Henryk M. Broder / 31.05.2008 / 10:49 / 0 / Seite ausdrucken

MdB Edathy und die Kunst der Frage

Kennen Sie den? Eine Gruppe amerikanischer Touristen besichtigt die Moskauer Metro. Der Guide erklärt, die U-Bahn sei ein Meisterwerk, die größte, beste und sicherste U-Bahn der Welt, die Luft in den Bahnhöfen besser als in jedem Kurort in den Alpen, und anders als im Westen könne man in der Moskauer Metro zu jeder Zeit unterwegs sein, ohne von Bettlern und anderen asozialen Elementen belästigt zu werden. Dann sagt der Guide: “Haben Sie noch Fragen? Gibt es etwas, das Sie wissen möchten?” Einer der US-Touristen hebt die Hand. “Alles schön und gut. Aber warum ist seit einer halben Stunde kein Zug vorbeigefahren?” Darauf der Guide: “Und warum werden in Amerika die Neger diskriminiert?”

Diese hübsche Geschichte fiel mir ein, als ich einen Brief von dem SPD-MdB Sebastian Edathy bekam. Der Reihe nach:

Bei SPIEGEL online erschien eine Geschichte meines Kollegen Yassin Musharbash, in der es um eine Anzeige der “Jewish Task Force” auf der Website von PI ging. Man kann über PI sehr geteilter Meinung sein, vieles spricht dafür, dass es sich um eine Internet-Sekte handelt, die extrem monothematisch ausgerichtet ist. Aber davon gibt es im Internet die Hülle und die Fülle, vom sog. Palästina-Portal eines westfälischen Frührentners, der es sich vorgenommen hat, den Nahostkonflikt zu lösen, bis zum BILD-Blog, der von Leuten gemacht wird, die ein “kritisches” Alibi brauchen, um täglich BILD mit gutem Gewissen lesen zu können. So etwa funktioniert auch PI, wo der Orientalist H.P. Raddatz sich auch schon mal selbst interviewen durfte, damit die Antworten optimal auf die Fragen abgestimmt wurden.

Davon abgesehen, war es sicher keine gute Idee, sich mit einer obskuren Gruppe wie der JTF einzulassen. Es gibt Leute, um die macht man einen Bogen, auch wenn sie zufällig wie man selbst der Meinung sind, dass die Sonne im Osten auf- und im Westen untergeht.

PI hat also eine Anzeige von JTF geschaltet, und darüber schrieb Yassin Musharbash eine Geschichte für SPIEGEL.de, in der er den SPD-MdB Sebastian Edathy zitierte, der das Bundesamt für Verfassungsschutz auf die Umtriebe von PI aufmerksam machen wollte. Auch dagegen gibt es - im Prinzip - nichts einzuwenden.

Und so ging die Geschichte weiter:

sehr geehrter herr edathy,
spiegel online entnehme ich, dass sie dem verfassungsschutz empfehlen wollen, die website “politically incorrect” zu beobachten - wegen der dort verbreiteten “islamophobie”. mich würde es in diesem zusammenhang interessieren, ob sie den verfassungsschutz auch darum gebeten haben, websites wie z.b. “muslimmarkt.de” (http://www.muslim-markt.de/) zu beobachten, weil dort antisemitische propaganda betrieben wird. über eine antwort würde ich mich sehr freuen.
dank und gruss
b.

Sehr geehrter Herr Broder,
ich bedanke mich für Ihre Zuschrift.

Darf ich Ihre Email so verstehen, dass Sie die Seite http://www.pi-news.net als
unproblematisch erachten bzw. den dort vertretenen Positionen, die
durchweg im Mantel der Islamkritik ein im Kern anti-demokratisches
Denken spiegeln, zuneigen?

Wenn dem so ist, leite ich Ihre Email und diese Antwort gerne an die
Mitglieder des Innenausschusses des Deutschen Bundestages weiter -
gerade mit Blick auf die öffentliche Ausschuss-Anhörung am 16.06.2008
zum Thema Antisemitismus.

Mit freundlichen Grüßen

Sebastian Edathy, Berlin, 30.05.2008
Mitglied des Deutschen Bundestages
Vorsitzender des Innenausschusses
Abgeordneter für den Wahlkreis Nienburg-Schaumburg

sehr geehrter herr edathy,
die nummer, auf eine frage mit einer anderen frage zu reagieren, um der antwort auf die gestellte frage aus dem weg zu gehe, kenne ich, ich bin damit aufgewachsen. alles, was ich sie gefragt habe, war, ob sie den verfassungsschutz auch schon auf das treiben von websites wie z.b. muslim-markt aufmerksam gemacht haben. ihre initiative zu PI habe ich weder bewertet noch kommentiert. was sie aus meiner anfrage herauslesen, sind projektionen, die nicht von mir ausgehen.
sie dürfen meine anfrage gerne an die mitglieder des innenausschusses weiter leiten. ich werde mir im gegenzug die freiheit nehmen, ihre nicht-antwort auf meine anfrage bei der ausschuss-anhörung am 16.6. den mitgliedern des ausschusses zu präsentieren, als illustration für den extrem sensiblen umgang mit antisemitischen randerscheinungen.
im übrigen möchte ich sie in aller demut darauf aufmerksam machen, dass ich - der steuerzahler - ihr arbeitgeber bin. dass ich mit meinen zahlungen ihre arbeit und ihren lebensunterhalt mitfinanziere und dass ich deswegen, wie von jedem angestellten, erwarte, dass sie ihre arbeit machen und sich nicht in rabulistik üben. und etwas mehr höflichkeit erwarte ich auch.
mit besten grüßen und allen guten wünschen für ein sonniges wochenende
ihr b.

Sehr geehrter Herr Broder,
ich bedanke mich für Ihre neuerliche Email.

Ich möchte diese nicht kommentieren, erlaube mir aber die Anmerkung, dass meines Wissens die Internetseite http://www.muslim-markt.de vom Verfassungsschutz ausgewertet wird. Bezüglich der Seite http://www.pi-news.net bin ich mir diesbezüglich nicht sicher. Das ist der Hintergrund für mein Schreiben an den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, Berlin, 31.05.2008

(Auszug aus wikipedia: “Das Webportal und seine Betreiber werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Im 2005 veröffentlichten Verfassungsschutzbericht wird den Betreibern des Muslim-Markts vorgeworfen, „seit längerer Zeit“ antizionistische und antiisraelische Propaganda direkt oder indirekt zu verbreiten.”)

Sebastian Edathy
Mitglied des Deutschen Bundestages
Vorsitzender des Innenausschusses
Abgeordneter für den Wahlkreis Nienburg-Schaumburg

sehr geehrter herr edathy,
ich bin zutiefst beruhigt, dass der vorsitzende des innenausschusses des bundestages sich über die aktivitäten des verfassungsschutzes aus wikipedia informiert.
mit besten grüßen
b.

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