016

Die „Flüchtlinge“ in die Mitte der Gesellschaft zu holen, wird ein unerfüllter Wunsch bleiben. Zunächst müssten wir die Betroffenen fragen, ob Sie überhaupt dorthin wollen. Es ist zu befürchten, dass die Einwanderer eine ganz andere Vorstellung von Gesellschaft und Gemeinschaft haben als die deutsche Kernbevölkerung. Ein weiterer Aspekt scheint mir in der Diskussion völlig zu kurz gekommen zu sein: Wie sollen die Herkunftsländer je wieder auf die Beine kommen, wenn alle jungen Leute von dort fliehen, und nicht zurückkehren? Es wird nur über Integration bei uns, und nicht über die Rückkehr in die Heimatländer gesprochen. Die Politiker, die uns die „Beseitigung der Fluchtursachen“ als Lösung verkaufen wollen, glauben offenbar selber nicht daran, sonst könnten sie ja die Rückkehr der geflüchteten in die dann befriedeten Länder vorschlagen. Denn dort werden Sie dann sicher dringender gebraucht als bei uns.

Andreas Horn / 26.02.2016

Meinen Sie, Frau Lengsfeld, unsere derzeitige Politmornarchie ist lernfàhig? Haben wir mitunter nicht schon französische Verhältnisse? Haben alle sogenannten Integrationsprogramme etwas gebracht? Ja, Frau Lengsfeld, ich bin auch so, ein Buch kann begeistern, vor allem, wenn einen möglichen Ausweg aus einer komplett verfahrenen Situation zu bieten scheint. Leider muß wohl jeder seine Erfahrung selber machen, auch Länder die denken, sie haben die Weisheit mit Löffeln gefressen, natürlich Bio.

johannes fritz / 26.02.2016

Klingt vielleicht etwas pessimistisch: Vor vielen Jahren hat die Integration doch schon nicht geklappt und Parallelgesellschaften gibt es schon sehr lange. Warum sollte das ausgerechnet jetzt klappen, wo irgendwas zwischen 1,1 und 1,5 Mio neue, genauso wenig oder noch weit weniger integrierwillige Leute kommen?

Helmut Driesel / 26.02.2016

Ich hoffe, Frau Lengsfeld, Sie haben sich zu dem Thema auch vergewissert, welche Weltsicht einige derzeit um das Präsidentenamt der USA konkurrierende Kandidaten verkaufen. Sie verkaufen uns hier permanent die Illusion, die hiesigen fundamentalen Christen würden etwas besseres anzubieten haben als eine „faschistoide, rückwärts gewandte Weltsicht“. Die sich vielleicht in dem Umgangsformen, kaum aber von der geistigen Radikalität der Muslime unterscheidet. Glauben Sie ernsthaft, da bleibt etwas von der Ihrerseits so überreichlich gepriesenen Freiheit des Individuums übrig? Ich bin schon gespannt darauf, was Sie hier schreiben werden, wenn sich die diktatorisch orientierten christlich-fundamentalen Kräfte hier mit Rückenwind aus den USA gestärkt fühlen. Was da als AFD derzeit so heftig kritisiert wird, ist nur ein bescheidenes Echo von 1989. Es sind Leute, die ihr “gefühltes” lokales Selbstbestimmungsrecht übergangen sehen. (Man hat einfach übersehen, dass das nirgendwo geschrieben steht.) Aber was da auf uns zu kommt, ist eine grundsätzliche Bereitschaft, jeden Kritiker oder Atheisten in Verwahrung zu nehmen. Herr Cruz würde das “mit großer Freude” tun und er würde sich nicht einmal die Mühe machen, das Kürzel KZ zu vermeiden. Unsere heuchlerischen christlichen Zeitgenossen und Nachbarn haben sich seit 1933 nicht sehr verändert, sie wissen das nur noch nicht, es ist unter den obligatorischen Gutmenschen-Tabus verschüttet. Ich hoffe sehr, Sie, Frau Lengsfeld schaffen es, sich von den diktatorischen Paranoia-Religionen zu distanzieren. Die Staatsmacht sollte in den Händen von Leuten sein, die einen klaren Verstand haben. Das sollte in der Verfassung stehen.

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