Alexander Wendt / 11.05.2016 / 10:02 / 3 / Seite ausdrucken

Medienfigur und Ich-AG: Die Klage ist der Gruß des Mazyek

Wie konnte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek, 47, zur islamischen Medienfigur schlechthin in Deutschland werden? Sein Verband ist der kleinste und unwichtigste unter den Islamverbänden. Trotzdem besitzt der Mann inzwischen eine Omnipräsenz in Print und Funk. Wie das? Durch Dauerbeschwerde. Die Klage ist nicht nur der Gruß des Kaufmanns, sondern auch des Mazyek. Er dient als perfektes Rollenmodell für die Medientheorie, dass nicht Reflektion Aufmerksamkeit verschafft, sondern die anklagende Dauerschleife. In einem Interview im neuen Spiegel demonstriert der Zentralratschef schüchternen Adepten, wie das Zugewinngeschäft einer mitleiderregenden Ich-AG funktioniert.  

Die Interviewerin von Spiegel fragt ihn vorsichtig wie eine Therapeutin: „Nach den Übergriffen von Köln schilderten Sie eine neue Beklommenheit unter den Muslimen in Deutschland – wirkt das Ereignis noch nach?“ Beklommenheit unter den Muslimen – schon diese Formulierung bietet die schönsten Einstiegsmöglichkeiten. Ein unvoreingenommener  und unwissender Leser würde darauf tippen, dass ein Mob Biodeutscher in Köln Muslime bestohlen und Muslimas  belästigt haben musste, worauf viele auch heute noch öffentliche Verkehrsmittel nach 22 Uhr meiden.  Er würde allerdings von Mazyeks Antwort schwer irritiert, wer nun eigentlich am Kölner Hauptbahnhof geschädigt wurde:

„Die Hysterie ist abgeklungen, aber die Silvesternacht hat bleibende Spuren hinterlassen, etwa die Vorurteile gegen den arabischen Mann verstärkt.“ Spuren haben also nicht die bestohlenen, beraubten, belästigten und vergewaltigten Frauen davongetragen, sondern der arabische Mann, das typische Opfer unserer Zeit. Denn gegen ihn regiert das Vorurteil.

Der arabische Mann ist das Hauptopfer von Köln

Nach einer Statistik der bayerischen Polizei entfielen 2015 zehn Prozent der Sexualstraftaten im Freistaat auf Asylsuchende, eine Gruppe, die nur 2,9 Prozent an der Bevölkerung des Landes ausmacht. Die überwiegend arabischen, überwiegend männlichen Migranten sind also mehr als dreifach überrepräsentiert. Über die Gründe ließe sich eine Debatte führen, so, wie es der Politologe Bassam Tibi vor kurzem versuchte. Nicht so unser Freund.  Köln war nach seiner Deutung nicht nur das Trauma des arabischen Mannes, der heute noch an den Spuren leidet. Die Muslime in Deutschland sieht er auch auch Wiedergänger der deutschen Juden unter der NS-Herrschaft oder kurz davor, denn Mazyek weiß über die neue NSDAP, die sich als AfD tarnt, folgendes zu berichten:

„Diese Partei schickt sich an, eine ganze Religionsgemeinschaft in ihrem Glauben einzuschränken, und bezeichnet sie als Fremdkörper. Wir wollen keine Minarette, keine Imame, sagen sie, das erinnert an 1933. Das ist eine Machart, die schlimmste Zeiten wachruft.“

Nun weiß man zwar nicht, wo die AfD sich gegen Imame ausgesprochen hätte und wie eine Machart Zeiten wachrufen kann, aber versteht das Wesentliche: Die oberste Hierarchiestufe im Opferdiskurs gebührt den Muslimen und damit ihm, dem Vorsitzenden des Zentralopferrates von Deutschland. Mazyeks Sätze sollte man besser nur in einen linearen Zusammenhang bringen, nicht in einen logischen, denn sonst müsste es nach seiner Machart auch heißen: Die Pogromnacht vom 9. November 1938 hat die Vorurteile gegen den arischen Mann verstärkt.

