Wolfram Weimer / 26.04.2018 / 06:15 / Foto: US Embassy France / 25 / Seite ausdrucken

Macron setzt die Agenda, Berlin hat keine

„Er betritt einen Raum, sieht einen Stuhl und versucht, ihn zu verführen.” So beschreibt die Washington Post den französischen Präsidenten. Emmanuel Macrons politische Verführungskünste sind legendär, er umgarnt sogar seinen hotzplotzigen Amtskollegen Donald Trump derart, dass zwischen Washington und Paris ungewohnte Vertrautheiten keimen.

Während Angela Merkel im Weißen Haus wie eine graue Schraubenhändlerin der Macht nur zum Arbeitsbesuch geladen wird, rollt man Macron den ganz großen roten Teppich aus. Macron wickelt Trump mit Eitelkeiten um den Finger, lädt ihn zur pompösen Militärparade am Nationalfeiertag ein, zaubert französische Glamour-Kulissen um ihn und behauptet psychologisch geschickt, er und Trump hätten eine „sehr spezielle Beziehung, weil beide von uns wahrscheinlich die Außenseiter in unserem jeweiligen System sind”.

Macron mag den amtierenden US-Präsidenten wahrscheinlich so wenig, wie der Rest der Europäer Trump mag, aber er erdrückt ihn kurzerhand in Umarmung. Sein politisches Ziel: Amerika soll Europa beim Handelskrieg in Ruhe lassen. Geschickt erzählt er Fox News, Trumps Lieblingssender, in Trump-Syntax seine eingängige Botschaft: „Es ist zu kompliziert, mit jedem Krieg anzufangen. Du führst einen Handelskrieg mit China, einen Handelskrieg mit Europa. Krieg in Syrien. Krieg gegen Iran. Komm schon, das funktioniert doch nicht. Du brauchst Alliierte. Und wir sind die Alliierten.” Als Gastgeschenk brachte Macron eine junge Eiche von einem Gefechtsschauplatz aus dem Ersten Weltkrieg mit. So etwas gefällt Trump.

In Berlin beobachtet man die Verführungstechnik Macrons ganz genau. Denn im Bundestag warnen immer mehr Stimmen davor, dass Macron auch Deutschland in geschickter Umarmung erdrückt, um mit großer Euro-Kulisse und blumigen Worten ein sehr konkretes Ziel zu erreichen – deutsches Geld. EU-Finanzministerium, EU-Steuern, EU-Bankenunion, EU-Währungsfonds, EU-Einlagensicherung, EU-Arbeitslosenversicherung – was immer Macron vorschlägt, es läuft darauf hinaus, dass Deutschland sehr viel mehr zahlen müsste und die EU als Transferunion verfestigt würde.

„Ein deutscher Finanzminister ist ein deutscher Finanzminister“ 

Die Reformvorschläge aus Paris werden im pro-europäischen Gestus zwar weithin begrüßt, in der Substanz aber zusehends abgelehnt. Vizekanzler Olaf Scholz von der SPD lässt immer öfter seinen neuen Lieblingssatz fallen, um opulente Finanzforderungen aus Paris abzuwehren: „Ein deutscher Finanzminister ist ein deutscher Finanzminister.” CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wird noch deutlicher: „Ich habe überhaupt keine Veranlassung, Macrons persönliche Glücksgefühle zu meinem politischen Programm zu machen.” Die „Refondation” Europas? Der wolle doch nur unser Geld, raunt es auch bei der FDP. Sollte Macron mit seinem Programm durchkommen, würde die AfD neuen Zulauf bekommen, warnen mehrere CDU-Politiker.

Der Blick auf Macron ist binnen weniger Monate jedenfalls bemerkenswert kritisch geworden – auch in den Niederlanden, in Finnland oder Österreich, auch die dortigen Regierungen fürchten, dass Macrons Euro-Charme sie teuer zu stehen kommen wird. Selbst das böse Wort vom „Heiratsschwindler” macht inzwischen die Runde.

Noch im Herbst changierte sein Status in Berlin zwischen Papst und Popstar des Politischen. Die einen sahen ihn als Retter Europas, andere als tatkräftigen Reformer. Als liberaler Modernisierer wurde er gewürdigt und als wortgewaltiger Visionär. Hatte er doch just im Moment der EU-Existenzkrise nichts weniger als eine „Wiedergeburt” verkündet, pathetisch und fahnenumflattert. „Ich möchte nicht einer Generation von Schlafwandlern angehören”, verkündete er jüngst im Europaparlament in Anspielung auf 1914, als Europa wie schlafwandelnd in den Ersten Weltkrieg geschlittert war.

Berlin mochte diesen Macron auch deswegen so sehr, weil Berlin selber schlafwandelte. Die quälende Regierungsbildung, der Zerfall von Merkels Macht, der Niedergang der Volksparteien und die Implosion der großen Ideen des politischen Deutschlands – da war Macron das Gegenbild mit einem Programm, auf das Berlin bis heute keine Antwort hat.

Tatsächlich offenbart die Sprach- und Ideenlosigkeit der Bundesregierung auf Macrons visionäre Vorschläge eine eklatante Führungsschwäche. Denn die wachsende Nörgelei und Ablehnung der Einzelvorschläge ergibt noch keine politische Linie. Die Berliner Ministerien sind mit kleinteiligen Abwehraktionen beschäftigt, um die deutschen Zugeständnisse auf ein Minimum zu reduzieren: etwas Geld für die Sanierung der südeuropäischen Banken, Parlaments-Vorbehalts-Geld für den EU-Währungsfonds, ein paar Milliarden mehr öffentliche Investitionen, aber möglichst kein radikaler Umbau des europäischen Hauses.

