Entertainment, Unterhaltung - in 99 Prozent der Fälle sind dies nur andere Begriffe für die Hölle. Mag man einem „Penispianisten“ noch gewisse akrobatische oder musikalische Leistungen zuschreiben, lässt sich das über einen Frau suchenden Bauern mit offen zur Schau getragenem Leistenbruch gewiss nicht mehr sagen. Wenn die übergewichtige Sarah debil wirkende Singles mit ihrer Barbiepuppensammlung geil machen will, sich vermeintliche Supertalente in Castingshows zum Vollhorst machen, und wenn öffentlich sozial absteigende C-Prominente in Dschungelcamps Känguruhoden essen, dann sagt das nicht nur etwas über die armseligen Gestalten aus, die sich dort der Peinlichkeit preisgeben, es sagt vor allem etwas über die Zuschauer aus, die es danach dürstet. Der Mensch sitzt immer noch im Circus Maximus und will Blut sehen. Daran hat sich seit Jahrtausenden nichts verändert.
Nun fordert Markus Becker im Spiegel: „Die Zurschaustellung wilder Tiere in der Manege hat in einer modernen Gesellschaft nichts verloren.“ Hintergrund ist die Debatte über Wildtiere in Zirkussen. Der Bundesrat fordert ein Auftrittsverbot für bestimmte Wildtierarten in Zirkusshows und liegt damit voll auf der neuen Tierschutzmodewelle, bei der es weniger um den Schutz von Tieren geht, als vielmehr um den Schutz ihrer Würde, einer Würde, die der Mensch den Tieren zuvor großzügig ausgesprochen hat. Veganer essen keinen Honig, weil man damit den Bienen etwas stehlen würde. (Dass die Bienen die Pollen vorher den Blumen gestohlen haben, kann ein zweites Verbrechen nicht rechtfertigen!) Sie essen nicht nur deshalb kein Fleisch, weil es ökologisch sinnvoll wäre, wenn weniger Fleisch produziert werden würde, oder weil die Tiere zuvor Qualen erleiden mussten. Nein, sie essen überhaupt kein Fleisch! Sie würden es auch nicht tun, wenn die Tiere den Menschen zuliebe Selbstmord begingen. Denn sich über Tiere zu erheben, sie als verwertbare Wesen den Menschen unterzuordnen, das allein reicht ihnen schon als Grund für ihren quasi religiösen Vegetarismus. Es geht um Moral. Eine sehr menschliche Moral, die davon ausgeht, dass alle Tiere, einschließlich des Menschen gleich sind. Eine Moral also, die sich eine Katze nicht leisten kann.
Aber zurück zum Zirkus: Selbstverständlich ist jede Forderung nach einer besseren, tiergerechteren Haltung von Tieren in Zoos und erst recht in Zirkussen richtig. Und wenn ein Zirkus dies nicht gewährleisten kann, dann muss er die Tiere abgeben. So regelt es auch aus das Tierschutzgesetz (das sicherlich verbesserungswürdig ist). Doch im „Spiegel“ geht es um mehr: Das Zurschaustellen von Tieren, welches nur der Unterhaltung diene, sei „das Resultat eines überkommenen Denkens, das wilde Tiere für wandelnde Kuriositäten hält und nicht für Lebewesen, denen man mit Respekt begegnen sollte“. Um Respekt geht es also. Und wenn der skrupellose Unterhaltungskonsument den schon nicht der dicken Barbiepuppen-Sarah und dem Leistenbruchbauern zollt, dann doch bitte wenigstens den armen Elefanten, die im Zirkus gemeiner Weise „nur als lustige Rüsseltiere vorkommen, die für Menschen Männchen machen“!
Seit 2003 versucht der Bundesrat bereits, das Wildtierverbot in Zirkussen voranzutreiben, gut möglich, dass unter der plötzlich so reformfreudigen schwarz-gelben Regierung nun tatsächlich etwas in diese Richtung geschehen wird. Auch wenn dies womöglich das Ende sehr vieler Zirkusse bedeuten und viele Jongleure, Clowns und Dompteure arbeitslos machen würde. „Wenn der klassische Zirkus tatsächlich nicht ohne reitende Löwen und Motorrad fahrende Bären auskommt - er hätte sein Ende verdient“, schließt der „Spiegel“-Artikel konsequent.
Und im Sinne des Respekts und der Würde (war eigentlich auch schon von „Ehre“ die Rede?) sollten wir dies eigentlich auch begrüßen. Dann aber stellt sich u.a. die Frage, weshalb soll das nur für Wildtiere gelten? Haben Pferde keinen Respekt verdient? Oder Papageien? Ist es besser, wenn Ziegen auf Schweinen reiten und Schafe Motorrad fahren? Können Schafe überhaupt Motorrad fahren? Auch stellen sich Fragen wie: Sind Kamele Wildtiere? Und wieso beschränkt sich die Würde der Tiere auf Zirkusse? Muss man dann nicht auch der Oma Schulze aus Perleberg verbieten, ihren Hund zum Männchenmachen und Pfötchengeben abzurichten? Ist Hundehaltung überhaupt tiergerecht? Meerschweinchen raus aus deutschen Kinderzimmern? Muss man in Zeiten, da es Autos gibt, wirklich noch reiten? Ist Artenschutz nicht nur ein Ausdruck der perversen menschlichen Vorliebe für Exoten und Freaks? Dient die gesamte Tierliebe nicht sowie nur der Befriedigung eigener menschlicher Bedürfnisse und degradiert die Tiere dabei zum bloßen Objekt? Man sieht: Wer das Fass mit der Würde aufmacht, sollte wissen, dass er es nicht mehr zubekommt. Am Ende ist dann alles relativ. Und gar nichts ändert sich. Für die Tiere bleibt dann gerade mal jene Würde übrig - die aber in Wirklichkeit nur die des Menschen ist, der besser damit leben kann, wenn er keine Bären auf Motorrädern in der Manege sieht. Tierschutz aber sollte die konkrete Verbesserung der Situation von Tieren im Blick haben und nicht die Aufmunterung der menschlichen Moral. Darum kümmern sich doch schon andere. Amen.