Wolfgang Röhl / 14.11.2015 / 22:04 / 4 / Seite ausdrucken

Mayntz bleibt doch nicht Mayntz

Wie bekannt, hat der Schriftsteller Akif Pirincci auf einer Pegida-Veranstaltung in Dresden eine unflätige Rede gehalten. Dafür bekam er publizistische Prügel ohne Ende. Was in Ordnung gegangen wäre, hätten ihm viele Medien nicht auch noch unterstellt (oder, wie die „Tagesschau“, es insinuiert), er habe bedauert, dass zur Lösung der Flüchtlingskrise die KZs „ja leider derzeit außer Betrieb“ seien. Das nun ging durchaus nicht in Ordnung. Denn Pirincci hatte die dumpfe Nazi-Keule genau andersherum geschwungen. Ins KZ, so war es dem Kontext seiner Rede unschwer zu entnehmen, wünschten laut P. gewisse Leute die Kritiker der Asylpolitik. Tatsächlich hatte ein CDU-Politiker Bürgern, die sich auf einer Veranstaltung kritisch zum Flüchtlingsstrom äußerten, ernstlich die Auswanderung empfohlen.

Auch korrekt gelesen und verstanden, war die KZ-Stelle selbstredend reiner Stuss. Nein, Willkommenskulturschaffende wollen Asylkritiker keineswegs in Lager sperren oder gar physisch vernichten. Es genügt ihnen vollauf, Zitat, „auf eine konsequente Einschüchterung des ‚Packs’ durch eine konsequente Kriminalisierung (zu) setzen, eine Strategie, die zumindest die AfD und die Pegida von ihren autoritären Mitläufermassen trennen würde“. So der Mainzer Politikwissenschaftler Gerd Mielke in einem Interview mit dem SWR.

Sein Rezept: „Wenn sich die Mengen von rechtsaffinen Kleinbürgern in Dresden in einem dreistündigen Polizeikessel erst alle mal in die Hosen gepinkelt und abschließend mit Wasserwerfern traktiert wurden, dann haben sie für eine geraume Weile genug vom Demonstrieren.“

Also, nix mit vernichten und so. Rundum etwas einnässen lassen, das ist schon alles. Mielkes Vorschlag gefiel dem Interviewer Thomas Leif offenbar so gut, dass der Chefreporter des SWR es vor Begeisterung unterließ, wenigstens pro forma eine journalistische Bedenkenträgerfrage hinterherzuschieben. Zum Beispiel, ob nach Meinung von Mielke denn auch der berüchtigte „Hamburger Kessel“ (800 Kernkraftgegner wurden 1986 von der Polizei bis zu zwölf Stunden umzingelt gehalten) eine angemessene Art der politischen Umerziehung gewesen war.

Pirinccis Geblöke hatte ein Nachspiel. Für ihn sowieso, und er hat es sich größtenteils selber verdient. Den Hund, der noch einen Knochen von ihm nimmt, muss man lange suchen. Pirincci ist für den Literaturbetrieb gestorben. Selbst seine Katzenkrimis werden vom Handel inzwischen weithin boykottiert, als seien sie Fortsetzungen von „Mein Kampf“.

Es gab aber noch weitere Nachspiele. Pirincci nahm sich nämlich einen Anwalt, der ratzfatz eine ganze Reihe von Medien abmahnte, die Pirinccis KZ-Passage aus Dummheit oder aus Vorsatz falsch interpretiert hatten. Der Anwalt in einem Interview:

Stern.de: “Sie haben bereits Unterlassungserklärungen, Widerrufe und Entschuldigungen erwirkt. Hätten Sie im Vorfeld mit einem so schnellen Einlenken der Medien gerechnet?”

RA Joachim Nikolaus Steinhöfel: “Die große Mehrzahl der Medien hat eingelenkt. Öffentlich-rechtliche Anstalten haben sich öffentlich entschuldigt oder Unterlassungserklärungen abgegeben. Eine große deutsche Tageszeitung hat einen halbseitigen Artikel veröffentlicht, in dem die Phalanx der Fehlleistungen aufgelistet und beklagt wurde, ‚dass es die Mehrheit der großen deutschen Medien nicht schafft, eine entscheidende, leicht überprüfbare Tatsache richtig wiederzugeben’. Nein, vor einem solchen Hintergrund wundert mich das flächendeckende Einknicken nicht.”

Wie aber sah das „Einknicken“ in der Realität aus? Manche Medien verfuhren dabei sehr kreativ. Nehmen wir den Fall „Rheinische Post“. Noch Tage, nachdem die Presse gemeldet hatte, dass Pirincci erfolgreich gegen die Falschberichterstattung von Medien vorgegangen war, war auf der Website der RP der Brachialvorwurf zu finden, es handle sich bei seinem Redetext um einen „Aufruf zum Völkermord in dieser Woche.“

Von Pirinccis Anwalt zu einer Unterlassungserklärung genötigt, gab die Rechtsabteilung der Mediengruppe Rheinische Post in einem Schreiben nach allerlei Geschwafel die Erklärung ab, „es (...) zukünftig zu unterlassen zu behaupten und/oder zu verbreiten

die Äußerung des Gläubigers: ‚Die Konzentrationslager seien leider derzeit außer Betrieb’ auf den Umgang mit Flüchtlingen zu beziehen und damit als Aufruf zum Völkermord zu verstehen (...).“