Dabei wäre die Chance, mit Macron echte EU-Reformen voranzutreiben, riesengroß. Deutschland könnte ein subsidiäres Europa neu konzipieren, es könnte eine schlankere, moderne Organisation einfordern, eine entbürokratisiertere Kultur und mehr Transparenz etablieren, es könnte eine neue, digitale Industriepolitik nach dem Airbus-Modell vorantreiben, es könnte eine echte Verteidigungs-und Sicherheitsunion schaffen und an dieser Stelle einmal Frankreichs Beweglichkeit testen. „Doch wir sind bloß in der Defensive und fummeln nun Macrons Pläne klein”, klagt ein Staatssekretär.

Und so wächst Frankreichs Rolle nicht nur in Washington und in der Weltpolitik durch die strategisch durchdachten Verführungsküste Macrons. Auch in Europa ist er nun der Taktgeber. Der Verführer mag als Heiratsschwindler gebrandmarkt werden, doch er befindet sich in Hoch-Zeit. Seine Agenda ist gesetzt. Von Berlin kommt erst gar keine.

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European.

Foto: US Embassy France facebook Link

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Leserpost

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Zsolt Hüter / 26.04.2018

Deutschland wehrt sich auch deshalb dagegen, mehr zu bezahlen, weil sein Einfluss ausschließlich auf seinem Geld und sonst nichts beruht. Merkels Diplomatie ist unglaublich ungeschickt: Wie naiv oder sogar blöd muß man z. B. sein, die Glückwünsche zu Trumps Wahl an belehrende moralische Ermahnungen zu knüpfen und zu glauben, dass ein derartiges Vorgehen ohne Konsequenzen bleibt?

klaus Blankenhagel / 26.04.2018

Diese Woche in irgendeiner beliebiegen Nachrichtensendung den Satz des Mods gehoert: Zitat: Macron bereitet den “Besuch” von Merkel bei meinem hochverehrten Praesidenten D.Trump vor!!!

Mona Rieboldt / 26.04.2018

Deutsche Politiker beleidigten Trump in einer unglaublichen Art und Weise. Sie konnten wochenlang gar nicht mehr damit aufhören. Die Presse machte freudig mit, tägliches Trump-Bashing. Genau zu dieser Zeit hat Macron Trump zum Nationalfeiertag eingeladen. Und das hat Trump gefallen. Und was haben sich die deutschen Politiker gedacht nach all den Beleidungen? Trump würde Sie freudig ..begrüßen? Es ist der Größenwahn deutscher Politiker, die sie dazu brachte, derart gegen Trump zu agieren. Und jetzt kommt der Katzenjammer, sie müssen in USA betteln

Tony Baxter / 26.04.2018

Ich habe die gemeinsamen Pressekonferenzen gesehen und konnte feststellen, dass Trump und Macron sich sehr gut verstehen und einander mögen.

P.Gross / 26.04.2018

@Oliver Förstl Guten Tag Herr Förstl, sie wettern ” Macron spielt den Weltpolitiker, während sich Juden in Fankreich nicht mehr sicher sind. Ich hoffe die Franzosen haben die Kraft sich dieses Scharlatans schnell zu entledigen.” Mit Verlaub, meinten Sie vielleicht: “Merkel spielt die Weltpolitikerin, während sich Juden in Deutschland nicht mehr sicher sind. Ich hoffe die Deutschen haben die Kraft sich dieser Scharlatanin schnell zu entledigen”. So herum wird ein Schuh draus, und um diesen sollten wir uns zuerst kümmern. Was wir in unserem eigenen Land seit über 10 Jahren nicht schafften, sollten wir anderen nicht zumuten.

Frank Volkmar / 26.04.2018

“„Doch wir sind bloß in der Defensive und fummeln nun Macrons Pläne klein”, klagt ein Staatssekretär.” Das ist das Problem einer Kanzlerin die einmal meinte sie hätte “einen Plan” und der man zuschreibt “vom Ende her zu denken” ! Ich vermute eher sie wartet ab wie sich die Dinge entwickeln und versucht dann im letzten Moment auf den Zug aufzuspringen, wohin auch immer der fährt. Plan- und ziellos dem Machterhalt verpflichtet !

Frank Mertes / 26.04.2018

Macron ist ein Blender und ein ziemlich gefährlicher dazu.

Heinrich Rabe / 26.04.2018

Natürlich hat Berlin eine Agenda. Sie ist kurz und prägnant, 10 Punkte wie einst ein anderer deutscher Kanzler: “Punkt 1: Angela Merkel ist und bleibt Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Punkt 2: Sie erfüllt dieses Amt hervorragend. Punkt 3: Ihre politischen Projekte sind erfolgreich und gut für das Land. Punkt 4: Für Probleme ist sie nicht verantwortlich. Punkt 5: Wenn es trotzdem Probleme gibt, sind sie halt da.  Punkt 6: Wenn daran Zweifel entstehen, werden Punkte 2, 3, 4 und 5 besser erklärt. Punkt 7: Wer dann immer noch Zweifel hat, ist rechts. Punkt 8: Rechts ist böse. Punkt 9: Alles andere ist gut. Punkt 10: Wir schaffen das.” Punkt 11 wurde gestrichen. Er lautete: “Punkt 11: Punkt!!”

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