Roger Letsch / 13.05.2017 / 06:00 / Foto: Arnaud 25 / 14 / Seite ausdrucken

Männer, die auf Ziegen sparen

Bei modernen industriellen Lebensmitteln wird heute gern ein „Mehrwert“ verkauft, indem man gesundheitlichen Nutzen oder die Ausschüttung von Glückshormonen verspricht. „Functional food“ nennt man das dann und es verkauft sich wie geschnitten Brot. Die Leute wollen ja nicht nur Geld ausgeben und satt werden, sie wollen ein gutes Gefühl obendrauf. Für sich selbst, den Nachwuchs und natürlich auch für die Umwelt, das Klima und den ganzen Rest. Aber ich will hier eigentlich nicht vom Essen reden, sondern über einen vergleichbaren Trend in der Entwicklungshilfe. Also über Entwicklungshilfe mit Mehrwert, „functional aid“ gewissermaßen.

Schauen wir also dorthin, wo Entwicklungshilfe am liebsten hinschaut: nach Afrika. Der Ruf der westlichen Entwicklungshilfe dort hat in den letzten Jahren ganz schön gelitten, besonders an der eigenen Erfolglosigkeit, wenn man die eingesetzten Mittel zu dem in Relation setzt, was erreicht wurde. Der Rechtfertigungsdruck ist zwar noch nicht allzu hoch – zum Beispiel hat noch niemand Entwicklungshilfeminister Müller gefragt, wie es sein kann, dass all die Milliarden Euro, Dollar, Franken, Pfund und Yen nicht verhindert haben, dass sich Millionen Afrikaner auf den Weg nach Europa machen.

Der kleine, ambitionierte Spender jedenfalls will heute kaum noch anonymen Großprojekte unterstützen, bei deren Realisierung vor allem lupenreine Despoten geschmiert werden, europäische Entwicklungspraktikanten ein Aus- und Einkommen finden und am Ende alles wieder den Bach runter geht. Man möchte lieber direkt helfen und auch möglichst ganz konkret. Was soll schon schief gehen, wenn man doch nur Gutes tun will? Was wir dazu brauchen sind natürlich Projekte, die einfach und nachvollziehbar sind und dazu noch über einen gewissen „Ahw-Faktor“ verfügen.

Die „Young-Caritas“, Sektion Ruhrgebiet hat zum Beispiel genau so etwas im Portfolio. Ziegen für Äthiopien! Denn Die Dürre in Äthiopien, die scheinbar nur von Überschwemmungen unterbrochen wird, zwang viele Familien, ihre einzige Ziege zu verkaufen – und zwar laut Caritas an „reiche Bauern“. Die Dürre scheint also nicht alle gleichermaßen zu betreffen, aber das ist nicht das Problem der Caritas. Die Caritas will wieder Ziegen zu den Leuten bringen, denn so eine Ziege, lernen wir, ernährt eine ganze Familie! Also die Milch, nicht dass wir uns da falsch verstehen! Falls Sie jetzt denken, ich würde hier über die Ziegenhaltung in Äthiopien referieren, liegen Sie falsch. Aber wir haben hier ein sehr kleines und lokales Entwicklungsprojekt, an dem man exemplarisch die Wirkung von Entwicklungshilfe beobachten kann, wie sie in Afrika leider noch überall existiert.

Ziegenspenden macht Spaß, kann ich Ihnen versichern!

Die youngcaritas veranschlagt auf ihrer Webseite pro Ziege einen Anschaffungspreis von 50 Euro und animiert die Seitenbesucher zum Ziegenspenden. Ziegenspenden macht Spaß, kann ich Ihnen versichern! Die 50 oder 100 Euro werden Sie zwar aufbringen müssen, aber da gute Gefühl, unmittelbar geholfen zu haben, werden Sie auch dann noch verspüren, wenn sie ihre Kontoauszüge am Monatsende sehen oder wenn sie die Rubrik „Spenden“ in Ihrer Steuererklärung ausfüllen. Und dann die Ziegen! Sie sehen sie sicher bildlich vor sich, wie sie fröhlich meckernd einer bedürftigen Familie ausgehändigt wird. Danke für die Ziege, guter weißer Mann, ihre Milch wird uns am Leben halten.

Meine Anfrage bei youngcaritas ergab, was ich schon vermutete: Die Ziegen werden vor Ort gekauft. Wobei mir in der Antwort auf meine Frage bereits ein ganz anderer „Ziegenpreis“ genannt wurde: 65 Euro. Wer also heute glaubt, für 50 Euro eine Ziege zu kaufen, bekommt schon keine ganze mehr. Nun können wir nicht wissen, wie realistisch die runde Summe von 50 Euro pro Ziege je war oder ob sie einfach dem Marketing geschuldet ist. Es ist nämlich psychologisch wichtig die Illusion zu erzeugen, es würden ganze Ziegen in Afrika herumlaufen, für die man bezahlt hat. Ein „Ziegenanteilsschein“ hat nicht halb so viel Sexappeal.

