Gastautor / 06.07.2017 / 13:00 / Foto: Tim Maxeiner / 12 / Seite ausdrucken

Urlaub neben der Erstaufnahmestelle

Von Charlotte Robotte.

Meine beste Freundin. Sie hat immer die besten Ideen. Sie weiß, was ich mag. Sie kennt mich wie keine Andere. Deswegen verlasse ich mich immer auf sie, wenn sie unseren einmal jährlichen Wanderurlaub aussucht. Dabei spielen malerische, epische Landschaften, gut ausgestattete und beschilderte Premiumwanderwege, geschmackvolle Pensionen, gutes Bier und rustikales Essen wichtige Rollen. So stellte ich es mir auch dieses Jahr vor. Abends sitzen wir beide nebeneinander im Bündchenschlafanzug im Ehebett und schauen biertrinkenderweise miteinander fern.

Dieses Jahr fiel ihre Wahl auf das beschauliche, schwäbische Örtchen Sigmaringen im Donaufelsenland. Sie schrieb per whatsapp, dass sie sich auch schon eine tolle Pension ausgeschaut hätte, der Link folgte. Das war vor einem halben Jahr. Drei Wochen vor unserer Reise schaute ich noch mal im Internet nach, wie es denn da so aussieht und was es so gibt. Google - Sigmaringen - Bilder - News. Bilder von steilen Felsformationen und glücklichen Wanderern, Bilder einer parteiübergreifenden Bürgerinitiative.

Ich recherchierte die aktuellen News: "Dieses Jahr fällt das Brauereifest der Zollerhofbrauerei wegen mangelnder Finanzen ins Wasser", "Mann aus Gambia steigt in Wohnung ein und vergewaltigt 50 jährige", "Wieder brodelt es in Sigmaringen", dazwischen das übliche vom Gesangs- und Kleintierzuchtverein. Warum brodelt es in Sigmaringen? Die Recherche ergab, dass dort im September 2015 eine von drei großen Landeserstaufnahmestellen Baden-Württembergs auf einem ehemaligen Kasernengelände entstand - gegen den Willen der Stadt. Zeitweise lebten dort 1700 Asylbewerber bei einer Einwohnerzahl von knapp 17 000 Menschen, stolze 10 Prozent also.

Mir wurde mulmig. Wir beide, Frauen um die 30, freundliche Sozialarbeiterinnen, beide nicht sehr wehrhaft, zusammen alleine im Wald? Und wenn dann einer kommt? All die Sachen, die man gerade liest? Sollte ich die Reise absagen? Wie sollte ich es meiner Freundin erklären? Sie wählt die Grünen, über Politik können wir nur schwer reden. Was denkt sie von mir, wenn ich wegen der Landeserstaufnahmestelle unseren Urlaub absage? Also gut, Zähne zusammen beißen. Stell dich nicht so an. Sei kein Fremdenfeind. Da sind auch gute Menschen dabei, Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Was Frau halt so denkt Deutschland 2017.

Saubere Vorgärten, vereinzelt Zwerge und Rehe aus Plastik

Freitag, Ankunft. Einchecken in der Pension, wir bewohnen ein altes Zollhäuschen aus dem 15. Jahrhundert. Atmosphäre, als würden die umliegenden Einwohner schon mit dem Kehrblech hinter der Haustür stehen. Saubere Vorgärten, vereinzelt Zwerge und Rehe aus Plastik, selbstgebundenes aus Heu und alten Blumentöpfen. So kennt man Deutschland. Wir besuchen gleich das Städtchen. Über der Stadt prangt das mächtige Residenzschloss der Hohenzollern. Die Stadt sauber, wie geleckt. Auffällig viele Cafés und Buchläden. An der Donau lädt ein Weg gesäumt mit Kneipp Anlagen, Spielplätzen und Parks zum flanieren ein. Idylle pur, Urlaub. Meine Sorgen verflüchtigen sich.

Den nächsten Tag verbringen wir im Landschaftspark der Hohenzollern. Am Abend ziehe ich mich zurück. Sie liest ein Buch im Garten der Pension, ich beschließe die berühmte Waffenkammer des Schlosses zu inspizieren. In der Stadt ziehen Karawanen zwischen Landeserstaufnahmestelle Lidl, Kik und Aldi umher. Sie sehen fremd aus, man erkennt sie sofort als Asylbewerber, viele Afrikaner, viele aus dem Nahen Osten. Vor dem Schlossgarten mit der bronzenen Skulptur Fürst Friedrichs des III. sitzen drei Frauen im Hidjab auf der Bank, vor ihnen die Plastiktüten. Vor dem Lidl stehen Schwarzafrikaner. Gut und modisch gekleidet, sehen sie aus wie aus einem amerikanischen Rapper Video. Sie blicken finster drein.

Die Lidlkunden huschen vorbei, blicken auf den Boden. In den umliegenden Cafés sitzen Touristen - alles Europäer. Am Abend besuchen wir das schicke Bootshaus. Während wir drinnen bei Kerzenschein in stimmungsvollem Ambiente dinieren, laufen draußen die Horden vorbei. Alle haben sie die obligatorischen Plastiktüten. Sie sind unterwegs zum Park und dem neugebauten Abenteuerspielplatz. Während die europäischen Familien alle ein bis zwei Kinder haben, haben die Familien aus Nahost fünf.