Die oberste Hierarchiestufe im Opferdiskurs gebührt den Muslimen

Wie sieht Aiman Mazyek sich eigentlich ganz persönlich? Auch über seine TV-Präsenz spricht, nein , klagt er in dem Spiegel-Gespräch: „Ich habe mehr Einladungen ab- als zugesagt. Trotzdem bekomme ich wegen meiner Medienpräsenz manchmal den Hinweis: heb bloß nicht ab. Man kann beim Thema Islam gar nicht abheben, da kriegt man immer eins auf die Mütze.“

Mazyek ist nicht nur die Inkarnation des in Köln traumatisierten arabischen Mannes, er ist nicht nur der neue Jude, sondern auch der Wiedergänger Christi, der sich auf einen Kalvarienberg aus Talkshowsofas schleppen muss. Der Menschheit ganzer Jammer fasst einen an, wenn man ihn sieht, hört oder auch nur von ihm liest.

Von Alexander Wendt erschien zuletzt „Du Miststück. Meine Depression und ich“ (S.Fischer). Blog des Autors: www.alexander-wendt.com

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Leserpost

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Andreas Rochow / 11.05.2016

Einfach herrlich, Herr Wendt, wie Sie einen Missstand auf den Punkt bringen. Was die Personalie Mazyek angeht, stößt mir besonders unangenehm auf, dass er als Vertreter einer handvoll von Muslimen immer wieder unwidersprochen in den ör. Sendeanstalten fordern kann, wie “wir Deutschen” uns zu verhalten haben. Außerdem klagt er stereotyp über den nach seinem Urteil nicht gerechtfertigten “Generalverdacht” der Deutschen, der islamistische Terror habe etwas mit dem Islam zu tun. Dass er damit wenig bewirkt hat, hat wohl nichts mit seiner legendären Humorlosikeit zu tun. Die Meinung der Dsurschen hat er jedenfalls entgegen intensivster Medien- und Politikbemühungen (Reihenfolge beliebig) nicht in seine Wunschrichtung beeinflussen können.

Gertraude Wenz / 11.05.2016

Ich will hier niemanden in Schutz nehmen, aber müsste man bei der erwähnten Statistik der bayerischen Polizei nicht auch berücksichtigen, dass man nicht unbedingt eine gemischte Bevölkerungsgruppe, zu der auch Kinder Frauen und sehr alte Menschen gehören, mit einer Asylantengruppe, die aus überwiegend männlichen und zudem jungen Migranten besteht, miteinander vergleichen kann? Es wäre ja aufgrund ihrer prozentualen männlichen Überpräsentation nur natürlich, wenn sie in Sachen Sexualstraftaten auch überrepräsentiert sind. Man müsste sie vergleichen mit einer entsprechenden Gruppe der einheimischen Bevölkerung.

Ralf Pöhling / 11.05.2016

Mazyek begeht hier, wie andere Muslime in letzter Zeit auch, einen schwerwiegenden Fehler, indem er sich dem klassisch linken Standpunkt “Schuld sind immer die anderen oder gleich die ganze Gesellschaft” bedient und sich schützend vor die Täter von Köln stellt, nur weil sie Muslime sind. Er setzt damit selbst die hier gut integrierten, gesetzestreuen Muslime und die vor kurzem eingewanderten nicht integrierten Rechtsbrecher auf eine Stufe. Wenn also ein bekannter Vertreter einer Religionsgemeinschaft asoziales Verhalten von ihm faktisch fremden Menschen relativiert nur weil sie irgendwie unter das Label “Islam” passen, schert er damit die gesamte Gruppe über einen Kamm. Auch bei Muslimen färbt das Lokalkolorit des jeweiligen Herkunftslandes bisweilen massiv auf die Art und Intensität der Religionsausübung ab: Araber, Türken, Nordafrikaner, Indonesier, etc. sind nicht alle gleich, nur weil sie alle Muslime sind. Im Gegenteil: in einigen Teilen der islamischen Welt, wäre das Verhalten der Täter von Köln mit extremer Härte geahndet worden. Der sich seit einigen Jahrzehnten auf dem Vormarsch befindliche, die islamische Welt vereinen wollende Ultrakonservativismus stellt sich hier gerade selbst ein Bein. Während vor 20 Jahren noch kein Mensch auf die Idee gekommen wäre, einen Türken, einen Araber und einen Nordafrikaner in den gleichen Topf zu werfen, so wird dies wegen dem, von den Muslimen selbst(!) übergestülpten Label “Islam” mehr und mehr gängige Praxis. Erdogan & co. sei Dank.

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