Was wir aber mit großer Sicherheit vorhersagen können ist, wie die Sache vor Ort ablaufen wird. Denn die Frage ist doch, wo youngcaritas die Ziegen vor Ort kaufen könnte. Aber klar! Da ist ja noch der reiche Bauer, dem die Ärmsten in ihrer Not ihre Ziegen verkauft haben – der hat ja nun welche, die er der Caritas verkaufen kann! Und so wird sich ein absurder kleiner Wirtschaftskreislauf in Gang setzten, den die glücklichen Ziegenspender der Caritas in Deutschland mit ihrem Geld am Laufen halten: Der arme Bauer verkauft dem reichen Bauern seine Ziege, der sie gegen kräftigen Aufschlag an die Caritas verkauft, welche die Ziege zurück an den armen Bauern geben kann. Weil dadurch die Ziegenpreise steigen, verkaufen weitere Bauern ihre Ziegen, so dass es sowohl nie an hilfsbedürftigen Bauern als auch an Ziegen fehlen wird, die ihnen zugeführt werden müssen. Solange es nur genügend dumme europäische Ziegenböcke gibt, die dieses System am laufen halten werden. Geld für Ziege, Ziege für Geld und alles zusammen für ein gutes Gewissen. Eine Wiiiin-Wiiiin-Wiiiin-Situation!

Direkte Entwicklungshilfe – kannst du dir nicht ausdenken sowas!

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Sabine Schönfeld / 13.05.2017

Man hat schon sehr lange Erfahrung mit entsprechenden Maßnahmen - die teilweise sogar einen dem gewünschten Effekt gegenteiligen zur Folge haben können - dann nennt man sie den “Kobra-Effekt”: “Die Bezeichnung geht auf ein angebliches historisches Ereignis in Britisch-Indien zurück: Ein britischer Gouverneur wollte einer Kobraplage Einhalt gebieten, indem er ein Kopfgeld auf jedes erlegte Exemplar aussetzte. Scheinbar funktionierte das Konzept zunächst gut: Immer mehr tote Schlangen wurden abgeliefert. Jedoch wurde deren Anzahl nicht gemindert, da die Bevölkerung dazu überging, Kobras zu züchten und zu töten, um weiterhin von der Prämie zu profitieren. Als das Kopfgeld nach einem gewissen Zeitraum wieder aufgehoben wurde, ließen die Züchter die Tiere frei, da sie keine Verwendung mehr für sie hatten - dadurch hatte sich dank (indirekter) staatlicher Förderung die Zahl der Kobras vervielfacht.” (Wikipedia) Soweit ich informiert bin sind Mikrokredite noch mithin das am besten funktionierende Werkzeug der Entwicklunghilfe. Es ermöglicht den Menschen vor Ort ein kleines Unternehmen auf die Beine zu stellen, für das sie selbst Bedarf sehen. Garantiert nachhaltiger als in den Ziegenkreislauf zu investieren.

Ernst-Fr. Siebert / 13.05.2017

In Namibia hat man Ähnliches versucht: Die Ziegen wurden größtenteils einfach gegessen. Alles andere, auch der Wiederverkauf ist mit Arbeit verbunden…. und die nächste Ziege kommt gewiss.

Karla Kuhn / 13.05.2017

Eine Posse nach der anderen, Wahnsinn.  Ganz schändlich finde ich, daß Fr. Leyen Den beliebten Altkanzler Schmidt abhängen läßt, weil der bei der Wehrmacht gekämpft hat. Hat sich bis zu ihr noch nicht rumgesprochen, daß Männer (früher nur, heute auch Frauen) in den Krieg ziehen mußten ?? Egal was man liest, ich schüttle nur noch den Kopf. Vielleicht sollte ich mir eine Ziege halten, die kann meckern, ohne das Maas mit seinem “Ministerium” dahinter stehen kann. Die hat es gut.

Joe Haeusler / 13.05.2017

Auf der Seite “landwirt.com” werden Ziegen hierzulande zwischen 40 und 150 € angeboten. Da sind die natürlich die umgerechnet 65€ im reichen Äthiopien angemessen. Abgesehen davon ist die Ziege das Tier, das es am Besten gelingt, ganze Landstriche zu verWÜSTEn und damit noch mehr Platz für ein gutes Spendergefühl unter “betroffenen” Mitteleuropäern zu schaffen.

Bernhard Freiling / 13.05.2017

Das interessiert doch nun wirklich Niemanden. Das Zeug zur Entrüstung derer, die schon länger hier leben, hätte das erst, wenn die AfD es zu deren Geschaeftsmodell machen würde.

Linus van der Waal / 13.05.2017

So unsinnig ist das Modell gar nicht. Der arme Bauer verkauft regelmäßig eine Ziege und bekommt Geld. Der reiche verkauft die Ziege weiter an die Caritas. Die Caritas gibt die Ziege dem armen Bauern zurück. Danach beginnt das Spiel aufs neue. Der arme Bauer kann die Landwirtschaft einstellen und vom Verkauf der (womöglich immer gleichen ;)) Ziege leben. Ich würde das als nachhaltige Kreislaufwirtschaft bezeichnen.