Die europäischen Kinder haben ein Eis mit Sahne in der Hand, ihre Eltern hüten sie wie Augäpfel. Ich sehe ein Kind einer sehr jungen Flüchtlings-Frau in einem schäbigen Buggie, es hat nur ein Toastbrot mit Nutella. Das andere, etwa dreijährige Mädchen balanciert ohne Aufsicht erschreckend nahe an der Donau. Auf der anderen Seite des Flusses sitzt schon seit zwei Stunden ein Schwarzafrikaner auf einem Fels. Er blickt den Leuten hinterher. Er wirkt verloren.

Keinen scheinen die Gegensätze zu beschäftigen

Es macht mich traurig. Was ist mit den Leuten in diesem Land los? Keinen scheinen diese Gegensätze zu beschäftigen. Mir fällt ein, warum ich nicht in Indien oder Afrika Urlaub machen möchte - weil ich es nicht ertrage, dass ich konsumiere und aus dem Fenster sehe, wie andere krepieren und Hunger leiden. Dieses Bild birgt Konfliktstoff. Ich fühle mich wie auf einem Pulverfass, dass jederzeit hoch gehen kann. Wenn eine Bevölkerungsgruppe alles hat - Geld, Bildung, Kontakte, Macht und die andere, größere beziehungsweise immer größer werdende nichts, was passierte dann zwangsläufig immer in der Geschichte? Die Antwort kennt der gebildete Leser selbst.

Zu meiner Freundin sage ich nichts dergleichen. Sie gehört zum Schlag Mensch, die lieber wegschaut, als sich die Stimmung mit tiefen, melancholischen Gedanken versauen zu lassen. Auf dem Heimweg halten wir uns die vollen Bäuche. Und es kommt, wie es kommen musste. Vor uns auf dem Gehweg eine uns entgegen laufende fünfzehn Mann starke Truppe Schwarzafrikaner. Was tun? Weiterlaufen und politisch korrekt sein? Ich folge wie ein Tier meinen Instinkten, wechsele einfach die Straßenseite.

Meine Freundin ruft verzweifelt "Hey, was macht du denn da? Spinnst du?", während sie hinter mir her hechelt. Ich nur "Ne, ich mach das nicht, das ist mir zu gefährlich". Sie beim über die Straße laufen "das merken die doch" - ich "das ist mir egal". Auf der anderen Straßenseite angekommen schweigen wir erst einmal schmerzhafte fünf Minuten. Die Gruppe der Asylbewerber läuft Richtung Erstaufnahmestelle. Nichts ist passiert. In meinem Kopf aber sehr viel. Ich könnte heulen. Schließlich ergreife ich das Wort: "Ich weiß, dass du das Scheiße von mir fandest. Irgendwo war es ja wirklich "racial profiling". Aber wenn auch nur 10 Prozent Gefahr besteht, möchte ich es nicht riskieren". Sie sagt: "ich will so nicht leben, dass ich davon ausgehen muss, dass andere mir etwas tun". Ich kann sie verstehen. Aber es ist zu spät.

Charlotte Robotte ist 36 Jahre alt und hat in Freiburg Soziologie und Geschichte sowie in Berlin Soziale Arbeit studiert. Sie arbeitet heute als Sozialarbeiterin in der Behindertenhilfe und als Berufsschullehrerin.

Foto: Tim Maxeiner

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Hubert Manter-Koller / 06.07.2017

“„ich will so nicht leben, dass ich davon ausgehen muss, dass andere mir etwas tun“” im Grunde gibt es kaum eine naivere Aussage. Die Welt ist kein Ort voll sich gegenseitig liebhabender Engel. Eine Sozialarbeiterperson sollte das eigentlich verstanden haben, sie beschäftigt sich ja nicht selten mit Problemen, die genau aus dieser Tatsache entspringen.  Im Übrigen wird die soziale Kontrolle auch immer krasser: man darf in Gegenwart der besten Freundin nicht einmal ungestraft die Strassenseite wechseln, schon damit macht man sich heute mehr als verdächtig. Soweit sind wir inzwischen in unserem “alle Menschen müssen als liebe Wesen betrachtet werden”-Moralismus. Vergiftete Freundschaften. Naja, dafür wird wenigstens unsere Rente gerettet und wir tun etwas so gutes, um das die ganze Welt uns beneidet und wofür wir sicherlich irgendwann einmal ganz großen Dank von wem auch immer bekommen werden. PS: auch ein Frevel: zu bemerken, wieviele Kinder die Einwanderer haben. Wenn es diesen Kindern nicht gut geht, dann ist daran natürlich der Staat schuld und nicht etwa Eltern, die mehr Nachwuchs hervorbringen, als sie versorgen können. Eine der Grundregeln in der jetzigen Migrationsmoral ist, dass die ganzen Eingewanderten keine Eigenverantwortung haben, während wir hier Lebenden für alles, wirklich alles, was in deren Ländern nicht läuft, 100% verantwortlich sind. Ohne uns würde Afrika in Prosperität und Saus und Braus leben, ebenso wie der Nahe Osten. Wer das vergisst, verlässt das Opfernarrativ dieser Leute (Opfer sind niemals schuldig!) und wird damit zum Täter.

Jan Trammer / 06.07.2017

Ihr Artikel macht mich traurig und ich möchte Ihnen die Angst nehmen, kann es aber nicht. Ich wechsle nicht die Straße, habe aber seit 2016 immer einen Schlagring am Mann, wohl wissend, dass ich mich damit strafbar mache. Immer wenn mir größere Ansammlung (also quasi immer) “Geschenkter” entgegen kommen, findet meine Hand automatisch den Ring und macht mich noch lange nach passieren der Gruppe wachsam.

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