Eindeutiger Knick also, wenn auch erst nach robuster Rechtsbelehrung. Und was erfuhren aufmerksame RP-Leser von der Historie der erstaunlichen Abschwächung, die das Pirincci-Bashing in der online-Ausgabe der RP erfahren hatten? Einzig und allein dies:

„Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels konnte der Eindruck entstehen, Pirincci wolle zum Völkermord aufrufen. Dies hat Pirincci nicht gesagt. Wir haben die entsprechende Passage geändert.“

Der wörtlich und unzweideutig erhobene Vorwurf der RP, Pirincci habe „zum Völkermord in dieser Woche“ aufgerufen, wurde da zu einem „Eindruck“ verniedlicht, der „entstehen konnte“. Der Schwanz am Schluss des geänderten RP-Artikels liest sich beinahe so, als sei der RP-Redaktion selber aufgegangen, welchen Mist sie gebaut hatte. Worauf sie sich, total qualitätspressemäßig wie ihr rheinisches Käseblatt nun mal ist, umgehend korrigierte. Natürlich gab es kein Wort der Entschuldigung.

Autor des zwangsgeänderten Artikels ist ein Gregor Mayntz. Der Mann ist „Politikredakteur der Parlamentsredaktion“ der Rheinischen Post, seit 2011 auch Vorsitzender der Bundespressekonferenz. Das ist ein privater Verein, der in Berlin residiert. Seine mehr als 900 (!) Mitglieder, die überwiegend als „Hauptstadtkorrespondenten“ firmieren, kommen sich ungemein wichtig vor, weil mehrmals pro Woche die Pressesprecher von Regierung und Ministerien in der BPK aufscheinen und ihre Verlautbarungen vorlesen.

Investigativjournalisten, die Relevantes recherchieren und das exklusiv veröffentlichen möchten, sieht man so gut wie nie in diesem Klüngelhaufen, der die heiß ersehnte Nähe zur Macht für drittklassige Polit-Journos simuliert. Letztere haben in der BPK Gelegenheit, mit der einen oder anderen kecken (aber bitte nicht unbotmäßig harten!) Frage auf sich aufmerksam machen. Und sich somit schon mal für die vielen gutdotierten Pressesprecher-Posten zu empfehlen, die Bundes- und Landesinstitutionen zu vergeben haben.

Vom wackeligen Posten in einem notleitenden Holzmedium oder aus der Existenz als Zeilenschrubber für Online-Portale an die sicheren Futtertröge staatlicher PR-Stellen umzusteigen, das ist der Karrieretraum nicht weniger Berliner Journalisten. Und er wird immer wieder wahr! Auch der oberste Regierungspfeifer Steffen Seibert ist, wie viele andere Journalisten vor ihm, diesen Weg gegangen. Seibert wechselte vom Staatssender ZDF in den noch lukrativeren Dienst als Staatssekretär.

Das war natürlich ein Paradefall beruflicher Mobilität. Für manche von Seiberts Ex-Kollegen, die sich in Berlin als journalistische Tagelöhner mit Zweitjobs im Taxi- oder Szenekneipenmilieu über Wasser halten, verströmt schon der Job als Öffentlichkeitsreferent im Sozialministerium von Sachsen-Anhalt einigen Glamour.

Wer aus konkreter Anschauung weiß, in welch prekären Verhältnissen ungezählte Vertreter der so genannten Vierten Gewalt leben, den erstaunt nicht sonderlich, wie lausig sie recherchieren und schreiben. Auch nicht, dass sie sich bei denen, die ihnen beruflich irgendwann vielleicht weiterhelfen könnten, vorbeugend gern mal anfiezen. Und was eignet sich dafür besser als der mutige Kampf gegen „rechts“?

Insofern ist der Fall der Pirincci-Rede für eine Erkenntnis gut. Ja,  Schaum-vorm-Mund-Geheul klingt schauerlich. Ebenso das, was Gesinnungsschreiber daraus manchmal so stricken.

 

 

 

 

 

 

 

 

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Leserpost

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Harald Sichert / 16.11.2015

Ich denke auch diese Rede in der Form zu halten war dusselig und ungeschickt. Denn wie man sieht haben die Politiker und Medien nur darauf gewartet dass sie zurückschlagen können. Die Gender Fraktion hat wohl schon ein paar Flaschen Sekt geköpft. Ich hoffe aber, dass er uns als Schriftsteller in seiner unverwechselbaren Art erhalten bleibt.

johannes fritz / 15.11.2015

Reading comprehension.. wird wohl nicht zu Unrecht bemängelt bei den deutschen Schülerlein.

Roberto Urban / 15.11.2015

Herr Röhl mit dieser Satz stimmt so allgemein nicht: “Nein, Willkommenskulturschaffende wollen Asylkritiker keineswegs in Lager sperren oder gar physisch vernichten.” Es gibt jede Menge Facebooks-Posts von Grünen, Linken usw. die vor Vernichtungsphantasien gegenüber Pegida-Anhängern o.ä. nur so stotzten. Ich habe einige gesehn. Da wird hemmungslos gehetzt und entmenschlicht. Also soweit hergeholt war die Aussage von Pirincci nicht. Klar deutlich übertrieben aber z. H.M. Broder ist ja auch ein Freund der derben Polemik. Also für mich war die Rede natürlich drastisch aber an der Stelle so falsch dann auch wieder nicht.

Albert Fonter / 14.11.2015

Heißt es nicht Mäinz bleibt Mäinz? Aber ich weesset nich genau.

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