Marl Karx - und wie ich ihn nicht studierte

Wer in den 1970er Jahren an einer deutschen Universität Philosophie studieren wollte, musste sich zwischen zwei Sphären entscheiden: die eine war tagtäglich vor der Mensa anzutreffen in Gestalt von akademischen Wutbürgern, die mit Megaphonen und Büchertischen die Revolution propagierten. Nicht alle waren Studenten, aber alle pflegten einen studentischen Habitus, der sich in Kleidung, Haartracht und Redeweise äußerte. Sie beriefen sich auf einen Philosophen, der seinen Kollegen vorgeworfen hatte, daß sie die Welt nur erklären wollten, während es doch darauf ankomme, sie zu verändern.

Die andere Sphäre bestand aus den Büchern eben jener Welterklärer, die in den Augen von Karl Marx offenbar kläglich versagt, jedenfalls nur halbe Sachen gemacht hatten – Leute wie Platon und Aristoteles, Hobbes und Locke, Descartes und Spinoza, Leibniz, Kant und Hegel. Daß Marx sie in Bausch und Bogen abgewertet hatte, fand ich doof. Ich wollte schließlich Philosophie studieren und mir die größten Geister dieses Fachs nicht madig machen lassen.

Es gab also schon zwei Probleme mit dem Mann: erstens seine Ansichten und zweitens seine Anhänger. Letztere fielen zwar in Seminaren und Vorlesungen durch lautstarke Ablehnung von Disziplin und Ordnung auf, wenn es aber darum ging, die heiligen Schriften ihres verehrten Karl Marx zu studieren, pflegten sie einen geradezu paramilitärischen Drill. Der Marxismus musste offenbar erdient werden, und allein deswegen kam er für mich nicht in Frage.

Der erste einsilbige Philosoph

Das dritte Problem war der Name. Marx war der erste einsilbige Philosoph, der mir begegnete, später kamen Ernst Bloch und John Rawls hinzu, und zwar einsilbig im Vor- und Nachnamen, sonst hätte ich natürlich Kant erwähnen müssen. Aber Immanuel ist Karl an Länge deutlich überlegen. Damals kam es mir so vor, als sei der doppelte Einsilber mit jeweils vier Buchstaben und immer ‚ar‘ in der Mitte ein raffiniert ausgedachtes Pseudonym. Und jemandem, der solche Tricks benutzt, begegne ich mit Misstrauen.

Hinzu kommt, als vierter Punkt, dass „Das Kapital“ ein geradezu gewaltsamer Titel ist: einschüchternd erschöpfend, als sei der Gegenstand damit zum ersten und letzten Mal behandelt worden. Kein Philosoph seit Platon mit seinem „Staat“, jedenfalls kein Philosoph der Neuzeit hat solche Endgültigkeits-Arroganz in einen Werktitel gelegt; alle anderen haben sich mit Genetiv-Verhältnissen, mit Aufzählungen oder noch viel komplizierteren Formulierungen herumgeplagt.

Was mich, Grund Nummer fünf, bei Marx am meisten abschreckte, war allerdings die Tatsache, dass er so modisch war. Ganz unmodisch war Nietzsche damals, und gerade der wurde mein Idol. Trotzdem ist so etwas wie Nietzscheismus unvorstellbar. Glücklicherweise.

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Leserpost

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WOLF-D. SCHLEUNING / 07.05.2018

Einen Nietzscheismus gibt es in der Tat nicht, sehr wohl aber Nietzschaner: Man denke nur an Richard Wagner, Wilhelm Busch, Karl Jaspers, Karl Löwith und den großen Stanley Kubrick. Bei Aufenthalten in Sils Maria war ich öfters im Nietzsche Haus und habe mich mit Besuchern unterhalten, vor allem mit jungen Französinnen, die lieben ja ihren Nitch! Den Felsen mit dem Gedicht aus dem Zarathustra habe ich oft besucht und nie verstanden. Der Schaden den Nietzsche angerichtet hat ist zwar gering im Vergleich zu Marx aber doch nicht zu vernachlässigen, durch seinen Einfluss auf Vordenker des Faschismus wie Gabriele d’Annunzio und Oswald Spengler.

Karla Kuhn / 07.05.2018

Herr Schild, genau so ist es !!  Alexander Solschenizyn mußte das Unrecht es leider am eigenen Leibe erfahren.

Helmut Driesel / 07.05.2018

Es gibt offenbar viele Leute, die sich besser fühlen, wenn sie ihren Frust an dem Gespenst Karl Marx auslassen können. Alle sollten sich bewusst werden, dass dies eine Ersatzhandlung ist. Es gibt keinen Marxismus mehr, nicht einmal die deutschen Linken wünschen sich, sie würden ihre Gehälter aus den Erträgen eines solchen Gemeinwesens beziehen müssen. Und selbst wenn es durch stetigen Aufkauf erfolgreicher Unternehmen durch Staatsfonds wieder mal ein Überwiegen staatlichen Eigentums geben sollte, selbst dann wird es nicht ein neuer struktureller Sozialismus sein, wie wir ihn in der DDR hatten. Weil die Ausbeutung als gesellschaftsformende Kraft mittlerweile jedem halbwegs Gebildeten bekannt ist. Und das hat als sein Verdienst mit Karl Marx Ehrgeiz, diese Verhältnisse aufzuklären, begonnen. Er konnte weder ahnen, dass einmal die Mehrheiten in so einem Staat Bürgerliche werden würden, noch konnte er ahnen, dass seine hilf- und ratlose Vision von der Diktatur der Arbeiterklasse einmal Millionen von Toten, Gepeinigten und Gedemütigten hinterlassen könnte. Wer den längst verstorbenen Verfassern verhasster Bücher die Schuld an der Gegenwart gibt, macht es sich zu leicht. Jeder, der sich in seinem Handeln auf einen Text beruft, muss sich fragen lassen, ob er auch selber drüber nachgedacht hat. Ja, das betrifft auch die Religion, selbstverständlich.

Joachim Lucas / 07.05.2018

Wie soll man Leute interpretieren, deren zu Papier gebrachte Gedanken Millionen den Tod gebracht haben. Immerhin haben es die anderen Philosophen zu solchen Resultaten nicht gebracht. Vielleicht noch der Schwärmer Jean-Jacques Rousseau, den Robbespierre wohl falsch verstanden hatte und der nur gut einige Zehntausend den Kopf kostete. Aber die Idee war ja eigentlich gut. Kleine Leute mit großen Gedanken! Wenn sie doch nur immer bei sich selber anfangen würden. Ich habe im Studium Peter Weiss lesen dürfen, ein Adept von Marx. “Die Ästhetik des Widerstands”. Ging um die Nazizeit, wie immer. Über 800 Seiten, 2 Kapitel, keine Absätze, keine Hervorhebungen, nichts! Kann man jedem empfehlen, der noch an die Selbstheilungskräfte des eigenen Denkens glaubt. Das Werk war ausdrücklich in den 60iger Jahren als Arbeiterliteratur gedacht (wahrscheinlich für die Arbeitspausen oder das Wochenende). Er versuchte sogar angeleitete Lesezirkel für Arbeiter zu initiieren. Auch so ein Denker mit einem einsilbigen Nachnamen. Es war ein gewaltiges Missverständnis, hat aber nicht soviel Schaden angerichtet wie Kalle’s Meisterwerk.

Thomas Roth / 07.05.2018

Theorie ist Marx. Praxis ist Murks.

Mark Schild / 07.05.2018

Ein marxistisches System erkennt man daran, dass es die Kriminellen verschont und den politischen Gegner kriminalisiert. Alexander Solschenizyn

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