Peter Weinert / 13.05.2017

Diese Art der “Entwicklungshilfe” wurde vor vielen Jahren bereits in der DDR erdacht und durchgeführt. Um die Versorgung der Bevölkerung mit Obst und Gemüse zu verbessern, wurden die Kleingärtner von Partei und Regierung aufgefordert ihre Ernte bei der HO (staatliche Handelsorganisation) abzuliefern, Dann fuhr also Kleingörtner Hugo mit 3 Kisten Äpfeln oder ...oder auf den Hof der HO, ein Mitarbeiter wog ab und Hugo bekam sagen wir mal 30Mark Ost. Dann ging Hugo zum Vordereingang und kaufte die Ladung Äpfel, oder…oder für 20 Mark Ost zurück, denn lebensmittel und Obst und Gemüse wurde ja im Einzelhandel stark subventioniert. Dann ging Hugo wieder auf den Hof der HO und das Spiel ging wieder von vorn los….. solange bis die Äpfel, oder…oder nicht mehr verkaufsfähig waren. Fazit: Im Ausdenken von Entwicklungshilfen war die DDR der BRD schon Jahre voraus.

hubert paluch / 13.05.2017

Herr Letsch, ihre kleine Fabel beschreibt die Irrationalität europäischer “Entwicklungshilfe” treffend. Solange weiße Egalitätsutopisten strikt darauf beharren, dass Imperialismus und biologischer Rassismus die Ursachen der schwarzen Misere sind, wird es in Afrika keine Fortschritte geben. Im Gegenteil, selbst resourcenreiche Länder wie Nigeria und Südafrika befinden sich bei näherer Betrachtung auf ihrem Höllenritt ins soziale Chaos. Richard Lynn und Tatu Vanhanen haben die wahrscheinlichen Ursachen für die Afrika-Tragödie klar benannt und sind dafür als Rassisten an den Pranger gestellt worden. Aber ohne eine ehrliche Analyse der Ursachen kann es keine Lösung der Probleme geben.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Roger Letsch / 01.04.2024 / 12:00 / 58

Der große Lastenfahrrad-Test

Der Versuch einer Jugendgruppe, die nachhaltige Kaffeeversorgung der Kreisstadt Eberswalde per Lastenfahrrad-Ferntransport sicherzustellen, führte zu aufschlussreichen Erkenntnissen. Wir leben in aufregenden Zeiten, denn dank unserer…/ mehr

Roger Letsch / 11.03.2024 / 06:00 / 89

Das Phänomen Trump und die deutsche Angst

Er ist wieder da! Und in Deutschland zittern die Medienschaffenden beim Gedanken an Donald Trumps Rückkehr an die Macht. Das Grinsen von Heusgen und Maas bei der…/ mehr

Roger Letsch / 07.03.2024 / 06:00 / 55

Wer die Demokratie wirklich rettet

Demokraten-Darsteller versuchen, die Demokratie mit undemokratischen Mitteln zu retten. Doch Gerichte und Institutionen wachen langsam auf – vom Supreme Court in USA bis zum Wissenschaftlichen Dienst des…/ mehr

Roger Letsch / 05.03.2024 / 16:00 / 7

Die schiefe Verachtung nach unten

Alexander Wendt analysiert in seinem neuen Buch die Entwicklung des Kulturkampfes und zeigt auf, wie man sich dagegen wehren kann. Das macht fast ein bisschen optimistisch.…/ mehr

Roger Letsch / 20.02.2024 / 14:00 / 33

Die Risiken und Nebenwirkungen des Trump-Urteils

In New York ist Donald Trump zu einer bemerkenswert hohen Strafzahlung verurteilt worden. In dem Eifer, Trump zu schaden, riskieren die Akteure eine verhängnisvolle Entwicklung.…/ mehr

Roger Letsch / 15.02.2024 / 06:10 / 99

Notbremse: Biden soll vor der Wahl weg

Ein innerer Kreis um den Präsidenten der USA versucht, ihn aus dem Amt zu bekommen, bevor es zu spät ist. Bidens kognitive Ausfälle werden beängstigend. Das…/ mehr

Roger Letsch / 10.02.2024 / 09:35 / 128

Das Putin-Interview

War das Interview, das Tucker Carlson mit Putin führte, jetzt wirklich so schlimm? Und hat es zu Erkenntnisgewinn geführt? Wenn, dann doch eher indirekt. Hat Putin irgendetwas…/ mehr

Roger Letsch / 08.02.2024 / 06:15 / 97

Tucker Carlson, Putin und das Medienbeben

Mit Putin reden? Wenn einer seinen Job doch tut, wie Tucker Carlson, ist die Empörung der etablierten Medien groß – und der Neid auf die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com